Warum heilige Orte für Gläubige wichtig sind

Etwas für die Sinne

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Im Evangelium spricht Jesus von heiligen Orten. Pfarrer Werner Demmel ist Direktor des deutschen Pilgerzentrums in Rom und umgeben von solchen besonderen Stätten. Er erklärt, warum sie für Gläubige so wichtig sind.

Foto: kna/Erika Rebmann
Ganz nah am Heiligen: Gläubige beten am Salbungsstein Jesu in der Grabeskirche in Jerusalem. Foto: kna/Erika Rebmann


Im Evangelium spricht Jesus vom Berg Garizim und von Jerusalem als Orte, an denen die Menschen beten. Haben Sie in Rom einen solchen Ort für sich?
Sankt Paul vor den Mauern ist für mich ein Ort zum Verweilen und Stillwerden. Ich bin auch immer wieder gerne in der Capella Clementina, die in unmittelbarer Nähe zum Petrusgrab liegt. Dort zu beten oder mit kleinen Gruppen einen Gottesdienst zu feiern, fordert mir sehr viel Respekt und Ehrfurcht ab.

Warum sind heilige Orte für Menschen so wichtig?
Heilige Orte sind für uns Berührungspunkte mit einer anderen Welt. Dahinter steckt die Sehnsucht nach Heiligem, nach Überirdischem und die Hoffnung auf Kraft, Stärkung und Beistand. In Rom spürt man das deutlich.

Inwiefern?
Wir Deutschen gehen mit solchen Orten oft sehr rational um. Der Italiener ist emotionaler. Er kann nicht nur kurz beten, er muss diese Orte und Gegenstände berühren. In der Grabeskirche in Jerusalem ist es ähnlich.

Was passiert da?
Dort gibt es die Grablegungsstelle. Der Legende nach hat man den Leichnam Jesu dort hingelegt, um ihn zu salben und in Tücher zu wickeln. Gläubige Menschen, egal ob orthodox oder lateinisch, kommen dorthin, knien sich nieder und legen ihre Stirn auf diesen Stein. Sie spüren diese Unmittelbarkeit. Zwischen ihnen und dem Heiligen steht nichts mehr. Sie haben direkten Kontakt mit dem heiligen Ort – und in der Steigerung dann mit Gott.

Im Evangelium sagt Jesus, dass die Stunde kommen wird, in der wir weder auf einem Berg noch in Jerusalem beten werden. Heißt das, die heiligen Orte werden einst verschwinden?
Das glaube ich nicht. Aber sie werden ihre Bedeutung verlieren. 

Wie meinen Sie das?
Jesus ist, wie er selbst sagt, nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen. Er will die heiligen Orte nicht abschaffen. Aber er sagt, dass diejenigen, die durch ihn einen direkten Bezug zu Gott gewonnen haben, diese Orte nicht mehr brauchen. Die Offenbarung Gottes hat alles außer Kraft gesetzt. Das klingt auch an, wenn er vom Gebet in Geist und Wahrheit spricht.

Was meint er damit?
Nach Jesu Tod, Auferstehung und Himmelfahrt braucht der Mensch keine Symbole mehr. In Geist und Wahrheit zu beten, heißt, in direktem Bezug zum Vater zu beten. Mich erinnert das an die Stelle im Evangelium, als die Apostel Jesus bitten, ihnen den Vater zu zeigen. Jesus antwortet fast enttäuscht: „Wer mich sieht, sieht den Vater.“ Nach dem Motto: Was wollt ihr noch? Ihr habt doch mich. Dann habt ihr auch den Vater.

Foto: privat/Mettwoosch
Pfarrer Werner Demmel
Foto: privat/Mettwoosch

Und doch sind heilige Orte bei uns beliebt. Woran liegt das?
Wir Menschen sind Sinnwesen. Wir brauchen etwas fürs Auge, fürs Ohr und etwas zum Anfassen. Das rührt unsere Sinne und unsere Seele an. Und vielleicht brauchen wir das in der heutigen Zeit umso mehr. Wir geben uns so aufgeklärt und rational. Aber in Wirklichkeit reicht uns das nicht. Wir brauchen sozusagen eine Versicherung, die uns das Gefühl gibt: Was ich hier berühre, das ist wirklich heilig.

Das erinnert an den Apostel Thomas.
Genau. „Lege deinen Finger in meine Seite und in meine Wunden“, sagt Jesus ihm. Erst dann kann Thomas glauben. Ich sage immer: In uns lebt der ungläubige Thomas weiter.

Das Gebet in Geist und Wahrheit – kann mir das an heiligen Orten leichter fallen?
Sie können hilfreich sein. Man kann dort offener werden für die Begegnung mit Gott und hat vielleicht einen geschützteren Rahmen. Mir geht es so, wenn ich in München am Grab des seligen Paters Rupert Mayer kniee. Er war ein Mensch wie ich, aus Fleisch und Blut, der in seinem Leben eine ganz enge Gottesbegegnung erfahren durfte. Wenn ich an seinem Grab bin, spüre ich ebenfalls die Begegnung mit Gott ganz tief.

Welche Haltung brauche ich für ein solches tiefes Gebet?
Wir sollten in Offenheit und ohne Klischees zu Gott beten. Wir sollten ihn nicht in Schubladen stecken. Wir dürfen kein festgepresstes Bild von ihm haben. Gott muss der ganz andere bleiben, der offen für mich ist und für den ich offen sein darf. 

Können mich heilige Orte dabei stören?
Ja. Im Petersdom kann das zum Beispiel schwierig sein. Auch gläubige Katholiken werden von dem Massenbetrieb dort abgestoßen. Nach 9 Uhr schieben sich dort die Menschen durch und es ist sehr laut. Ich bezweifle, dass diese Atmosphäre Menschen zum Gebet bringt.

Müssten wir unsere heiligen Orte also besser schützen?
Ja. Derjenige, der zu diesem Ort kommt und dort die Nähe zu Gott sucht, sollte das ungestört erleben dürfen. In Lourdes hat man das geschafft. Der sogenannte heilige Bezirk ist umzäunt und wird am Abend geschlossen. Dort gibt es auch keine Devotionalienhändler. Man will diesen Bereich bewusst für das Gebet freihalten.

Interview: Kerstin Ostendorf