Integration von Flüchtlingen
Etwas von der Hilfe zurückgeben
Foto: Marco Heinen
Valentyna Lukianova ist, so drückt sie sich aus, „wegen dieses verfluchten Krieges aus der Ukraine nach Deutschland gekommen.“ Für das Treffen mit der Neuen Kirchenzeitung hat die 67-jährige Elektroingenieurin eigens ein Schreiben vorbereitet. Auf eineinhalb Seiten hat sie von Hand und nahezu fehlerfrei notiert, was sie mitteilen will. Denn auf Deutsch lesen und schreiben kann die Rentnerin schon sehr gut, nur beim Sprechen fühlt sie sich unsicher. „Vielen Dank an Frau Eissing und alle Gemeindemitglieder der St. Vicelinkirche. Ihr Engagement und ihre Fürsorge sind von großer Bedeutung und von unschätzbarem Wert“, schreibt sie.
Es ist ein Tag Mitte Juni in den Gemeinderäumen von St. Vicelin in Bad Oldesloe. Vier nach Deutschland geflüchtete Ukrainerinnen, Monika Eissing aus der Gemeinde und der schon seit Jahren in Deutschland lebende Yuriy Gorte als Übersetzer sind dabei. Die Ukrainerinnen erzählen, wie sie etwas von dem zurückgeben wollen, was ihnen seit ihrer Ankunft an Gastfreundschaft und Hilfe zuteil wurde.
Monika Eissing, ehemals Gemeindereferentin in Lübeck, hat mit einigen anderen Gemeindemitgliedern nicht lange gefackelt, als im Frühjahr 2022 die ersten Kriegsflüchtlinge in Bad Oldesloe eintrafen. Es waren vor allem Frauen, viele von ihnen mit kleinen Kindern. Zusammen mit der Flüchtlingssozialarbeit der Diakonie wurde ein Begegnungscafé eingerichtet, das zum Dreh- und Angelpunkt für praktische Hilfen zur Integration wurde. Geholfen wird noch immer, so wie bei der Vermittlung eines Grundkurses zur Schulung zum Nachbarschaftshelfer.
Im März und Mai nahmen 28 Ukrainerinnen an dem aus acht Unterrichtseinheiten bestehenden Kurs teil; die Hälfte von ihnen absolvierte auch noch den Aufbaukurs zum Umgang mit dementen Menschen. Mittlerweile startete ein weiterer Nachbarschaftshilfe- und ein Demenz-Kurs, der von der Hamburger „Angehörigenschule“ angeboten wird – und wieder voll belegt ist. „Die Kurse sind auf so eine große Resonanz gestoßen, dass der Leiter der Angehörigenschule ganz überwältigt war – und ich auch“, sagt Monika Eissing. Mit einer solchen Qualifikation können sich die Frauen nach Abschluss einer Haftpflichtversicherung registrieren lassen und dann Menschen unterstützen, die von ihrer Pflegekasse mit Pflegestufe 1 eingestuft sind. Allerdings geht es bei Nachbarschaftshelfern eben nicht um pflegerische Tätigkeiten – die bleiben professionellen Fachkräften vorbehalten –, „sondern um Angebote, bei denen Begleitung, Anregung, Anleitung und Unterstützung bei Aktivitäten im Fokus stehen“, wie in einem Informationsblatt des Pflegestützpunkts des Kreises Stormarn erläutert wird. Spaziergänge, die Begleitung zu Ärzten, Hilfe bei alltäglichen Haushaltstätigkeiten gehören zum Beispiel dazu.
Grundvoraussetzung ist die Bereitschaft, anderen Menschen zu helfen und sich dabei zum Teil ehrenamtlich zu engagieren. Deshalb haben Nachbarschaftshelfer keinen Anspruch auf den Mindestlohn, sondern erhalten eine Aufwandsentschädigung von maximal acht Euro pro Stunde. Bis zu 30 Stunden monatlich dürfen sie durch eine Tätigkeit bei einer oder mehreren Personen auf diese Weise Hilfe leisten. Wer Hilfe in Anspruch nimmt, kann wiederum als sogenannten „Entlastungsbetrag“ monatlich 125 Euro von der Pflegekasse bekommen.
Svitlana Minhazheva ist bei den Ukrainerinnen diejenige, die die Teilnahme an den Kursen koordiniert und für die Information unter den Frauen sorgt. „Fast alle Teilnehmerinnen sind bereit, jemanden zu unterstützen. Die meisten von ihnen haben eine Hochschulausbildung. Sie sind bereit, Arbeit zu suchen und zu arbeiten, aber momentan bremsen noch die Sprachkenntnisse“, übersetzt Yuriy Gorte ihre Erläuterungen.
Tatsächlich ist die Sache mit der Nachbarschaftshilfe für die anwesenden Frauen eher ein Behelf, um überhaupt etwas tun zu können, denn die Anerkennung ihrer eigentlichen Berufsabschlüsse zieht sich: „Es dauert. Sie müssen erst Sprachqualifikationen nachweisen und dann können sie sich um die Anerkennung der Zeugnisse bemühen, vorher nicht“, berichtet Monika Eissing.
Liudmyla Krasnova aus Tschernihiw, Mutter zweier schulpflichtiger Kinder, hat Ukrainisch und Literatur studiert und war an einem Uni-Institut beschäftigt. In einer Oldesloer Grundschule arbeitet sie jetzt 15 Wochenstunden als Unterstützungskraft in einer Deutsch-als-Zweitsprache-Klasse. Sie würde gerne noch jemanden betreuen; Anna Fedchyk aus Kryvyi Rig war als Buchhalterin bei einem großen Arbeitsbekleidungshersteller tätig. Ihr Mann war Angestellter im Atomkraftwerk Tschernobyl und seit dem Kriegsausbruch arbeitslos. Weil sie drei kleine Kinder haben, durfte er vor einem Jahr zu seiner Familie nach Deutschland nachkommen. Anna Fedchyk würde auch gerne etwas extra tun. Und die gelernte Schneiderin Svitlana Minkazheva, die Inhaberin eines Fitnessstudios in Kiew war und sich schon jetzt viel engagiert, sowieso.
Bislang betreut erst Valentyna Lukianova einen älteren Herrn. Die erste Erfahrung ist ganz gut. Monika Eissing und ihr Team würden gerne bei weiteren Vermittlungen helfen. Lukianova schreibt: „Ich bin zum Kurs Nachbarschaftshilfe gekommen, weil ich etwas Notwendiges, Gutes tun möchte. Ich möchte der Gesellschaft nützlich sein.“
Dass sich ukrainische Flüchtlinge in Deutschland faul auf dem Bürgergeld ausruhen wollen, wie es jüngst Politiker von CDU und CSU nahelegten, lässt sich zumindest im Kreise der von der Gemeinde St. Vicelin betreuten Frauen nicht belegen.