„Fairkauf“ droht das Aus
Foto: Matthias Schatz
Wenn nichts passiert, müssen wir dicht machen“, antwortet der Herr am Eingang des Sozialkaufhauses „Fairkauf“ am Küchgarten 19 im Zentrum Harburgs. Der eintretende Kunde hatte gefragt, worum es denn bei der Unterschriftenaktion gehe, an deren Teilnahme er gebeten wird, teilzunehmen. „Was!“ gibt der Mann erstaunt zurück und trägt sich wie selbstverständlich in die Liste ein.
Abstrakte Bundespolitik trifft hier auf konkrete Lokalpolitik. Denn die Schließung droht letztendlich aufgrund des Haushaltsentwurfes für 2024 von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Würde der Entwurf im Dezember von Bundestag und Bundesrat so genehmigt, müssten alle Ressorts außer dem der Verteidigung Kürzungen hinnehmen. Das Ministerium für Arbeit und Soziales, das Hubertus Heil (SPD) leitet, sieht unter anderem Kürzungen von 700 Millionen Euro bei den Jobcentern vor. Im Stadtstaat Hamburg würde das zu Einsparungen von 15 Millionen Euro führen. Sie beträfen alle Maßnahmen sowie die Jobcenter selbst“, betont Kerstin Fechner, Sprecherin der Jobcenter in Hamburg.
Unter anderem werden im Zuge dessen auch die Mittel für die Arbeitsgelegenheiten (AGH) gekürzt, die früher Ein-Euro-Jobs genannt wurden und für die heute eine Aufwandsentschädigung von zwei Euro pro Stunde gezahlt wird. Deren Zahl würde um die Hälfte auf 800 schrumpfen. Wegfallen würden nach gegenwärtigen Planungen zum 1. Februar auch 135 AGHs in Einrichtungen von In Via, einem Fachverband der Caritas, darunter alle Beschäftigungen in den beiden Sozialkaufhäusern Fairkauf in Harburg und Hammerbrook.
Keine Chance auf erstem Arbeitsmarkt
Marianne Sorokowski, 63, die das Sozialkaufhaus in Harburg seit 2013 leitetet, verweist beispielhaft auf einen Brief, der deutlich macht, was die AGH-Stellen für die so Beschäftigten bedeuten. Eine an schweren Depressionen leidende Frau fühlt sich durch die Beschäftigung besser, könne wieder mit mehr Menschen kommunizieren, weil sie täglich mit Kollegen und Kunden spreche. Kein Einzelfall. Andere AGHler haben oder hatten beispielsweise Drogenprobleme und deswegen kaum Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt. Die Beschäftigten erführen so auch, dass sie etwas leisten könnten, betont Sorokowski. Das hebe ihr Selbstwertgefühl. Und: „Der Bedarf ist da. Die Nachfrage nach AGHs im Sozialkaufhaus ist größer als das Angebot.“
Sorokowski betont, dass Fairkauf auch „ein richtiges Kaufhaus“ sei. Will sagen: Ein Betrieb, der auch wie ein Unternehmen funktioniert und Menschen so für den ersten Arbeitsmarkt vorbereitet. Dazu gehört nicht nur die große Verkaufsfläche im Erdgeschoss, wo alle Arten von Textilien angeboten werden, dazu Schuhe und auch Möbel. Die Preise beginnen ab etwa zwei Euro und reichen bei Möbeln schon mal in den dreistelligen Betrag. Mehrere Sofas, eine Esstischgarnitur und Sideboards stehen ein paar Meter hinter dem Eingang. Dazu gibt es eine Holzwerkstatt und eine Schneiderei, in der die gespendeten Sachen gegebenenfalls repariert und aufbereitet werden. Zudem arbeiten AGHler im Lager und im Transport.
Viele der 60 Beschäftigten, die oft von Bürgergeld leben müssten, kämen 15 bis 30 Stunden die Woche, berichtet Marianne Sorokowski weiter, verdienten also bis zu 240 Euro pro Monat durch die Tätigkeit hinzu. „Das ist für die nicht wenig, die können das gebrauchen“, sagt die gebürtige Rheinländerin.
Darüber hinaus geht es bei den Beschäftigten auch um Integration und soziale Teilhabe. Gerade bei Menschen, die aus dem Ausland kommen. Ein geflüchteter junger Mann beispielsweise arbeitet ehrenamtlich in dem Sozialkaufhaus, weil er durch den Kontakt zu Kollegen und Kunden sein Deutsch verbessert, wie er in einer Mail schreibt.
Eigentlich brauchen wir einen Mäzen
MARIANNE SOROKOWSKI, LEITERIN DES SOZIALKAUFHAUSES
„Das ist eine Frechheit! Aber die Diäten werden erhöht“, empört sich Heidi Morrow über die Schließungspläne. Die 75 Jahre alte Rentnerin gehört zu den rund 300 Kunden, die das Sozialkaufhaus täglich begrüßt. Verzweifelt klingt schon Anna Kaudel, 77 Jahre alt und ebenfalls Rentnerin. „Das ist ganz schrecklich. Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll.“ Unter den Kunden, die hauptsächlich aus geflüchteten Familien bestehen, haben sich in den vergangenen Jahren immer mehr Rentner gemischt. Berechtigt zum Einkauf im Sozialkaufhaus ist jeder, dessen Einkommen höchstens bei der Pfändungsgrenze von derzeit rund 1400 Euro liegt.
Fairkauf ist nicht nur Arbeitgeber, noch viel größer ist wohl seine Bedeutung als soziale Institution, auf die mehr und mehr Menschen angewiesen sind. Menschen, die sich auch einen Theater- oder Restaurantbesuch nicht mehr leisten können. Ihnen bietet immerhin das Café im ersten Stock des Sozialkaufhauses eine Möglichkeit zum geselligen Austausch außerhalb der eigenen vier Wände. Dort wird montags bis freitags auch ein Mittagessen für gut vier Euro serviert.
Gerade aus diesem Grund bittet Marianne Sorokowski, unterstützt durch die Unterschriftenaktion, das Hamburger Jobcenter, die Entscheidung, AGH-Stellen bei den von In Via getragenen Sozialkaufhäusern zu überdenken und Möglichkeiten zu entwicklen, wie diese erhalten werden können.
Kriterien für die Entscheidung der Jobcenter sind laut Pressesprecherin Kerstin Fechner, ob die Maßnahme aktuell durchgeführt wird, sie sich an eine besondere Zielgruppe richtet und wie der Besetzungsstand ist. Ferner spielen die Verteilung über das Stadtgebiet im Gesamtportfolio, das vielfältige Tätigkeitsangebot, die Bedarfe der Kunden des Jobcenters, die Durchführungsqualität und die Kosten eine Rolle. „Wir werden allen, die von der AGH-Kürzung betroffen sind, alternative Förderungen anbieten“, verspricht Fechner. Sie verweist in diesem Zusammenhang insbesondere auf den „nächsten Schritt zur Teilhabe am Arbeitsmarkt“ nach Paragraf 16i des Sozialgesetzbuches II. Das sind Anstellungen für fünf Jahre zu einem festen Gehalt, die „ganz andere Perspektiven“ bieten. Demnach spielen die sozialen Auswirkungen für die Kunden keine Rolle bei der Entscheidungsfindung.
Selbst die FDP will sich für den Erhalt einsetzen
Wenigstens moralische Unterstützung erhält Marianne Sorokowski von allen Fraktionen in der Harburger Bezirksversammlung. „Die sind alle nicht erfreut über die Kürzungen, aber sehr engagiert in dem Thema“, berichtet sie von Gesprächen, die sie kürzlich auf einem Empfang führen konnte. Doch die Bezirksversammlung hat „voraussichtlich nur geringe Möglichkeiten der Einwirkung auf die drohende Schließung von Einrichtungen“, bestätigt Ralf-Dieter Fischer, dortiger CDU-Fraktionsvorsitzender. Gleichwohl will sich die CDU am 26. September mit einem Antrag dafür einsetzen, dass die Bezirksamtsleiterin prüft, inwieweit das Sozialkaufhaus mit Mitteln des Bezirks oder Hamburger Mitteln gerettet werden kann.
Selbst die FDP will sich mit einem Antrag für den Erhalt von „Fairkauf“ einsetzen, wie deren Vorsitzende der Bezirksfraktion, Viktoria Isabell Ehlers, der Neuen Kirchenzeitung mitteilte. Es sei nur auf kommunalpolitischer Ebene möglich, die Auswirkungen der angekündigten Kürzungen zu beurteilen, so Ehlers. Im Bezirk kämen auf die Menschen „ganz konkrete Einschränkungen zu, die auf dem Papier nach einem Gewinn aussehen mögen, aber sie bedeuten Unsicherheit und Kummer und das kritisieren wir stark“, meint sie weiter. „Der Bundesfinanzminister stellte ebenso Entbürokratisierung und strukturelle Reformen in Aussicht und unserer Ansicht nach hätte er dabei bleiben sollen.“
Carsten Brück aus der Harburger Grünen-Fraktion teilte der Neuen Kirchenzeitung mit, dass sich seine Partei in Harburg und Hamburg „gemeinsam mit unseren Abgeordneten im Bundestag“ dafür einsetzt, dass der Haushaltsentwurf auf Bundesebene korrigiert wird.“ Die Sozialbehörde, geführt von der SPD-Politikerin Melanie Schlotzhauer, will sich dafür einsetzen, dass die in Rede stehenden Kürzungen um 700 Millionen Euro im Bundeshaushalt nicht in diesem Umfang realisiert würden.
Fraglich, ob diese Bemühungen etwas nutzen werden. Am Schluss des Gesprächs meint Marianne Sorokowski denn auch: „Eigentlich brauchen wir einen Mäzen.“