Fehlt den anderen etwas?
„Kirche in Beziehung“ heißt ein Leitwort des Erzbistums. Wie steht es mit den Beziehungen zu den Nichtchristen? Gibt es welche? Bei der Caritas in Mecklenburg ist die Zusammenarbeit mit „Nichtgläubigen“ ganz normal.
Ivonne Vonsien ist Geschäftsführerin des „Vereins zur Förderung zeitgemäßer Jugend- und Sozialarbeit“ in Schwerin. 1999 hat sie diesen Verein selbst gegründet. Er betreibt unter anderem den Jugendtreff „Westclub One“ in der Weststadt. In der Schweriner Jugendsozialarbeit arbeiten viele verschiedene Partner zusammen. Die Liste der Träger ist lang, und die Logos bieten ein buntes Bild: „Westclub One“ hat einen rosafarbenen Stern mit der Zahl eins. Andere haben als Erkennungszeichen bunte Weltkarten, blaue Elefanten, lachende Busse, Orangen, Segelschiffe, auch ein Krebs ist dabei: Das ist „Carikrebs“ , das Wappentier des Stadtteiltreffs Krebsförden, getragen von der Caritas.
Die christlichen Träger Caritas (katholisch) und Diakonie (evangelisch) spielen in dem großen Netzwerk keine Sonderrolle. „Kirche hat kein Monopol auf das Gut-Sein“, sagt Rudolf Hubert von der Caritas. Dass sich große kirchliche Sozialverbände mit religiösem Anspruch einfach einordnen im bunten Kreis der Religionslosen, das ist nicht selbstverständlich. Aber Hubert will eine Überheblichkeit der Christen gar nicht erst aufkommen lassen. „Ein Defizit in denen zu sehen, die nicht an Gott glauben, wäre völlig falsch. Im Gegenteil: Die Kirche hat ein Defizit da, wo sie das Gute der anderen Menschen nicht anerkennt und sich darüber freut.“
Man kann das theologisch begründen. In Schwerin waren es zuerst nüchterne Notwendigkeiten, die Menschen verschiedenster Weltanschauungen zusammengebracht haben. Ivonne Vonsien: „Würden wir nicht in Netzwerken arbeiten, würde die Personaldecke bei keinem reichen, um ein gutes Angebot zu machen. Eigentlich sind wir alle unterbesetzt.“
Den Sinn für die Realität nicht verlieren
Und so arbeitet auch sie unter anderem mit katholischen Einrichtungen zusammen. Zum Beispiel mit Anke Koppitz, die die Jugendsozialarbeit bei der Schweriner Caritas koordiniert. „Es ist gut, dass wir diese Kontakte haben“, sagt Anke Koppitz. „Denn für die Kirche besteht die Gefahr, dass sie den Sinn für die Realität verliert. Wir tun zwar gute Werke. Aber was auf der Straße abgeht, wie dort viele Jugendliche leben, das gerät sehr schnell aus dem Blick.“
Das gut situierte Milieu, in dem sich die meisten Katholiken befinden, ist in der Stadt nicht die Regel. Ivonne Vonsien: „Die Probleme der Jugendlichen sind andere als früher. Die Familien sind nicht so stabil, wie sie einmal waren. Das bedeutet auch, dass wir unsere Arbeit ständig verändern müssen.“ Sich nicht voneinander abgrenzen, sondern voneinander lernen, heißt die Devise. Partner wie Ivonne Vonsien und ihr Verein etwa wissen, wie man Jugendliche bei Projekten beteiligt. Und sie verstehen es besser als die großen Träger, wie man organisatorisch viele Fäden zusammenknüpft.
Dass es sowohl Christen als auch Nichtchristen um die Menschen geht, daran zweifelt niemand. Aber gibt es nicht doch einen Unterschied? Vielleicht in der Motivation des Handelns? „So einfach ist das nicht“, sagt Anke Koppitz. „Ich setze mich nicht für andere ein, weil ich einer christlichen Kirche angehöre und das tun muss. Ich mache es, weil es in meinem Herzen immer da war. Zum Glauben bin ich spürbar erst später gekommen.“ Für Ivonne Vonsien spielte der Glaube der Christen nie eine Rolle. „Ich bin noch nie in einem Gottesdienst gewesen. Aber ich habe auch nie das Gefühl, dass mir etwas fehlt. Und ich habe auch nie das Gefühl gehabt, dass mich hier jemand bekehren will.“
Viel Gelassenheit, keine Hintergedanken
Frage an die Caritas: „Gibt es nicht doch zumindest den Wunsch, Menschen wie Ivonne Vonsien mit dem eigenen Glauben anzustecken?“ Rudolf Hubert: „Wenn ich die Hoffnung hätte, irgendwann kriege ich diese Leute in unseren Stall, dann wäre das von Anfang an falsch.“ Das hindert den Theologie-Experten, der für die Pastoral der Caritas im Norden zuständig ist, nicht, die Dinge durch seine christliche „Brille“ zu sehen. „Überall da, wo Menschen füreinander da sind, da ist der Geist Gottes nicht weit. Liebe zu anderen hat immer etwas mit der Selbstmitteilung Gottes zu tun. Wir sind zuerst Empfangende, dann erst Gebende. Wenn ich das so sehe, kann ich mir vieles sparen und mit Gelassenheit und Vertrauen den anderen gegenübertreten. Ich bin fest davon überzeugt: Uns trennt viel weniger, als wir glauben.“
Text u. Fotos: Andreas Hüser