Pater Engelmar Unzeitig als Vorbild für Christen
Freiwillig in die Hölle
Er „wurde wie ein Sklave“, singt der Philipperhymnus über Jesus. „Er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod.“ Kann das Vorbild für Christen sein? Für Pater Engelmar Unzeitig bestimmt. Er diente im KZ Dachau bis zum Tod.
„Arbeit macht frei“ stand als zynische Begrüßung auch auf dem Tor zum KZ Dachau. Mehr als 200 000 Gefangene aus 40 Ländern gingen durch diese Hölle, unter ihnen fast 2600 katholische Geistliche: „Saupfaffen“, wie sie von den SS-Bewachern genannt wurden.
Die Priester schikanierte man am ärgsten. Am Karfreitag 1940 werden 60 von ihnen „gekreuzigt“, das heißt mit auf den Rücken gefesselten Händen an Bäumen hochgezogen. Eine Stunde lang bleiben sie so hängen, die Fersen knapp über dem Boden. Nicht alle überleben die Tortur. Ein andermal lässt ein SS-Mann alle unter einen Tisch kriechen und unzählige Male aufstehen und niederknien, den schweren Tisch auf den Köpfen balancierend. Danach befiehlt er den vor Erschöpfung Zitternden, auf die Spinde hinaufzuspringen und dort oben im Chor „O Haupt voll Blut und Wunden“ zu singen.
Am 3. Juni 1941 kommt der 30-jährige Ordenspriester Engelmar Unzeitig in Dachau an. Der Bauernsohn aus Böhmen hat auf den Äckern arbeiten müssen, um den Vater zu ersetzen, der im Ersten Weltkrieg gestorben ist. Trotzdem ging er später zu den Mariannhiller Missionaren, wo er Fremdsprachen lernte, um in die Mission wechseln zu können.
In seiner ersten Seelsorgestelle kümmert er sich trotz Verbots um französische Kriegsgefangene und wird bald darauf verhaftet wegen „heimtückischer Äußerungen“ und „Verteidigung der Juden“ in Predigt und Unterricht. Hitlerjungen haben den Religionslehrer angezeigt.
Im KZ Dachau wird er zum Beispiel bei den Esskübeltransporten eingesetzt: Zu zweit müssen sie die bis zu 75 Kilo schweren Suppenkübel durch das ganze Lager schleppen, in sengender Mittagshitze und im Winter über vereiste Trampelpfade, angetrieben von prügelnden SS-Leuten.
Keine Matratze zum Sterben
Doch Pater Engelmar schreibt gelassen nach Hause, es gehe ihm eigentlich ganz gut: „Wie vieles lernt der Mensch erst durch die Erfahrung in der Schule des Lebens.“ Wenn ein Paket von seinen Angehörigen kommt, verschenkt er die Esswaren sogleich an kranke Mithäftlinge. „Es kommt die Zeit, wo Du begreifst, dass alles Segen war“, schreibt er seiner Mutter. Aber Gott möge doch geben, dass die Prüfungszeit bald zu Ende gehe „oder doch wenigstens die Menschen nicht zerbreche, sondern besser mache“.
Mitbrüder erinnern sich an seine unerschütterliche Ruhe. „Er war immer der Gleiche“, gab einer zu Protokoll. „Wenn die anderen klagten und heimdachten an die guten alten Tage, wenn es ihnen zu viel wurde und sie nicht mehr konnten, schaute er nach oben zum Vater. Und es half.“ Und: „Was auffiel, war seine Caritas, wenn er bei seinen Mitbrüdern für andere arme Häftlinge bettelte.“
Pater Unzeitig lernt Russisch und führt Glaubensgespräche mit Kriegsgefangenen, ja sogar mit einem nachdenklichen Unterscharführer von der Waffen-SS. Gemeinsam mit anderen Geistlichen übersetzt er Bibeltexte ins Russische. Jeden Morgen freut er sich auf den Gottesdienst mit einem Altar aus Brettern; der Tabernakel besteht aus Konservendosen. Auch wenn die Messfeier vor dem Morgenappell beendet sein muss und oft von grölenden SS-Bewachern gestört wird.
Im Dezember 1944 bricht eine verheerende Typhus-Epidemie in Dachau aus; innerhalb eines Monats sterben 2800 Häftlinge. Die SS-Gewaltigen fordern die verhassten Priester auf, sie sollten Pflegerdienste in den verseuchten Baracken übernehmen. Unter den zwanzig, die sich freiwillig melden, ist auch Pater Engelmar. Vielleicht denkt er an den Philipperhymnus: „Er erniedrigte sich und wurde wie ein Sklave.“
„Liebe verdoppelt die Kräfte“
In den Typhusbaracken herrscht das Chaos. Die vor Schmerz schreienden, im Delirium fantasierenden Kranken wälzen sich in ihrem eigenen Kot auf blanken Brettern, bei eisiger Kälte. Bettwäsche und Matratzen gibt es nicht. Die Lumpen wimmeln von Läusen und Flöhen. Die Helfer, so ein Augenzeuge, „fegten die Bretter und Pritschen sauber, so gut es ging, wuschen die verdreckten, schwitzenden, stinkenden, zu Skeletten ausgemergelten Leiber, sammelten verlauste Kleider ein, zündeten sie an.“
Pater Engelmar wäscht diese menschlichen Skelette und ihre Lagerstätten, tröstet, spricht in der letzten Stunde Mut zu. „Das ist er gewesen: Liebe!“, weiß ein mitgefangener Pfarrer zu berichten. Und in seinem letzten Brief nach Hause erklärt Engelmar unbeirrt, das Gute sei unsterblich, „und der Sieg muss Gottes bleiben, wenn es uns auch manchmal nutzlos erscheint, die Liebe zu verbreiten in der Welt.“ All unser Tun und Können, „was ist es anders als seine Gnade, die uns trägt und leitet. Liebe verdoppelt die Kräfte, sie macht innerlich frei und froh.“
Bald aber ist der unermüdliche Helfer selbst dem Tod nahe. Er sei vor seinem Gesicht erschrocken, erinnert sich ein Mithäftling. „In hohem Fieber erglänzten die Augen, und die eingefallenen Wangen zeigten scharf geränderte rote Flecken. Etwas gekrümmt stand er da. Eng zog er seine dünne Häftlingsjacke zusammen, weil der Fieberfrost ihn schüttelte. Meine Mahnung zur Vorsicht beantwortete er mit einem freundlichen Lächeln. Er unterschätzte völlig seine gefahrvolle Lage und schien es nicht zu ahnen, dass der Tod ihn bereits unwiderruflich festhielt. Er wollte ja noch vielen helfen, und viele warteten auf seine Hilfe. An sich selbst jedoch dachte er nicht.“ Er war eben „gehorsam bis zum Tod“.
Am 2. März 1945, einen Tag nach seinem 34. Geburtstag, stirbt Pater Engelmar Unzeitig. Freunde schmuggeln seine aus dem Krematorium gerettete Asche aus dem Lager. Heute befindet sich die Urne in der Würzburger Herz-Jesu-Kirche.
Im Würzburger Kiliansdom wurde Pater Unzeitig im September 2016 im Auftrag von Papst Franziskus seliggesprochen; das Dekret, das ihn als Märtyrer anerkennt, hatte 2009 noch Benedikt XVI. unterzeichnet. Sein Gedenktag ist der 2. März – sein Todestag.
Christian Feldmann