Ein Besuch auf dem deutschen Soldatenfriedhof in Nazareth

Für Kaiser und Reich nach Palästina

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Ein fast vergessenes Kapitel der Geschichte: Norbert Schwake kümmert sich ehrenamtlich um den deutschen Soldatenfriedhof in Nazareth.

Foto: kna/Andrea Krogmann
Die Geschichte aufarbeiten: Norbert Schwake auf dem deutschen Soldatenfriedhof in Nazareth. Foto: kna/Andrea Krogamann


Ein verschlossenes Tor am Hang rechts neben dem Krankenhaus führt auf das Gelände. Ein paar schlichte Gräber, dahinter eine Mauer aus dem für die Region so typischen hellen Kalkstein. Links ein hoher Glockenturm, rechts, kaum wahrnehmbar, ein unproportioniert schmaler Durchgang, laut Friedhofsverantwortlichem Norbert Schwake "ein Markenzeichen des Architekten". Schräg darüber in den Stein gehauen: ein Adler, die Jahreszahlen 1914-1918, die Worte "Deutsche Kriegsgräberstätte". 250 gefallene deutsche Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg liegen hier begraben; Namenstafeln erinnern an 250 weitere, die an anderen Orten bestattet sind.

Einst, erzählt Norbert Schwake beim Betreten des Geländes, war hier der Lazarettfriedhof. Hier wurden die deutschen Gefallenen begraben. Heute dient dieser untere Teil des Geländes als Friedhof der Barmherzigen Brüder, in deren Trägerschaft das benachbarte Krankenhaus "Zur Heiligen Familie" liegt. Hier war der in Emmerich geborene Arzt Schwake Leiter der Gerontologie. "Der Friedhof war quasi unter meinem Fenster, Tag für Tag." Seit seiner Pensionierung hat der Mediziner, der seit über 50 Jahren in Israel lebt, im Auftrag des Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge die Schlüssel zum Friedhof. Inzwischen ist er selbst der Schlüssel zu den Schicksalen vieler, die hier begraben liegen.

Fast alles, was wir heute über die Gefallenen auf dem Friedhof in Nazareth wissen, hat Schwake akribisch ausgegraben. Die meisten deutschen Archive zum Ersten Weltkrieg nämlich sind im Frühjahr 1945 in Berlin-Spandau abgebrannt. "Außer in Bayern", sagt Schwake, "weiß man seit 1945 nicht mehr, wer im Ersten Weltkrieg Soldat war." Mit Ausdauer arbeitete er sich durch verbliebe Archive in München, Kirchenbücher in Jerusalem, das israelische Staatsarchiv und Krankenbücher deutscher Feldlazarette, die in einem zentralen Lager in Berlin liegen. In manchen Fällen half nur noch das Telefonbuch. "Meine Frau behauptet, ich sei verrückt."

 

Die persönlichen Schicksale lassen den Arzt nicht los

Seit 1984 lädt die Deutsche Botschaft jeweils zum Volkstrauertag auf den Soldatenfriedhof ein. In einer interreligiösen Feier erinnern dann neben den Religionsvertretern und einer Abordnung israelischer Soldaten vor allem die Militärattaches diplomatisch in Israel vertretener Nationen an die Opfer von Krieg und Tyrannei. "Die Würde, die Ruhe und die Friedlichkeit dieses Friedhofs kann uns nicht dabei helfen, was wir an diesem Tag gedenken", ermahnte Botschafterin Susanne Wasum-Rainer im vergangenen November. Wenn Europas Motto nach dem Zweiten Weltkrieg 'nie wieder' gelautet habe, sei die Lektion des Ersten Weltkriegs 'es kann wieder passieren', zitierte sie einen amerikanischen Journalisten. "Das ist genau der Grund, warum wie hier sind: Es darf nicht wieder passieren!"

Die Schleifen der Kränze der verschiedenen Landesvertreter bewahrt Schwake im Erdgeschoss des Glockenturms auf, mittendrin ein Rahmen voller Fotos. Sechs junge Männer in Uniform, verschiedene Zeiten, verschiedene Einheiten: "Die Militärgeschichte meiner eigenen Familie", sagt er. Im Aufgang des Turms hängen die verbliebenen Kreuze der gefallenen Flieger, gefertigt aus den Holzpropellern ihrer Maschinen. Dass auch die Geschichte und die Geschichten der Deutschen an der Palästinafront nicht verloren gehen, ist ihm ein großes Anliegen.

Die persönlichen Schicksale der Menschen ließen den Arzt im Ruhestand nicht los. "Die Militärgeschichte kann jeder nachlesen. Wie bist Du hierhergekommen? - Diese Frage ist meine eigentliche Herausforderung!" Die Geschichten, die Schwake auf diesem Weg zusammengetragen hat, könnten Bücher füllen. Und tatsächlich hat er mit der Unterstützung des Nachfahren eines in Nazareth begrabenen Fliegers 2009 eine ausführliche Geschichte der deutschen Soldatengräber in Israel veröffentlicht.

Bis in die 1930er Jahre, erzählt Schwake, lagen die deutschen Gefallenen über das ganze Land verstreut. Viele der Gräber waren in schlechtem Zustand - was aber letztlich den Versailler Verträgen widersprach, die die britische Mandatsregierung verpflichteten, für alle Gefallenengräber zu sorgen. So entstand dann 1935 der zentrale deutsche Soldatenfriedhof in Nazareth, auf 1.200 Quadratmetern, die die Briten für 999 Jahre dem Deutschen Reich verpachteten. Die Gefallenen wurden - soweit möglich - nach Nazareth umgebettet.

 

Die Lettern mit goldener Farbe nachgezogen

Auch der jüdische Gefallene Alfred Gerechter liegt hier mit seinen deutschen Landsleuten. Er starb am 30. April 1918 östlich des Jordans in Salt. Statt einem Kreuz ziert ein Davidsstern den Grabstein. Im Ersten Weltkrieg, sagt Norbert Schwake, haben prozentual mehr Juden an der Palästinafront gekämpft als ihr Anteil an der deutschen Bevölkerung.

Die Lettern auf den Grab- und Gedenktafeln hat Schwake selbst mit dem Pinsel in goldener Farbe nachgezogen. Sie nennen Namen, Todesdatum und Einheit der Gefallenen. Trotz der akribischen Arbeit Schwakes ist dies bei vielen alles, was man weiß. Alphabetisches Ordnungskriterium ist der Todesort. Amman, Beerscheba, Dschenin, Haifa, Nazareth, Salt - eine Landkarte eines unheiligen Kapitels des Heiligen Landes.

Die Palästinafront, erinnert Schwake, reichte vom Sinai bis Aleppo, über Bagdad und Mosul. "Kaiser Wilhelm besaß den Größenwahn, sich als Beschützer des Islam zu sehen." 16.000 Deutsche kämpften an der Seite der türkischen Verbündeten. Aber nicht nur: "Als sich abzeichnete, dass die Türken hier mit den Juden planten, was sie in der Türkei den Armeniern angetan hatten, hielten es die Militärs für im deutschen Interesse, die Juden im Heiligen Land vor den Türken zu schützen."

kna