Karnevalssitzung für Arme und Obdachlose in Köln
Für kurze Zeit die Probleme vergessen
Kaffee, Berliner, Schweinebraten statt kalter Küche: In Köln gibt es seit einigen Jahren eine Sitzung für Arme und Obdachlose.
Zum Damenründchen haben sich Erika, Helga und eine zweite Erika eingefunden. Sie sind Rentnerinnen, kennen sich aber auch von einem Obdachlosenfrühstück in Köln, wie sie sagen: Dort gehen sie manchmal hin, wenn es daheim finanziell nicht reicht. Am Dienstag sitzt das Trio frohgemut in der "Kölsche Fastelovendssitzung för ärm Lück" - einer Karnevalssitzung für arme Leute. Helga (80) trägt bei der 9. Auflage dieser Sitzung eine bunte Perücke auf dem Kopf. Erika (70) hat ein glänzendes Stirnband mit einer schwarzen Feder umgebunden, dazu fällt eine schwarze Federboa um ihren Hals. Die 67-jährige Erika ist nicht verkleidet.
"Es ist alles zu teuer", sagt sie und meint das Karnevalswesen. Der rheinische Karneval ist eine Zeit, in der nicht nur Kamelle mit vollen Händen ausgegeben werden - sondern häufig auch Geld. Für Getränke, Essen, Kostüme und die Teilnahme an Veranstaltungen. Arme und Obdachlose bleiben da außen vor. Die Karnevalsgesellschaft Kölner Husaren-Korps von 1972 hat daher eine spezielle Sitzung auf die Beine gestellt, bei der für die rund 400 Gäste alles kostenlos ist.
Die Gäste: eine bunte Mischung aus Menschen in Verkleidung und Zivil, die auf der Straße leben oder ein Zuhause haben, aber aus anderen Gründen nicht gut betucht sind, wie eben auch Rentner. "Das ist eine schöne Geste der Solidarität", sagt die 67-jährige Erika. Sie komme, um eine schöne Zeit zu haben, sich mit anderen Leuten zu treffen und "nicht so abseitszustehen".
Das bedeute normalerweise, ganz genau auf das Geld zu achten und in kein Cafe zu gehen. Früchte beziehe sie von einer Streuobstwiese, und wenn sie schon zu viel Energie im Monat verbraucht habe, bleibe die Küche kalt, erzählt Erika.
"Die Veranstaltung hat mich geerdet"
Am Dienstag stehen auf der Speisekarte Kaffee und Berliner, danach als Abendessen Schweinebraten, Kartoffeln, Erbsen und Möhren plus Nachtisch. Alkohol ist tabu. Ehrenamtliche Helfer servieren Speisen und Getränke. Darunter ist Frank Reimann, Mitarbeiter eines Kölner Unternehmens. Er und einige Kollegen laufen mit Kannen und Tellern durch die Reihen. "Die Veranstaltung hat mich geerdet", sagt er.
Weit vorne an der Bühne sitzt Schwester Franziska, Franziskanerin und Obdachlosenseelsorgerin in Köln. Sie wolle "Leute treffen" und lobt die Sitzung för ärm Lück. Mit Handschlag begrüßt sie einen der Gäste. Der 63-Jährige sagt, er gehe als "Lumpenmann" - ein klassisches Kostüm mit vielen bunten Stofffetzen. Er stellt sich als Johnny Orlando vor, auch er Rentner - und Stammgast. "Ich komme seit sieben Jahren hier hin", sagt er. Er möge die Atmosphäre, das Programm, Speis und Trank.
Die Idee, für Obdachlose und Bedürftige eine Sitzung auf die Beine zu stellen, kam vor etwa zehn Jahren auf, wie der erste Vorsitzende des Kölner Husaren-Korps, Alfred Schäfer, erzählt. "Wir wollten auch etwas für bestimmte Randgruppen machen." Die erste Obdachlosensitzung gab es dann 2010.
Finanziert wird die Sause, die laut Veranstalter die einzige ihrer Art in der Domstadt ist, auch über Partner und Sponsoren, Künstler und Musiker treten ohne Gage auf, wie Schäfer betont. Viele Besucher seien Stammgäste, andere kämen über Kölner Sozialeinrichtungen und Kirchengemeinden. Der Veranstaltungsort "Wolkenburg" stelle die Küche zur Verfügung, aus den Reihen der Husaren komme der Koch.
Eine Weile die Probleme vergessen
"Wir gucken, dass es den Gästen hier gut geht", so Schäfer. Sie sollten für eine Weile vergessen, welche Probleme sie im Alltag hätten. Manche seien obdachlos, andere hätten Arbeit und Familie verloren. "Es freut uns, dass wir den Leuten einen kleinen Gefallen tun können."
Und manchmal ist es wohl auch ein großer Gefallen - zum Beispiel als am Dienstag die Kölner Kult-Band "Höhner" ("Viva Colonia") die Bühne betritt. Da gibt es kein Halten mehr: Gäste, Husaren, Service- und Küchenkräfte schunkeln, klatschen und tanzen gemeinsam, die Liedtexte können die meisten ohnehin mitsingen. Rheinischer Frohsinn an und zwischen den Tischen und direkt vor der Bühne. Auch Erika, Helga und Erika klatschen vergnügt mit. "Es ist schön", sind sie sich einig.
kna