Rechte Christen
Füttern mit Feindbildern
Rechte Organisationen nutzen die Pandemie für ihre Propaganda. Juristin Liane Bednarz warnt vor diesem Einfluss, auch unter Christen. Bischöfe und Gemeinden müssen über diese wachsende Bedrohung aufklären, fordert sie.
Ist jeder konservative Christ heute gleich ein rechter Christ?
Nein, auf keinen Fall. Man muss aufpassen, nicht alle Konservativen in die rechte Ecke zu stellen. Davor warne ich ausdrücklich. Aber es gibt zurzeit eine große Verwirrung darüber, was konservativ heißt. Das hat viel mit der Neuen Rechten zu tun, deren führende Vertreter sich gerne als „konservativ“ bezeichnen. Die Grenze ist in der Theorie klar, in der Praxis aber manchmal fließend, das macht es so gefährlich. Es gibt immer mehr Menschen, die sich für konservativ halten, aber mittlerweile rechte Feinbilder übernommen haben, auch in der Kirche. Rechte Christen sind zwar noch eine Minderheit, aber sie sind laut und aktiv. Sie haben umfangreiche Netzwerke und Aktionsformen und unterwandern Kirche und Gesellschaft.
Woran erkennt man rechte Gesinnung?
Rechte Christen haben ein klares Feindbild und meinen, das christliche Abendland schützen zu müssen. Wenn Menschen zum Beispiel anfangen, vom „Bevölkerungsaustausch“ oder der „Lügenpresse“ zu sprechen, sollten die Alarmglocken schrillen. Inhaltlich geht es besonders
um die angebliche „Islamisierung“ und den sogenannten „Genderwahn“. Über beide Themen reden nach rechts gedriftete Christen Bedrohungsszenarien herbei und verstärken damit den Einfluss rechter Populisten. Als erklärte Christen erscheinen sie weniger gefährlich und haben einen gewissen Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsvorschuss. Vertreter der AfD und der Neuen Rechten treten zum Beispiel immer wieder dezidiert als Christen auf. So sagte der radikal rechte Verleger Götz Kubitschek schon 2016 in „3sat-Kulturzeit“: „Wenn Sie das jetzt von einem gläubigen Christen hören wollen: Das deutsche Volk ist eben ein Entwurf Gottes.“
Kann man als Christ auch Nationalist sein?
Rechte Christen interpretieren das Christentum anders. Zum Beispiel beim Gebot der Nächstenliebe: Der „Nächste“ ist mein Ehemann, meine Ehefrau, meine Familie, mein Land, vielleicht Europa – aber nicht der Syrer. Er ist der „Fernste“. Auch sind sie oft autoritätsfixiert und hierarchisch orientiert.
Was ist mit den Katholiken, die sich einfach nur Sorgen um die Integrationsfähigkeit Deutschlands machen?
Es ist eine klassisch konservative Position, sich Sorgen zu machen zum Beispiel um die Integrationsfähigkeit der Zuwanderer. Konservative pflegen bestimmte Traditionen, haben oft ein starkes Heimatgefühl und üben Kritik an bestimmten 68er-Diskussionen. Aber sie verachten die liberale Moderne nicht, sind nicht reaktionär. Sie fordern, dass sich das Neue erst gegenüber dem Alten als überlegen erweisen muss, bevor man es umsetzt. In die rechte Richtung gehen dagegen radikales Gedankengut, das Schüren von Ängsten und Panik und das klare Denken in Feindbildern und völkisch-ethischen Kategorien.
Nimmt rechtes Denken zu?
Ja, absolut. Und es wird gesellschaftsfähig. Auch ich selbst erlebe immer mehr Menschen, die anfangen, rechtes Gedankengut zu propagieren. Wenn man versucht, mit ihnen zu diskutieren, dann geht das oftmals kaum. Sie sind wie gehirngewaschen, das hat schon sektenähnliche Züge. Auch auf meinen Vorträgen berichten Besucher von erschütternden Erlebnissen mit Freunden, die sie plötzlich nicht mehr wiedererkennen, da sie stundenlang vor dem Internet sitzen, sich in Feindbildern verbarrikadieren und zum Teil in Verschwörungstheorien hineinsteigern.
Wie geschieht die Gehirnwäsche?
In der rechten Szene gelten die normalen Medien vielfach als „Lügen- oder Lückenpresse“. Die Menschen lesen bevorzugt Alternativmedien, wie die „Junge Freiheit“, die auch als Sprachrohr der gemäßigten also nicht radikalen Neuen Rechten gilt und schon lange von vielen sehr frommen Christen gelesen wird. Auch der radikale neurechte Verleger Kubitschek publiziert Schriften mit rechtem Gedankengut. Die Leute übernehmen das Vokabular und glauben es. Ich bin entsetzt, wer mittlerweile alles von „Islamisierung“ spricht. Zudem werden oft alte Freunde verstoßen und man füttert sich nonstop mit neuen Feindbildern.
Was können Christen tun, um dem entgegenzuwirken?
Es gibt eine wunderbare Orientierungshilfe der Deutschen Bischofskonferenz. Darin wird gut erklärt, wo die Grenzverschiebung stattfindet, wie man rechtes Gedankengut erkennt und gegenargumentieren kann. Ansonsten müssen wir auch in den Kirchengemeinden viel konsequenter aufklären. Jede Gemeinde kann einen Referenten zu diesem Thema einladen, Gesprächsabende veranstalten – immer auch mit der Offenheit für die Menschen, die so geworden sind. Wir müssen die Grundlagen des Christentums wieder neu erklären. Auch in Predigten kann das geschehen. Man kann da viel machen und ich habe den Eindruck, dass vor allem die Akademien und Bildungseinrichtungen das Thema jetzt verstärkt aufgreifen.
Aber die Kirche positioniert sich doch schon sehr klar.
Ja, es gibt klare Statements, und die Bischöfe werden dafür oft heftigst von rechts angegriffen. Auch Bischof Bode wird davon berichten können. Und sogar Kardinal Woelki, der ja theologisch als sehr konservativ gilt, erfuhr viel Hass, als er sich 2015 klar und offen gegen Pediga ausgesprochen hat. Die Szene ist sehr gut vernetzt und wird oft ausfallend und respektlos. Das ist nicht leicht auszuhalten. Sie versuchen, die Bischöfe unter Druck zu setzen. Sie positionieren sich nach außen hin zwar stark, scheuen aber noch zu sehr den Konflikt in den eigenen Reihen. Das ist eine echte Herausforderung für die Kirchen.
Wie reagieren rechte Christen in der Corona-Krise? Sind sie für rechte Verschwörungstheorien empfänglich?
Die Reaktionen innerhalb des rechtschristlichen Milieus auf die Corona-Krise sind gespalten. Teilweise ist das Feindbild Merkel unter ihnen nach wie vor so groß, dass ihr nur Schlechtes unterstellt wird oder von der „Einheitsmeinung regierungstreuer Virologen“ gesprochen wird. Andere immerhin zeigen in der Krise zumindest zeitweilig Vernunft und widersprechen in den sozialen Medien solcher Scharfmacherei.
Interview: Astrid Fleute
Die Arbeitshilfe der Bischofskonferenz finden Sie hier. Über die Gefahr und die Netzwerke rechter Christen hat die Hamburgerin Liane Bednarz ein Buch geschrieben. „Die Angstprediger“ ist erschienen bei Droemer Knaur, hat 256 Seiten und kostet 16,99 Euro.