4500 Pilger bei der Wallfahrt
"Gänsehautmomente" in Telgte
4500 Pilger sind nach langem Fußmarsch in Telgte angekommen. Dass die Tour von Osnabrück aus nicht umsonst die größte Fußwallfahrt im deutschsprachigen Raum ist, zeigten sie auf beeindruckende Weise.
Die Osnabrücker kommen pünktlich. Das wissen alle, die an der Telgter Wallfahrt beteiligt sind: die Pilger und Wallfahrtsvereine, die zum großen Pilgerzug dazustoßen, die Gastronomen, die an den Rastplätzen Getränke und Speisen bereitstellen, die Polizei, die die Straßen absperrt, die Zuschauer an den Straßenrändern. So war es auch 2022. Nach zwei Jahren Pause machten sich insgesamt 4500 Pilger frühmorgens auf den Weg, um von Osnabrück aus gemeinsam zur Muttergottes nach Telgte zu pilgern. Nicht alle gingen die 46 Kilometer auf der Bundesstraße zu Fuß – der überwiegende Teil der Pilger reihte sich unterwegs unkompliziert in den großen Pilgerzug ein.
Seit 170 Jahren findet die Traditions-Wallfahrt statt. Wer dabei ist, hat nicht das Gefühl, dass die Kirche und diese Tradition veraltet sind. Das Durchschnittsalter der Pilger ist mit 30 Jahren sehr jung. Pandemiebedingt fehlten in diesem Jahr vor allem ältere Menschen, so der Eindruck vieler Pilger. Einige der Teilnehmer sind keine regelmäßigen Kirchgänger mehr, aber mit dieser Wallfahrt doch fest verbunden. Für sie ist es eine „Auszeit für den Glauben“, ein „Wochenende zur Besinnung und Selbstreinigung“. Selbst ihren Urlaub richten sie danach aus. So erzählt eine Pilgerin, die extra aus Münster angereist ist: „In Telgte zur Maria zu gehen, sie zu berühren und seine Sorgen und den ganzen Ballast, den man auf der gesamten Strecke mit sich geführt hat, dort abzuladen – das hat etwas Befreiendes.“ Sie gehe als „neuer Mensch“ nach Hause und habe „Hochachtung“ vor allen, die die Strecke am Sonntag auch wieder zurücklaufen.
So wie sie gibt es viele Teilnehmer, die aus anderen Städten und Bistümern anreisen, um mit den Osnabrückern zu pilgern. „Diese Wallfahrt ist einfach perfekt organisiert, es passt alles bis auf die Minute“, bestätigt Andreas Große-Hüttmann aus Telgte, der die Wallfahrt seit vielen Jahren von Osnabrück aus mitgeht. „Es sind so viele Sachen, die hier faszinierend sind. Irgendwann hast du Blut geleckt“, sagt er und nennt dabei sowohl die Masse der Pilger und die sportliche Herausforderung sowie das Gemeinschaftserlebnis, das er auf der größten Fußwallfahrt Deutschlands jährlich erlebt.
Schomaker seit 35 Jahren technischer Leiter
Ein Mann, der hinter der perfekten Organisation steckt, ist Karlheinz Schomaker aus Osnabrück. Seit 35 Jahren ist der mittlerweile 80-Jährige der Technische Leiter der Wallfahrt. Unter seiner Regie ist die Telgter Wallfahrt stark gewachsen und weit über die Grenzen des Bistums hinaus bekannt geworden. Altersbedingt will er in nächster Zeit etwas kürzertreten und bemüht sich um ein Nachfolgeteam. Es sei aber noch unklar, ob dies nun wirklich seine letzte Wallfahrt als Leiter gewesen sei, betont er. Zunächst freue er sich sehr, dass „wir dieses Jahr endlich wieder pilgern können“. Er wisse, dass die Wallfahrt für viele Tausend Menschen ein „Höhepunkt des Jahres“ sei: „Man denkt immer, das ist nur eine sportliche Herausforderung. Ein großer Anteil nimmt aber auch seelische Anliegen mit nach Telgte.
Um der Gottesmutter in Telgte ihre Sorgen und ihren Dank zu bringen, nehmen die Pilger einige Strapazen auf sich: bis zu 46 Kilometer Wegstrecke bei flottem Tempo zu Fuß auf der Bundesstraße, Blasen, Muskelkater und Wadenkrämpfe, Kreislaufprobleme sowie teilweise ein wenig aus der Zeit gefallene Lieder und Gebete, die unterwegs gebetet werden. „Beten und Singen hat auch etwas Befreiendes“, betonen einige. Und: „Diese alten Texte und Lieder passen einfach zum Schritttempo und haben auch etwas Kontemplatives“. Thorsten Peistrup aus Georgsmarienhütte fasst es so zusammen: „Ohne diese Wallfahrt geht es einfach nicht.“ Der 49-Jährige ist seit 25 Jahren dabei und lässt sich zwischendurch ein Teilstück vom Auto mitnehmen, um Kräfte zu spare. Aber auch, um Gebetspassagen, die ihm nicht behagen, zu überspringen. Dennoch ist er begeistert und schwärmt: „Die Abendandacht in Telgte, das Miteinander dort, das ist etwas ganz Besonderes. Wer da hingeht und nicht berührt wird, der hat die Wallfahrt nie geliebt.“
Fahnen, Banner und Wimpel, Halstücher, T-Shirts, Jacken, Stempel und Schärpen – viele Pilger, Gemeinden und Wallfahrtsvereine haben Erkennungsmerkmale, die sie auf der Wallfahrt mitführen und tragen. Das verbindet, schafft Gemeinschaft. Und es macht stolz, Fahnenträger zu sein und damit in den Ort einzuziehen. Von der Wallfahrtsleitung werden darüber hinaus Buttons mit dem Motto der Wallfahrt („Himmel und Erde berühren“), gelbe Armbänder sowie das Pilgerbuch verteilt. Mit leuchtend rosa T-Shirts fällt Familie Gerigk aus Holzhausen sofort ins Auge. „Als Glaubende gehen wir unseren Weg“ steht auf ihrem Rücken. Nur für die Wallfahrt werden die Shirts jährlich aus dem Schrank geholt, erzählen sie. Seit vielen Jahren stößt die zehnköpfige Gruppe in Oesede zum Pilgerzug dazu. Jeder von ihnen hat ein Anliegen, das er mit sich trägt. „Es macht Spaß hier. Das gemeinsame Miteinander ist es, was einen trägt. Alleine schafft man das nicht“, betonen sie auch mit Blick auf die vielen Kilometer. Der gemeinsame Einzug nach Telgte am Ende der Strapaze sei immer wieder ein „Gänsehaut“-Erlebnis: „Es stehen so viele Leute an der Straße, die jahrelang selbst mitgegangen sind. Die applaudieren und haben oft Tränen in den Augen“. Hier werde einem bewusst, in welcher langen Tradition man stehe.
Unterwegs bei großer Hitze oder starken Unwettern
Davon wissen vor allem die älteren Teilnehmer zu berichten: Wie früher Männer und Frauen getrennt und in Zweier-Reihen gehen mussten und unzählige Ordner penibel für einen geregelten Ablauf sorgten. Oder wie die Pilger trotz großer Hitze und starker Unwetter seit 1852 immer wieder ihr Ziel erreichen. So geben sie ihre Erinnerungen an Kinder und Enkel weiter. Dass diese Wallfahrt keine überholte sondern eine lebendige Tradition sei, „weil Menschen aufbrechen und unterwegs sind“, betonte auch Bischof Franz-Josef Bode in seiner Ansprache an der Klause in Oedingberge. Diese Wallfahrt sei eine „Demo eines unerschütterlichen Glaubens und einer unverschämten Hoffnung“ und ein Zeugnis, „dass der Himmel sich auch heute noch über dieser so geschundenen Erde öffnet“, betonte er auch mit Blick auf Kriege, Klimakatastrophe, Pandemiefolgen und die Krise in der Kirche, auf die Christen stärker reagieren müssen. Bode: „Gott erspart uns diese Härte nicht, aber er lässt uns nicht allein.“
Astrid Fleute