Flüchtlinge in Hildesheim

Gäste auf unbestimme Zeit

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Von ihren gerade ein Jahr alten Vierlingen werden Martha und Mirco Weiß ohnehin rund um die Uhr auf Trab gehalten. Trotzdem haben sie drei Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen. Seit drei Wochen sind Tetiana Avrakhova mit ihrem Sohn und ihrer Mutter in der Wohnung einquartiert.


Den Sonnenschein genießen. Die Familie Weiß beim
Spaziergang mit ihren Vierlingen und den neuen Mitbewohnern.

„Das war eine spontane Reaktion. Wir haben Platz in der Wohnung, das Gästezimmer steht leer. Also haben wir uns entschlossen, es zur Verfügung zu stellen“, sagt Mirco Weiß. Der Kolpingdiöze­sansekretär erinnert sich noch genau daran, als Krystian Reichel, mit dem das Kolpingwerk seine Ukraine-Hilfe koordiniert, drei Flüchtlingsfamilien ankündigte, für die er kurzfristig eine Unterkunft brauchte. Das war ein Donnerstag, der 10. März. „Am nächsten Tag war es soweit. Wir konnten eine Familie auf dem Pferdeberg in Duderstadt unterbringen, eine in Giesen und die Familie Avrakhova haben wir bei uns aufgenommen“, sagt Weiß.

Sozusagen über Nacht hat sich der Hausstand von Familie Weiß um Tetiana Avrakhova (47), ihre Mutter Valentina Studnikova (69) und dem 11-jährigen Sohn Illia vergrößert. Miteingezogen ist auch Hundedame Ruby, die ebenfalls die 16-stündige Fahrt von der Ukraine bis Hildesheim im Auto mitgemacht hat. Zurückbleiben musste der Ehemann, da Männer zwischen 18 und 60 Jahre nicht ausreisen dürfen, um die Heimat gegen die russischen Invasionstruppen zu verteidigen.

Für Familie Weiß hat sich einiges verändert. „Die Wohnung ist zwar groß und man kann sich auch aus dem Weg gehen, aber das Privatleben ist zurzeit ganz schön eingeschränkt. Und der Hauptaufenthaltsraum ist unser Wohnzimmer“, beschreibt Martha Klawitter-Weiß. Hier sitzt auch Illia und folgt am Tablet dem Online-Unterricht, den seine Schule in Kiew immer noch erteilt.

Reden, wenn Tränen fließen

„Das Internet ist für die Familie ein ganz wichtiges Bindeglied zu den Angehörigen in der Ukraine. Wenn das Internet mal wackelt, dann werden sie nervös, machen sich Sorgen“, weiß Klawitter-Weiß. Auch wenn es per Handy neue Bilder aus der Heimat gibt, schlechte Nachrichten eingetroffen sind, merkt man das sofort. „Dann ist die Stimmung gedrück, dann fließen auch Tränen und wir können nicht einfach zum Tagesgeschäft übergehen oder gute Nacht sagen und verschwinden. Dann setzt man sich natürlich noch einmal dazu, redet miteinander.“

Auf der einen Seite merkt man den ukrainischen Gästen die Belastung und die Sorgen an, auf der anderen Seite wollen sie im Haushalt mithelfen, wollen nicht untätig herumsitzen. „Tetiana und ihre Mutter kochen oft für uns oder helfen bei der Betreuung der Vierlinge. Dann habe ich Zeit und kann zum Beispiel für die Familie Anträge und andere Formulare ausfüllen“, beschreibt Klawitter-Weiß. Davon hängt auch ab, ob die Flüchtlinge finanziell vom Staat unterstützt werden. „Gerade am Anfang hat das Gerücht die Runde gemacht, dass man, wenn man einen Asylantrag stellt, seine Papiere, seinen Pass abgeben müsse und dann nicht mehr in die Ukraine zurückkehren könne. „Und die Ukrainer wollen zurück, so schnell wie möglich. Aber wie lange das noch dauern kann, kann keiner sagen. Sie sind Gäste auf unbestimmte Zeit.“

Es sei aber nicht damit getan, privaten Wohnraum zur Verfügung zu stellen, findet Weiß, „sondern es ist eine Art Betreuung, die man mit diesem Schritt eingeht“. „Dann tut mal der Zahn weh und man muss einen Zahnarzt finden der Russisch oder Ukrainisch sprechen kann. Ich glaube, das muss man sich vorher klar machen, wenn man privat Wohnraum für Flüchtlinge zur Verfügung stellt“, ergänzt seine Frau.

Der Zusammenhalt ist für die Ukrainer wichtig

Inzwischen sind auch Tetianas Schwägerin und deren Sohn in Deutschland angekommen. Zusammen mit anderen Ukrainern haben sie eine Unterkunft in Giesen gefunden. „Da dort wenig Platz ist, kommen sie oft auch zu uns, um Zeit miteinander zu verbringen, dann kann es sein, das wir plötzlich mit 15 Personen im Wohnzimmer sitzen und gemeinsam essen. Aber diese Begegnung, das sich gegenseitig Mut und Hoffnung machen, das sich trösten ist für die Ukrainer sehr wichtig“, berichtet Klawitter-Weiß.

Ihre Gäste jedenfalls sind froh, dass sie im Hause Weiß eine sichere vorübergehende Bleibe gefunden haben. „Wir sind sehr dankbar dafür und wissen, dass das nicht selbstverständlich ist, Menschen, die man nicht kennt, mit offenen Armen bei sich aufzunehmen“, versichert Tetiana Avrakhova.

Wer selbst privaten Wohnraum  für Flüchtlinge zur Verfügung stellen will, kann sich wenden an: www.host4ukraine.com

Edmund Deppe