Krankenhausseelsorger Vincenc Böhmer im Interview

Ganz nahe an den Menschen

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Das Malteser-Krankenhaus in Kamenz behandelt seit der ersten Corona-Welle Covid 19-Patienten. Vincenc Böhmer (35) arbeitet in dem Krankenhaus als Seelsorger. Im Interview spricht er über seine Erfahrungen:

Seit Beginn der Corona-Pandemie gehört das Tragen von Schutzkleidung und der häufige Kleidungswechsel zum Alltag von Seelsorger Vincenc Böhmer: „Wir müssen alles tun, um Patienten und Mitarbeiter zu schützen.“    Fotos: Stephanie Hänsch

 

Wie verändert Corona die seelsorgerlichen Gespräche mit den Patienten?

Corona ist in mehrere Hinsichten eine besondere Herausforderung für uns hier im Krankenhaus. Wir müssen als Krankenhaus alles Mögliche tun, damit die Patienten möglichst geschützt sind, aber eben auch wir als Mitarbeiter. Das hat am Anfang für viel Verunsicherung gesorgt und ich muss ganz ehrlich auch zugeben, bei mir zu einer Zurückhaltung. Ich habe dann gesehen, welche Möglichkeiten mir für den Patientenkontakt zur Verfügung stehen und relativ schnell für mich die Situation geklärt. Das bedeutet natürlich, dass mein Alltag oft in Schutzkleidung abläuft und immer wieder mit dem Wechsel der Kleidung einhergeht. Aber letztlich ist da jetzt so eine Routine drin, dass es mittlerweile nichts Besonderes mehr ist, auf die ITS oder in den isolierten Bereich der Station Barbara zu gehen, dort die Patienten zu besuchen und auch für die Mitarbeiter da zu sein.

Wie geben Sie Halt, um die Menschen nicht mit ihren Sorgen allein zu lassen?

„Schicken Sie mich zu den Patienten, wo Sie meinen, es ist sinnvoll! Sagen Sie mir, was ich für Sie tun kann?“ Entscheidend ist, dass die Menschen nicht mit ihren Sorgen allein sind, dass ich sie begleite, ihnen Halt geben kann, auch, wenn sich Wünsche nicht erfüllen lassen. Wir müssen weiter hinhören und uns dann fragen, was wir tun können.
Gerade kurz vor dem Tod gibt es Menschen, die voller Zuversicht sich freuen, gehen zu können. Anderen fällt es in den letzten Minuten des Lebens schwer loszulassen, aus Sorge um die Familie zum Beispiel. Manchmal quälen Streitigkeiten und der Wunsch nach einer Versöhnung oder danach, einen bestimmten Menschen ein letztes Mal zu sprechen. In solchen Situationen versuche ich, den Menschen die Kraft zu geben, voneinander Abschied zu nehmen.

Freud und Leid. Was haben Sie Besonderes miterlebt?

Ein tragisches und dramatisches Erlebnis: Wir hatten ein Ehepaar bei uns, beide in den 80ern und mit Covid-19 eingeliefert, die auch zusammenlebten, und zusammen auf der Station untergebracht waren. Es war absehbar, dass sich der Zustand der Frau verschlechtert. Die Frau ist dann bei uns verstorben und im selben Zimmer neben ihrem Mann eingeschlafen. Das macht die Sache nicht besser, schöner oder versöhnlicher, aber so war es. Und wir haben dann überlegt, was könnte diesem Mann gut tun. Die Idee war dann, ihn mit einem anderen Mitpatienten zusammenzulegen, der in einer ähnlichen Situation ist. Dessen Frau in Dresden im Krankenhaus behandelt wurde.
Da waren nun zwei Männer mit Corona bei uns auf der Corona-Normalstation in einem Zimmer. Der eine hatte seine Frau verloren, der andere bangte um seine Frau, die er nicht mehr besuchen und mit der er nicht mehr telefonieren konnte, weil sie beatmet wurde. Nur über die Kinder, die in Dresden anriefen und ihn später immer wieder informierten, erfuhr er Neues. Bei ihr war schon zu befürchten, dass sie es aller Voraussicht nach auch nicht schafft. Sie ist drei Tage später verstorben.
Ich war dann bei beiden Männern und wir haben alle zusammen versucht, für sie, so gut es geht, da zu sein. Ich habe auch die Hoffnung, dass es gut gelungen ist. Bei all der Traurigkeit und der dramatischen Entwicklung, war es gut, dass die beiden sich in der Situation beistehen konnten und dass wir als Krankenhaus, im Rahmen unserer Möglichkeiten, so gut es ging, für sie da waren.

Wie haben Sie die Belastungen durch Corona für die Mitarbeiter wahrgenommen?

Als eine schwere Zeit ist mir die Advents- und Weihnachtszeit in Erinnerung, als sich die Corona-Situation zuspitzte. Viel Personal war in Quarantäne, es herrschte eine Ausnahmesituation und an Besinnlichkeit war nicht zu denken. An einem Tag sind fünf Patienten auf einer Station gestorben. Das hatte die Mitarbeiter extrem mitgenommen. Wir wussten nicht, wo das hinführen sollte, und hatten zu kämpfen, die Patienten zu versorgen.
Ja, es ist eine besondere Situation. Corona ist Dauerthema in den Medien. Ich nehme wahr, dass das viele Mitarbeiter sehr beansprucht. Einerseits werden sie hochgejubelt: „Ihr seid die Helden!“, und jetzt die Diskussion: „Na, soviel haben die kleineren Krankenhäuser ja nicht gemacht mit Corona-Patienten“, wenn es um die Corona-Hilfen für Kliniken geht. Es ist ein verheerendes Zeichen an die Mitarbeiter: Was sie geleistet haben, leisten und leisten werden, ist nicht wichtig. Dabei merken wir allerdings, dass jede einzelne Klinik benötigt wird, um die Krise zu bewältigen – und dafür muss ausreichend Geld allen Kliniken gleich zur Verfügung gestellt werden.

 

Vincenc Böhmer arbeitet seit über sieben Jahren als Seelsorger im Malteser-Krankenhaus.

 

Woher nehmen Sie selbst Kraft?

In allererster Linie und grundsätzlich ist mein Antrieb, hier im Krankenhaus tätig zu sein, von Gott hierher gestellt zu sein. Und jeden Tag hier in meinem Dienst gerufen zu werden. Egal, ob der Tag gut oder schlecht war, ich fühle mich bestärkt. Das, was ich hier in den Begegnungen bewirken oder erleben darf, darf ich auch Gott anvertrauen. Er traut mir das zu und ich vertraue ihm, mich nicht über Gebühr zu fordern, so dass ich daran zugrunde gehe.
Das Miteinander hier im Krankenhaus gibt viel Kraft. Es ist ein gutes, gegenseitiges Miteinander, in dem wir nicht nur zusammenarbeiten und für Patienten da sind, sondern wir einfach auch Freude miteinander haben. Mit dieser Freude geht es nochmal ganz anders. Dann ist da die Begegnung mit den Patienten, die jedes Mal anders ist. Ich muss mich da immer überraschen lassen. Selbst bei Patienten, die ich kenne, ist jede Begegnung neu und ist einzigartig. Gerade diese Einzigartigkeit, diese Neugier nach dem Anderen spendet mir Kraft. „Wie geht es Ihnen heute? Geht es Ihnen besser oder schlechter? Was kann ich heute für Sie tun?“ Und wenn es nur das ist, dass sie mir sagen: „Ich brauche meine Ruhe.“ Wenn ich ihnen dann diese Ruhe geben kann, entweder weil ich mich zum Patienten setzte und still bin oder indem ich den Schwestern und Ärzten sage, dass er jetzt seine Ruhe braucht.

Herr Böhmer, Sie sind seit über sieben Jahren Seelsorger am Malteser Krankenhaus St. Johannes. Hat sich in dieser Zeit die Wahrnehmung auf den Beruf geändert?

Ich bin nicht Seelsorger geworden, weil ich gerade einen Job gesucht habe, sondern, weil ich denke, das ist die Berufung, für die Gott mir diese Kraft gibt, für Menschen in Freud und Leid da zu sein. Für mich ist es ein tägliches Dazulernen. Das sich Einlassen auf den anderen bedeutet auch, bewegt werden vom anderen. Und jede Bewegung bewirkt auch Veränderung. Es ist vielleicht auch schade, dass mir ein bisschen Jugendhaftigkeit abhanden gekommen ist, was sicher das eine oder andere Mal früher ausgeprägter war und andererseits bin ich einfach dankbar über all die Sensibilität, die ich ein Stück weit durch die Erfahrung einüben konnte. Letztlich geht es ja darum, dass ich spüre, was von dem, was ich mitbringe, kann ich dem anderen anbieten?

Was kann man Ihnen Gutes tun?

Ich bin fast wunschlos glücklich, denn meine Arbeit ist genauso, wie es sich viele Seelsorger wünschen – ganz nah am Menschen. Ich stoße auf viel Offenheit und wenig Vorbehalte, egal ob ich zu Christen gehe oder zu kirchlich völlig fernen Menschen. Alle sind größtenteils sehr offen, haben Interesse mehr kennenzulernen oder wollten immer schon mal mit einem Seelsorger sprechen. Von daher könnte es nicht schöner sein.
Was ich mir dennoch wünsche…einen Perspektivwechsel im doppelten Sinn: Zum einen die Anerkennung der Seelsorge im palliativen Bereich. Da kam es Ende letzten Jahres zu einer denkwürdigen Entscheidung der Krankenkassen, die sich gegen die Anerkennung der Seelsorge für die Versorgung der Patienten auf Palliativstationen ausgesprochen hat – entgegen deutscher Rechtsprechung und entgegen der Empfehlung der palliativen Fachgesellschaften.
Zum anderen haben wir alle begrenzte Kraftressourcen und müssen daher die uns verfügbaren Kräfte sinnvoll – manche würden sagen effektiv – einsetzen, um durch diese Krisenzeit zu kommen. Ich wünsche mir mehr Zuversicht statt Angst. Angst kann uns vor Gefahren schützen. Dennoch ist dauerhafte Angst ein schlechter Begleiter. Angstgeführte Situationen führen uns oftmals nicht aus der Krise heraus. Das wissen wir aus unserem eigenen Leben. Im Gegenteil können Ängste auch zu Stressfaktoren werden, die das Immunsystem belasten, krank machen und innerlich lähmen. Ängste rauben Kraft, anstatt die Kräfte freizusetzen, die benötigt werden, um diese aktuelle Situation auszuhalten. Jesus hat uns ins Herz gelegt, dass wir zuversichtlich sein dürfen, selbst in der größten Not unseres Lebens. Diesen Glauben wünsche ich mir auch mehr bei denen, die politische Verantwortung tragen.

Interview: Stephanie Hänsch