Seelsorger bieten Gespräche an
„Ganz Ohr" auf dem Friedhof
Jeden Mittwoch hören auf dem Friedhof in Bremen-Osterholz Seelsorger zu – egal ob es um Trauer geht oder um Fußball. „Ganz Ohr“ heißt dieses besondere Gesprächsangebot.
Idyllisch liegt die Nordkapelle im Schatten der Bäume auf dem Friedhof im Bremen-Osterholz. Vieles auf dem Friedhof erinnert eher an einen Park, außer vielleicht die Autos. Denn das weiträumige Gelände muss meistens befahren werden, um zu einer der rund 100 000 Grabstätten zu kommen. Vor der Kapelle stehen jeden Mittwoch Bernhard Tenberge oder einer seiner katholischen und evangelischen Kollegen um allen zuzuhören, die mit ihnen sprechen wollen.
„Ach, das habe ich ja gar nicht gewusst, dass sie hier sind. Wissen Sie, mein Mann ist schon fünf Jahre tot und ich bin immer noch so traurig“, begann eines der ersten Gespräche, die Tenberge beim Angebot „ganz Ohr“ auf dem Friedhof geführt hat. Und so laufen viele Unterhaltungen ab. „Es sind eigentlich immer eher Zufallsgespräche“, sagt der 67-Jährige. Nach wenigen Minuten sei man dann aber oft bei einem sehr persönlichen Thema.
Seit rund zehn Jahren betreut Tenberge zusammen mit einer Psychologin einen Trauergesprächskreis in Bremen. Daraus hat sich auch die Idee entwickelt, ein Gesprächsangebot auf dem Friedhof in Osterholz anzubieten, erzählt er.
In der Gesellschaft werde heute erwartet, dass Menschen einen Verlust schnell verarbeiten. Gelegenheiten, um auch nach einiger Zeit über die eigene Trauer zu sprechen, gebe es kaum. „Die meisten Menschen brauchen sicher ein Jahr, um mit dem Verlust eines Angehörigen fertig zu werden. Und die Zeit sollte man ihnen auch lassen“, sagt Tenberge mit Nachdruck.
Nach seiner Pensionierung vor zwei Jahren habe er Zeit gehabt, das Angebot ins Leben zu rufen und ein Team mit zwölf katholischen und evangelischen Seelsorgerinnen und Seelsorgern aufzustellen. „Es war uns wichtig, dass das Hauptamtliche machen, die etwas von Seelsorge verstehen und damit jeden Tag zu tun haben“, sagt der ehemalige Pastoralreferent. Dass es sich um Kirchenvertreter handelt, mit denen sich die Besucher unterhalten können, steht groß auf dem violetten Plakat vor dem Eingang der Nordkapelle.
Keiner sagt: „Ich mache es nicht mehr“
Auch wenn sich das Angebot hauptsächlich an Trauernde und Friedhofsbesucher richtet, sind die Seelsorger für alle Themen offen. „Man kann uns alles fragen. Wenn jemand über Werder Bremen reden will, kann ich das auch“, sagt der 67-Jährige und schmunzelt.
„Das ist einfach ein Dienst an Trauernden, so sehe ich das. Man tritt als Kirche noch mal nach außen und bleibt nicht im Kirchraum stehen“, sagt Ursula Frantzen. Die Gemeindereferentin aus der Pfarrei St. Raphael in Bremen ist ausgebildete Trauerbegleiterin und ebenfalls Gesprächspartnerin bei „ganz Ohr“. Zwar steht sie als Christin vor der Nordkapelle, offen sei sie aber trotzdem für alle Konfessionen und Religionen.
Im September will das Team von „ganz Ohr“ sich treffen, um darüber nachzudenken, ob das Angebot weitergeführt wird oder die Zeiten sich ändern. Bernhard Tenberge gibt zu, dass er mit mehr Gesprächen gerechnet habe. Wenn niemand das Angebot wahrnehme, sei das aber auch eine gute Zeit für die Seelsorger, um in der Ruhe des Friedhofs Atem zu holen. Das Team steht weiter hinter dem Projekt. „Es gibt keinen von uns, der nach dieser Zeit sagt: ‚Ich mache es nicht mehr‘“, sagt Tenberge
„Danke, ich komme wieder.“ Das ist die Rückmeldung, die eine Besucherin an Tenberge gegeben hat. Ob sie das gemacht hat, weiß er nicht, da er selbst nicht jede Woche auf dem Friedfhof präsent ist. Wiederkommen könnten Trauernde aber gerne, sagt Tenberge. „Wenn es ihnen guttut, klar. Dafür sind wir da.“
Christoph Brüwer
Bei „ganz Ohr“ stehen Seelsorger noch mindestens bis Mitte September mittwochs von 14 bis 16.30 Uhr vor der Nordkapelle auf dem Friedhof in Bremen-Osterholz.