Anfrage

Geboren zu Betlehem oder "vor aller Zeit"?

Ist Jesus als Gottessohn präexistent? Oder leiblicher Sohn von Josef und Maria und als Sohn erwählt durch Gottes Geist? J. B., per Mail

Ihre Frage ist kompliziert; die Christologie, also die Lehre über Christus, hat sich damit von Anfang an beschäftigt. 

Und nicht nur das: Die junge Kirche drohte an dieser Frage zu zerbrechen, deshalb hat sich eines der berühmtesten Konzile der Kirche vor allem damit beschäftigt: das erste Konzil von Nizäa (325 nach Christus), eine Stadt bei Byzanz, dem heutigen Istanbul. Zwischen 200 und 300 Bischöfe und andere Kleriker (die genaue Zahl ist nicht gesichert) verabschiedeten damals das Glaubensbekenntnis von Nizäa, das wir heute noch als das sogenannte „Große Glaubensbekenntnis“ (Gotteslob 586,2) beten. Und wie das damals so üblich war, verurteilte es alle, die diesen Glauben nicht teilten. Auch zur Rettung der Einheit der Kirche, die damals tatsächlich knapp gelang.

Zwei Thesen standen sich gegenüber: dass Christus wie Gott immer schon exisitiert hat und Gott wesensgleich ist. Oder – was der Theologe Arius und seine zahlreichen Anhänger, die Arianer – behaupteten: dass Gott Christus geschaffen und auf die Erde gesandt hat, dass der Sohn also ein, wenn auch einzigartiges, Geschöpf des Vaters sei.

Herausgekommen aus der Diskussion ist die Formulierung im Glaubensbekenntnis „aus dem Vater geboren vor aller Zeit“. Womit Ihre Frage beantwortet ist: Christus ist präexistent; er hat immer schon existiert, es gibt keinen zeitlichen Vorrang von Gott-Vater, auch wenn Christus „aus dem Vater geboren“ ist.

Ist das jetzt logisch? Oder anders gefragt: Muss alles nach menschlicher Logik und der alltäglichen Vorstellung von Ursache und Wirkung und klaren zeitlichen Abfolgen funktionieren? Fest steht: Das Konzil von Nizäa wollte keine naturwissenschaftliche Aussage treffen, sondern eine theologische. Es wollte klarstellen, dass Jesus kein Menschensohn menschlicher Eltern ist, der von Gott für würdig befunden wurde, von ihm quasi adoptiert zu werden; er war kein auserwählter Prophet. Er war Gott selbst. Von Anfang an und immer eine Seite, eine Ansicht Gottes, eine Weise, wie wir dem Einen begegnen können. So wie der Vater und der Geist.

Susanne Haverkamp