Nach Widerstand gegen Liberalisierungen in Polen
Gegenwind für die Kirche
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Im Januar gleicht der Priesterberuf in Polen häufig einem Knochenjob. Tag für Tag gehen Pfarrer dann in ihren Gemeinden von Haus zu Haus und besuchen die Gläubigen. Meist geben die Pfarreien genau bekannt, wann ihre Priester die eine Straße abklappern und wann die andere. Doch immer weniger polnische Katholiken freuen sich über die jährlichen Pastoralbesuche, „Koleda“ genannt. Nicht selten verzichten sie auf das Gespräch mit dem Geistlichen und die Segnung ihrer Wohnung.
Die Pfarrgemeinde Sankt Florian in Tschenstochau (Czestochowa) berichtete etwa, dass 44 Prozent der Familien in dem Wallfahrtsort in diesem Jahr den Priester bei sich zu Hause empfingen. Landesweite Statistiken gibt es nicht. Polnische Medien schätzen indes, dass es im Durchschnitt nur 30 bis 40 Prozent sind.
Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch durch Geistliche und deren mangelhafte Aufarbeitung trugen in Polen in den vergangenen Jahren dazu bei, dass die Kirche in dem katholischen Kernland deutlich an Ansehen verlor. Zudem sorgte die Nähe vieler Bischöfe zur im Oktober abgewählten rechtskonservativen PiS-Regierung in Warschau bei etlichen Menschen für Unmut. Zuletzt waren in Umfragen etwas mehr Polen mit der Arbeit der Kirche zufrieden als unzufrieden.
Laut Meinungsforschern wünscht sich die große Mehrheit der Menschen zwischen Oder und Bug, dass sich die Kirche aus der Politik heraushält. Wohl auch deshalb kam die Bischofskonferenz auf die merkwürdige Idee, kein Wort über den Ausgang der Parlamentswahl und den Regierungswechsel im Dezember zu verlieren. Sie würdigte weder die Rekord-Wahlbeteiligung von 74 Prozent, noch gratulierte sie Ministerpräsident Donald Tusk zu seiner Amtseinführung.
Diese Zurückhaltung der Bischofskonferenz gegenüber der neuen Mitte-links-Regierung ist jedoch vorbei. Zweimal gab sie Tusk bereits richtig Kontra. Zuerst protestierte sie dagegen, dass der Staat zeugungsunfähigen Paaren künftig wieder künstliche Befruchtungen bezahlt. Aber die Kirche konnte Präsident Andrzej Duda nicht dazu bringen, sein Veto gegen das Gesetz einzulegen.
Die neuesten Vorhaben Tusks, die Liberalisierung des Abtreibungsgesetzes und die Abschaffung der Rezeptpflicht für die „Pille danach“, verurteilte der Pressesprecher der Bischofskonferenz, Leszek Gesiak, unmissverständlich: „Unter dem Deckmantel euphemistisch klingender Losungen bringen diese Projekte in Wirklichkeit den Tod von Menschen mit sich.“ Das sei schockierend. Noch ist offen, ob das Parlament diese beiden Gesetzentwürfe billigt. Mehrere Abgeordnete der Koalition wollen offenbar dagegen stimmen, dass Abtreibungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche erlaubt werden.
Noch deutlicher wurde jetzt der Vorsitzende der Polnischen Bischofskonferenz: Vergangene Woche veröffentlichte Erzbischof Stanislaw Gadecki eine Erklärung gegen die von Tusk geplante Liberalisierung des Abtreibungsgesetzes – „Im Geiste der Verantwortung für die Kirche in Polen und für das Wohl unserer gemeinsamen Heimat rufe ich alle Menschen guten Willens auf, sich unmissverständlich für das Leben auszusprechen“, so der 74-Jährige. Gadecki appellierte auch an die Mitglieder beider Häuser des Parlaments und an Präsident Duda, „Zeugnis abzulegen von einer echten Sorge um das Leben, das schutzlos ist, weil es ungeboren ist“.
Umstrittener Einsatz der Kirche für inhaftierte PiS-Politiker
Kritik erhält der Bischofskonferenzvorsitzende derweil von einigen katholischen Publizisten und Priestern für seine Initiative zugunsten von zwei Oppositionspolitikern der rechtskonservativen PiS. Beide wurden wegen Amtsmissbrauchs zu zwei Jahren Haft verurteilt und traten im Gefängnis in einen Hungerstreik. „Ich verstehe voll und ganz die Gründe für diese dramatische Form des Protests“, schrieb der Erzbischof dem Ex-Innenminister Mariusz Kaminski und dessen einstigem Stellvertreter Maciej Wasik. Er bot ihnen an, sich bei Justizminister Adam Bodnar für ihre Freilassung einzusetzen. „Der Hungerstreik ist eine Form des Widerstands gegen das von Ihnen als radikal ungerecht empfundene Vorgehen der Behörden und ein potenziell wirksames Mittel, um die Aufmerksamkeit der Menschen zu wecken“, fügte Gadecki hinzu.
Die katholische Wochenzeitschrift „Tygodnik Powszechny“ kommentierte, damit habe sich Gadecki „klar auf die Seite der Kriminellen“ gestellt und ihr Handeln gerechtfertigt. Sie sah darin einen politischen Akt – und keine humanitäre Intervention. Allerdings hatte der Bischofskonferenzvorsitzende beide Politiker aufgerufen, den Hungerstreik zu beenden. Präsident Duda begnadigte Kaminski und Wasik inzwischen, obwohl sich der Justizminister dagegen ausgesprochen hatte. Der Erzbischof unternahm in dem Fall laut seinem Sprecher keine weiteren Schritte, weil die PiS-Politiker nicht auf seinen Brief geantwortet hätten.
Unterdessen stehen die Zeichen bei der Reform der Kirchenfinanzierung auf Dialog zwischen Bischofskonferenz und Regierung. In Zukunft sollen Steuerzahler einen bestimmten Teil ihrer Abgaben einer Religionsgemeinschaft widmen können. Im Gegenzug sollen Staatsgelder für Sozialversicherungen von Geistlichen gestrichen werden. Hier scheint eine Einigung möglich. Das wäre sicher von Vorteil für die künftigen Beziehungen zwischen Kirche und Regierung.