Interview mit Arabien-Bischof Paul Hinder

"Geschenke gehören in dieser Welt dazu"

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Fast 20 Jahre war Paul Hinder Bischof in Arabien. Im Interview erzählt er vom Umgang mit Scheichs und Monarchen, von krassen Kontrasten zwischen Reichtum und Armut, von seiner Rolle als Brückenbauer zum Islam. Und er erklärt, was ihn am Glauben der Menschen in der Region fasziniert hat.

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Seit über 20 Jahren lebt Bischof Paul Hinder in Abu Dhabi und ist für die Katholiken in den arabischen Ländern zuständig. Foto: The Apostolic Vicariate of Southern Arabia/Office of communications

Seit 2003 leben Sie in Abu Dhabi. Was haben Sie damals gedacht, als Papst Johannes Paul II. Sie zum Bischof für das nördliche und südliche Vikariat Arabien ernannte?
Das war wirklich ein schwieriger Moment. Ich war nicht völlig überrascht, weil ich als Mitglied des Generalrates der Kapuziner schon gehört hatte, dass ich wahrscheinlich ein Kandidat für dieses Amt sein werde. Das war damals kurz vor der Karwoche und ich hatte bereits einen Besuch bei unseren Mitbrüdern in Jerusalem geplant. Den habe ich dann für meine persönlichen Exerzitien genutzt, um Klarheit zu gewinnen, ob ich eine mögliche Ernennung auch annehmen kann. 

Was war die größte Herausforderung für Sie?
Die Komplexität der Region, die Sprache und das Umfeld. Hier ist eine Wüstenregion – die ist komplett anders als die Gartenlandschaft des Bodensees, in der ich aufgewachsen bin. Zudem war ich als Europäer zunächst relativ einsam in der Kultur hier. Ich hatte in der Schweiz in verschiedenen Sprachgebieten gelebt, war in Rom und hatte quasi die ganze Welt bereist, aber Arabien ist schon ein besonderes Kapitel. Das brauchte Zeit. Und natürlich war da die Frage: Kann ich das überhaupt? Bin ich einer solchen Aufgabe gewachsen?

Kannten Sie die arabische Region zuvor schon?
Innerhalb des Generalrates des Ordens war ich zuständig für Arabien. Deshalb war ich schon vorher öfter hier gewesen. Es war nicht total neu für mich. Aber jetzt ging es darum, mich pastoral als Bischof auf diese Länder einzustellen. Vor allem musste ich lernen, mit den Monarchien umzugehen. Für mich war es nicht einfach, dass ich denen den Hof machen musste, um die nötigen Erlaubnisse zu bekommen.

Was bedeutete das für Sie: den Hof machen?
Vieles kann man hier nur im persönlichen Kontakt einfädeln. Man darf nicht forsch und mit harten Forderungen vorgehen. Man macht das mit Komplimenten und, wenn nötig, auch mit Geschenken. Nicht im Sinn einer großen Korruption – aber Geschenke gehören in dieser Welt einfach dazu. Der Umgang mit den Monarchien fiel mir am Anfang sehr schwer. Im Nachhinein bin ich überrascht, wie schnell es mir gelungen ist, mich einigermaßen auf diese Welt einzulassen. 

Welche Geschenke haben Sie gemacht?
Zum Beispiel die Reproduktion eines Bildes von der Begegnung zwischen Franziskus von Assisi und dem Sultan von Ägypten, oder eine historische Fotografie aus unserm Archiv, die einen Bezug zum betreffenden Herrscherhaus hatte.

Hatten Sie Hilfe oder Berater, als Sie nach Arabien gekommen sind?
Ich war zunächst für 14 Monate Weihbischof unter meinem Vorgänger und somit nicht direkt in der Verantwortung. Er hat mich auf seine Pastoralreisen nach Jemen, Oman, Saudi-Arabien, Bahrain, Katar und in die Vereinigten Arabischen Emirate mitgenommen. Er hat mich überall sehr gut eingeführt, so dass ich eine gewisse Probe- und Prüfungszeit hatte.

Für welche Themen haben Sie sich bei den Königen und Scheichs besonders eingesetzt?
Zu Anfang stand vor allem der Wunsch im Vordergrund, mehr Plätze für unsere Gottesdienstfeiern zu bekommen. Da war ich Bittsteller: Ist es möglich, dass wir eine Kirche bauen? Kann ich in Ihrem Land eine Schule eröffnen? Können Sie mir dafür Land geben? Damals ging es weniger um gesellschaftspolitische Fragen. Diese Themen musste ich sehr behutsam angehen.

Inwiefern?
Ich erinnere mich, dass ich bei einer Audienz mit einem dieser Herrscher sehr offen die problematischen Arbeitsbedingungen von Frauen, die in Haushalten angestellt sind, angesprochen habe. Es gab mehrere solcher Einzelfälle, in denen ich mich bemüht habe, den Menschen zu helfen. Aber das hängt man nicht an die große Glocke – zum Schutz der Betroffenen wie auch der Monarchen selber, die mit solchen Themen nicht im Rampenlicht stehen wollen. So etwas macht man nicht öffentlich. Das hätte nur den gegenteiligen Effekt. 

Hat sich durch Ihren Einsatz etwas für die Frauen geändert?
Tatsächlich hat sich in rechtlicher Hinsicht in den vergangenen 20 Jahren einiges gebessert. Ich bilde mir aber nicht ein, dass ich darauf besonderen Einfluss hatte. Die Hilfe spielt sich konkret in den einzelnen Pfarreien ab, wo es Anlaufstellen gibt, die zum Beispiel weiblichen Hausangestellten bei ihrer Flucht aus einem sklavenähnlichen Arbeitsverhältnis rechtlich und finanziell beistehen.

Hatten Sie das Gefühl, etwas bewirken zu können?
Ich bin nicht der Mentor von Königen und Emiren. Aber ja, in Einzelfällen schon. Gerade zu meinem 80. Geburtstag habe ich hier im Land viel Anerkennung gespürt. Ich habe das Gefühl, nicht ganz nutzlos gewesen zu sein.

Gab es noch andere Themen, die Ihnen besonders am Herzen lagen?
Ich war natürlich ständig mit der Frage des interreligiösen und ökumenischen Dialogs konfrontiert. Wir christlichen Kirchen haben versucht, vereint zu handeln und unser Vorgehen abzustimmen – gerade gegenüber staatlichen Autoritäten. Wir haben zum Beispiel den Gulf Churches Fellowship gegründet, einen losen Verband, in dem wir uns gemeinsam beraten.

Worum geht es da?
Zum Beispiel um Absprachen über die gemeinsame Nutzung von Gotteshäusern. Wir Katholiken haben in den Emiraten nun neun Kirchen. Andere christliche Kirchen fragen uns, ob sie bei uns ihren Gottesdienst feiern können. An den Haupttagen werden unsere Kirchen von unseren eigenen Leuten rund um die Uhr genutzt, aber da, wo es möglich ist, helfen wir gerne. 

Wie ist Ihr Verhältnis zu den muslimischen Gesprächspartnern?
Ich habe viel mit Autoritätsträgern zu tun, die äußerst traditionell sind. Das kann der König von Bahrain sein oder ein Scheich hier in Abu Dhabi. Es gibt da durchaus freundschaftliche Akzente und auch gegenseitige Besuche. Das läuft ganz gut. 

Wie zeigt sich das?
Vor vielen Jahren besuchte mich ein saudischer Botschafter sogar im Bischofshaus und erleichterte mir die Einreise-Formalitäten in sein Land. Auch erinnere ich mich aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg in Jemen, dass der jemenitische Konsul mich sehr zuvorkommend behandelt und die Visa-Prozedur wesentlich verkürzt hat. 

Foto: kna
Hoher Besuch: Bischof Paul Hinder trifft Papst Franziskus im November
2022 in der Sacred Heart Church in Manama (Bahrain)
Foto: kna/Vatican Media/Romano Siciliani

Fühlten Sie sich vor 20 Jahren als katholischer Bischof ernstgenommen?
Ich denke schon. Ich erinnere mich an die etwas heikle Situation, als Papst Benedikt damals diese berühmte Rede in Regensburg gehalten hat ...

… in der er zur Rolle der Gewalt im Islam einen byzantinischen Kaiser zitierte. 
Genau. Damals war ich in Rom. Als ich einige Wochen später nach Abu Dhabi zurückkehrte, wurde ich – ich kann es nicht anders sagen – vom religiösen Berater des Präsidenten und einer ganzen Schar von muslimischen Autoritäten herbeizitiert und um Klärung gebeten. Das zeigt auch: Sie akzeptierten mich als Vertreter der katholischen Kirche, der am ehesten eine Interpretation geben und am ehesten das Feuer löschen konnte, was damals ausgebrochen ist.

Konnten Sie es denn löschen?
Ja, doch, ich denke schon. Daraus sind Initiativen und Gesprächsrunden erwachsen, die bis heute wirken.

Inwiefern?
Es ist schwierig zu sagen, was Ursache und was Wirkung ist. Ich denke aber, dass damals ein Prozess in Gang gekommen ist, der den Weg geebnet hat für Dokumente wie die Erklärung über die Brüderlichkeit aller Menschen.

2019 unterzeichneten Papst Franziskus und Scheich Ahmad al-Tayyib diese Erklärung in Abu Dhabi.
Genau. Das Treffen des Papstes mit dem Scheich und Imam der Al-Azhar-Moschee war ein wichtiger Schritt im interreligiösen Dialog. Da ist in den vergangenen 20 Jahren viel in Bewegung gekommen. 

Wo spüren Sie das?
Ich war vor wenigen Wochen zu Besuch in Saudi-Arabien. Auch in diesem Land spüre ich eine Entspannung. Die Leute besuchen die Gottesdienste gelassener. Sie fürchten keine Repressalien. Nicht im Galopp, aber es gibt kleine Fortschritte im gegenseitigen Verständnis.

Die arabische Region verbinden viele mit Reichtum und Luxus. Als Ordensmann sind Sie zur Armut verpflichtet. Was haben Sie gedacht, als Sie zum ersten Mal einen prunkvollen Palast betreten haben?
Das war ein Schock. Allein der Konsum von Blumen: Es ist unglaublich, was da an Millionen für Blumenschmuck investiert wird. Auf der anderen Seite weiß ich, wie bescheiden viele mühsam Arbeitende entlohnt werden. Da spürt man die Gegensätze und da hat man schon ein mulmiges Gefühl. Man muss es sich immer wieder vor Augen halten: Auch hier gibt es Armut. Es gibt zwar keine Bettler oder Menschen in zerlumpter Kleidung, aber man sieht, wenn jemand nicht auf Rosen gebettet ist.

Wie zeigt sich das?
Wenn Leute ihre Miete nicht mehr bezahlen oder sich nur noch eine bescheidene Mahlzeit pro Tag leisten können. Während der Pandemie gab es Menschen, die hungerten. Wenn man genau hinschaut, kann man an den abgetragenen Kleidern erraten, dass offensichtlich das nötige Geld nicht vorhanden ist.

Ein Land, das besonders unter Armut und Krieg leidet, ist Jemen. Auch dort sind Sie als Bischof zuständig.
Jemen ist eigentlich das schönste und interessanteste Land auf der Halbinsel mit alter Kultur und wunderschönen alten Städten. Aber das ist jetzt alles beschädigt oder zerstört worden. Die Menschen sind verarmt und viele innerhalb ihres Landes auf der Flucht. Zu sehen, was ein Bürgerkrieg, der von außen noch angeheizt wird, vernichten kann, tut mir weh.

Inwiefern spielt die katholische Kirche in dem Land eine Rolle?
Die Präsenz der Kirche war dort immer schwach, jetzt ist sie noch schwächer geworden. 2016 wurden vier Ordensfrauen zusammen mit acht Angestellten, darunter viele Muslime, von Fanatikern umgebracht. Ein Priester wurde im Krieg entführt und ich wusste monatelang nicht, ob er noch lebt. Das alles hat meine Amtsführung sehr belastet. Es gab Leute, die gesagt haben, ich hätte frühzeitig eingreifen und die Leute außer Landes bringen müssen. Aber sie wollten bleiben. Das sind Grenzfälle, in denen ich gespürt habe, was es heißt, als Bischof verantwortlich für schwierige Entscheidungen zu sein.

Wie haben solche Situationen Ihren Glauben geprägt?
Ich durfte immer auf das Mitdenken, das Mitarbeiten und auf die Liebe der Gläubigen zählen. Das hat mir in dieser Situation geholfen. Ich habe gespürt, wie die Menschen mit mir für die Menschen im Jemen gebetet haben. Das hat mir geholfen. Ich habe Papst Benedikt einmal gesagt: Ich wollte ja nicht Bischof werden. Aber wenn ich schon Bischof sein muss, dann hier in Arabien.

Was haben Sie in Ihrer Zeit dort gelernt?
Ich bin als aufgeklärter junger Katholik aus der Schweiz gekommen. Aber im Leben mit den Menschen von den Philippinen, aus Indien und aus anderen afrikanischen und arabischen Ländern habe ich die Schlichtheit des Glaubens zu schätzen gelernt. Sie meistern mit einem umwerfenden Gottvertrauen ihr Leben. Mit großem Respekt stehe ich vor ihrer Volksfrömmigkeit, was ich so als junger Theologe vielleicht nicht verstanden habe. Und ich habe versucht, ihnen immer so nahe wie möglich zu sein.

Wie?
Zum Beispiel freue ich mich, wenn die Menschen mich im Bischofshaus besuchen. Eine Anmeldung ist wichtig, weil ich nicht möchte, dass jemand enttäuscht ist, wenn ich nicht da bin. Ich erinnere mich auch an einen Besuch in Saudi-Arabien. Dort hat mir ein Philippino mit Tränen in den Augen gesagt, er hätte nach Arabien reisen müssen, um endlich einen Bischof berühren zu können. Zu Hause wäre das für ihn nicht möglich gewesen. Das sind Erfahrungen, die mir zeigen: Diese Menschen warten auf Respekt und Nahbarkeit – auch von einem Bischof.

Vor wenigen Tagen hat Papst Franziskus den französischen Ordensmann Aldo Berardi zu Ihrem Nachfolger für das nördliche arabische Vikariat ernannt. Was machen Sie nun?
Das ist nicht so leicht zu beantworten. Mein Nachfolger hier in Abu Dhabi hat mich fast auf den Knien darum gebeten, noch ein wenig zu bleiben und ihm zu helfen. Jetzt fällt mir erst auf, wie viel er lernen muss, was mir in den Jahren hier zugewachsen ist. Es ist mir ein großes Anliegen, ihm zu helfen – natürlich ohne ihm reinzureden.

Werden Sie irgendwann in die Schweiz zurückkehren?
Im Prinzip möchte ich das gerne. Aber Sie wissen ja, wie die Situation der Orden in Europa ist. Ich möchte keine Entscheidung für einen Ort treffen, wenn ich nicht sicher bin, ob das Haus noch existiert, bis ich dann tatsächlich heimkehre. Mittlerweile habe ich auch das Goldene Visum für die Vereinigten Arabischen Emirate bekommen. Das heißt: Ich kann hier noch auf etliche Jahre jederzeit wohnen.

Interview: Kerstin Ostendorf