Caritas international hilft Rohingya in Bangladesch
Gesucht: Ein Ort zum Leben
Seit ihrer Vertreibung vor fünfeinhalb Jahren leben knapp eine Million Rohingya in Bangladesch in riesigen Flüchtlingslagern. Dort haben sie keine Perspektive, und in ihre Heimat können sie nicht zurück. Caritas International hilft ihnen, so gut es geht.
Von Barbara Dreiling
Bald beginnt der Starkregen in Kutupalong. Überflutungen, Erdrutsche und Hunderte Liter Regen sind von Mai bis Oktober keine Seltenheit. Der Ort liegt im Süden von Bangladesch und ist in der Monsunzeit häufig von Unwettern betroffen. Kein einfacher Ort zum Leben.
Doch genau hier leben Schätzungen zufolge 640.000 Menschen, so viele wie in Stuttgart, auf engstem Raum. Kutupalong ist das größte Flüchtlingslager der Welt. Es liegt im Distrikt Cox’s Bazar im Südosten von Bangladesch, direkt an der Grenze zu Myanmar. In Tausenden eng aneinandergereihten Bambushütten, mit Plastikplanen bedeckt und mit schmalen, matschigen Pfaden dazwischen, leben die Rohingya. Es gibt noch weitere Lager in Bangladesch in Nayanpara und auf der Insel Bhasan Char.
Rohingya? Da war doch was, könnte man sagen. Die Ethnie aus Myanmar bekommt nicht mehr viel mediale Aufmerksamkeit. Seit sie aus ihrer Heimat vertrieben wurden, leben sie – schätzungsweise 950 000 Menschen – gefangen in den Flüchtlingslagern in Bangladesch. Ihre Zukunft haben sie nicht mehr in der Hand. Sie hängt jetzt vom Interesse der internationalen Politik ab.
Die muslimische Minderheit floh 2017 innerhalb weniger Wochen aus dem buddhistisch geprägten Myanmar. Sie waren schon Jahrzehnte verfolgt und diskriminiert worden. Bildung, Arbeit und die Staatsbürgerschaft wurden ihnen verwehrt – und sogar das Recht, sich im Land frei zu bewegen. Sie erlebten Hass, Aufrufe zu Verbrechen gegen sie, Mord, die Zerstörung ihres Besitzes – und wurden schließlich gewaltsam vertrieben.
Nicht nur Rohingya können in Myanmar nicht mehr leben. Nach dem Militärputsch 2021 zählt die Uno-Flüchtlingshilfe weitere 320 000 Menschen, die in die Nachbarländer Myanmars geflohen sind, zudem 670 000 Binnenflüchtlinge. Menschenrechtsorganisationen und Hilfswerke berichten von Gewalt gegen Zivilpersonen und Oppositionelle, Willkür, Verhaftungen, Folter und Mord.
Zwei Dollar bedeuten „einen großen Einschnitt“
Die politische Lage lässt eine Rückkehr der Rohingya nicht zu. Darüber hinaus ist Myanmar das Land, das sie vertrieben und ihre Siedlungen zerstört hat. In Bangladesch wiederum sind die Rohingya nur geduldet und von Hilfsorganisationen wie Caritas International abhängig. Die versorgen sie mit Lebensmitteln, Wasser und Hygieneartikeln. Das Welternährungsprogramm stellt seit März zehn Dollar pro Person und Monat für Nahrungsmittel zur Verfügung. Davor waren es zwölf Dollar, doch die Summe wurde von den UN-Mitgliedsstaaten aus Geldmangel gekürzt.
„Die zwei Dollar mögen wenig klingen, bedeuten aber für die Leute tatsächlich einen großen Einschnitt“, berichtet Angela Gärtner, die bei Caritas International für die Projekte in Bangladesch zuständig ist und im März zwei Wochen dort war. Tom Andrews, UN-Sonderberichterstatter für die Menschenrechte in Myanmar, kritisierte die Kürzungen als „verheerend für eine traumatisierte Bevölkerung, die bereits unter weit verbreiteter Unterernährung leidet“.
Das Flüchtlingslager Kutupalong ist ein Ort voller Probleme: Die Bambushütten und Plastikplanen halten nicht nur dem Monsunregen nicht stand. Es kommt auch immer wieder zu Bränden – wie Anfang März, als 16 000 Menschen obdachlos wurden. Der Staat erlaubt keine massiver gebauten Unterkünfte.
Die Geflüchteten dürfen das Lager nicht verlassen. Wer von außerhalb herein will, benötigt eine Genehmigung und erhält einen Tageszugang. Es finden Eingangs- und Ausgangskontrollen statt, berichtet Caritas-Referentin Gärtner.
Selbst für sich sorgen können die Bewohnerinnen und Bewohner daher nicht. Sie dürfen sich keine Arbeit suchen und Geld verdienen. Ihre Kinder dürfen keinen Schulunterricht und keine Ausbildung bekommen. Frust und Gewalt nehmen zu. Medien und Hilfsorganisationen berichten von Drogenhandel, Menschenhandel, Bandenkriminalität und Mord. Frauen, Kinder und Männer – alle sind in Gefahr. Die Verlockung, sich für ein Stück mehr Hoffnung von einer gewaltbereiten Gruppe rekrutieren zu lassen oder den Versprechen der Menschenhändler an eine Zukunft in anderen Ländern zu glauben, ist groß.
Gibt es einen Ort für die Rohingya? „Das ist tatsächlich die zentrale Frage und das ist auch das, was den Leuten durch den Kopf geht“, sagt Gärtner. „Sie merken, dass sie eigentlich keinen wirklichen Ort haben, wo sie sich sicher aufhalten können. Aus ihrer Heimat wurden sie brutal vertrieben. Am Zufluchtsort, wo sie angekommen sind, bekommen sie keine langfristige Perspektive.“ Einige versuchen, erneut zu fliehen und mit Booten das 2000 Kilometer entfernte Sri Lanka oder das ebenso weit entfernte Malaysia zu erreichen. Ein lebensgefährliches Wagnis. Für das vergangene Jahr zählt die UN-Flüchtlingshilfe mindestens 348 Menschen, die dabei getötet worden sind oder seitdem als vermisst gelten.
Es bleibt nur die Hoffnung auf eine politische Lösung
In dem Klima der Perspektivlosigkeit versuchen Hilfsorganisationen wie Caritas International, den Alltag der Menschen zu verbessern. Zwar dürfen sie keinen formellen Schulunterricht anbieten, doch dafür führen sie informelle Kurse in Lernzentren durch. Gärtner sagt, hier gehe es darum, dass die Kinder, Jugendlichen und Frauen „Selbstbewusstsein lernen, dass sie selbstständig ein Leben führen können, dass sie darauf vorbereitet sind: Wie gehe ich in einer Partnerschaft um? Was bedeutet Familie? Wie sieht die Welt um mich herum aus? Was würde es bedeuten, wenn ich zurückkomme?“
Im Rahmen des Erlaubten versucht die Caritas, auch berufliches Wissen zu vermitteln. So gebe es kleine Elektrikerkurse oder Nähkurse, erzählt Gärtner. Wie werden sie angenommen? „Begeistert“, sagt sie. Andere Kurse, etwa in Englisch, seien Chancen für die Menschen, gäben ihnen Kenntnisse, „die sie dann hoffentlich in nicht allzu weiter Zukunft, irgendwo einsetzen können, um sich etwas aufbauen zu können“.
Das ist die Hoffnung, die von der Caritas hochgehalten wird: dass es irgendwann eine Zukunft für die Rohingya gibt. Doch diese Zukunft liegt in ungewisser Ferne. Eine Rückführung nach Myanmar ist zurzeit nicht realistisch. Solange aber keine politische Lösung in Sicht ist, müsse man den Menschen zumindest ein menschenwürdiges Leben in den Lagern ermöglichen, sagt Gärtner.
Die Caritas gibt nicht auf. „Wir brauchen mehr Finanzmittel, wir brauchen eine größere mediale Aufmerksamkeit. Und wir brauchen auf internationaler Ebene ein verstärktes Engagement, um eine politische Lösung herbeizuführen“, sagt Gärtner. Hilfsorganisationen wie Caritas International setzen sich dafür bei der UN und der Bundesregierung ein, die auch Finanzmittel zur Verfügung stellt. Sie versuchen, die Politik zu mehr Engagement zu bewegen, berichtet Gärtner, damit die Rohingya bekommen, was ein Menschenrecht ist und was sie nicht haben: „einen Platz, wo sie sicher leben können und sich eine Zukunft aufbauen können“.