Betrachtungen zum diesjährigen Hungertuch

Glaube als Anker und Halt

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Das diesjährige Hungertuch für die Fastenzeit bewegt Joachim Rudolph. Der ehemalige Leiter des Sankt-Wenzeslaus-Stiftes in Jauernick hat seine Gedanken dazu aufgeschrieben.

Das Misereor-Hungertuch 2021 „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“ von Lilian Moreno Sánchez.

 

Das Thema der diesjährigen Misereor-Fastenaktion ist geprägt von dem Vers aus Psalm 31: „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“. Diese Worte wurden vor mehr als 2500 Jahren aufgeschrieben. Dazu schuf die aus Chile stammende Künstlerin Lilian Moreno Sanchez zum Meditieren, Nachdenken und Beten ein Hungertuch, das in den 40 Tagen der Fasten- und Passionszeit Menschen aufwühlen, berühren und verändern soll.

Zu einem „Fasten der Augen“ eingeladen
Der Brauch der Fastentücher ist schon Jahrhunderte alt: Kreuze oder kostbare Altäre wurden mit Bildern der Heilsgeschichte 40 Tage lang verhüllt und zu einem „Fasten der Augen“ eingeladen.
Was ist auf dem diesjährigen Fastentuch zu sehen? Seltsames: ein Röntgenbild von zum Teil gebrochenen und verdrehten Knochen eines Fußes! Es stammt real von einem Menschen, der bei Demonstrationen im Jahr 2019 in Santiago de Chile verletzt, geschlagen, gebrochen wurde. Grund der Demonstrationen waren steigende Lebenskosten und wachsende soziale Ungleichheit. Dazu ging der junge Mann mit vielen anderen auf die Straße, protestierte, wurde zu Boden gestoßen, geschlagen und verletzt.Sein Fuß, gebrochen für andere. Ist das Leben nun zerstört, geht es jetzt nicht mehr weiter? Oder gibt es etwas über diese Brüche hinaus? Da sind auf dem Bild rund um den verletzten Fuß kleine golden gemalte Blumen wie verstreut zu sehen. Ein wahres Kontrastprogramm im Bild: ein gebrochener Fuß und Farbtupfern gleich goldene zarte kleine Blumen, als Symbol einer erwachenden Hoffnung und Zeichen für Aufbruch und Bewegung. Das lässt Betrachter aufatmen! Es ist noch nicht alles zerbrochen! Auch wenn die Füße schwach und geschunden sind, auch wenn die schmerzlichen Erfahrungen von Unterdrückung, Verzweiflung, Krankheiten bedrücken: es gibt dennoch Aus-Wege, Durch-Sichten, Licht-Blicke, goldene Sonne und das heißt mit Worten des Psalmbeters: es gibt weiten Raum.

Jesus kniete nieder, wusch Füße, diente
Jede und jeder, der das Bild anschaut, soll wissen, dass trotz Gebrechlichkeit das Leben liebenswert ist, dass es Chancen gibt, wieder einen Schritt vor den anderen setzen zu können, auf den anderen Menschen zu und hinaus in die Welt. Damit wir Menschen dazu fähig sind, hat sich Jesus klein gemacht, kniete nieder, wusch den Jüngern die Füße und lehrte:  „Ich habe euch ein Beispiel gegeben“: Dient einander! Gebt den Menschen Zuversicht! Hebt sie auf aus dem Staub des Bodens! Geht gute Wege! Mit großen oder mit kleinen Schritten. „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“, das sind die zuversichtlichen Worte des Psalmbeters. Es ist nichts anderes als Kraft zum Neubeginn schöpfen. Aus Erfahrungen von Angst, Mattigkeit, Verfolgung, die in diesem Psalmgebet zeitlos verarbeitet sind, kann der Mensch mit einem großen Vertrauen hinausgehen in die Weite des Lebens. Wir alle sind angesprochen: Wagen wir  in dieser Fasten-und Passionszeit einen Aufbruch hin zu Veränderungen mit dem Wissen, dass in aller Gebrochenheit des Lebens der Glaube immer ein Anker ist und Halt gibt. Das ist wohl die wichtigste Botschaft dieses Bildes.