Aktion im Erzbistum Berlin: Wenn der Glaube eine Eissorte wäre – wie würde sie schmecken?
Glaube mit Geschmack
Wenn der Glaube eine Eissorte wäre – wie würde sie schmecken? Welche Zutaten dürften nicht fehlen? Ungewöhnliche Fragen. Um die Suche nach Antworten geht es bei einer Sommeraktion des Erzbistums. Mit dabei war auch Erzbischof Heiner Koch als Eismann.
Erzbischof Koch als Eismann: Er selbst hat sich für Wagemut mit Fragsahne entschieden. - Foto: Dorothee Wanzek |
Von Dorothee Wanzek
Bei einem leckeren Eis wollen Mitarbeiter des Erzbistums mit Passanten ins Gespräch über den Glauben kommen. Bereits an den ersten beiden ParadEIS-Tagen in Berlin kam es zu erfrischenden Begegnungen.
„Reden möchte ich nicht, einfach nur genießen“, sagt der ältere Herr, der sich am Nachmittag des 12. August vor dem Berliner Prinzessinnenpalast Unter den Linden eine Portion „Aroma Amor“ im Munde zergehen lässt. „Diese Lieblingslebenssorte lädt ein zu einer sinnlichen Sinnsuche und vereint freudige Leidenschaft mit erfrischender Neugier“ verrät die Eiskarte über diese schokoladig-fruchtige Eiscreme. Neben „Aroma Amor“ stehen die Sorten „Eden für jeden“, „Trostgold“, „Wagemut“ und „Traute-Nuss“ zur Wahl. Dekorieren lassen können sich schweigende wie redselige Eisesser ihre Portion mit ein wenig „Streuzweifel“, „Fragsahne“ oder „Wandelsplitter“.
Für zwei Stunden geht an diesem Donnerstagnachmittag Erzbischof Heiner Koch auf die kühlen Träume der Vorbeiflanierenden ein. Zwischen den stillen Genießern einer Portion Gratis-Eis, den kirchlichen Mitarbeitern und den Medienvertretern, die sich den erzbischöflichen Auftritt nicht entgehen lassen wollen, sind auch die zu finden, die das Team um Carla Böhnstedt mit „ParadEIS“ eigentlich im Sinn hatte: Frauen, Männer und Kinder, die sich spontan beschenken lassen und dabei einen Augenblick lang inne halten und darüber nachdenken, was ihnen wichtig ist in ihrem Leben, was ihnen Halt, Antrieb oder Trost gibt.
Christian Andrees spricht einen Obdachlosen an, der gerade sein mit Beuteln und Decken beladenes Fahrrad über die Allee schiebt. Ein Lächeln erhellt dessen Gesicht, als er die Einladung hört. Er muss nicht lange überlegen, bevor er seine Wahl trifft: „Eden für jeden!“ Wäre das nicht schön, wenn es schon auf Erden das Paradies für alle gäbe?, beginnen die beiden Männer zu spinnen. „Auch für solche Vagabunden wie mich!“, bekräftigt der Fahrrad-Besitzer. Für Christian Andrees war dies einer der berührenden Stern-Augenblicke der ersten beiden Aktionstage. Drei junge Wanderer, die er am Tag zuvor mit einem Eis beschenkte, hatten gerade einen Unfall erlebt. Einer der Jugendlichen war von einem Elektro-Scooter angefahren worden. Die drei hatten gerade die ersten fünf Kilometer einer Tour hinter sich, die sie bis in die Türkei führen sollte, einer wollte sogar noch weiterwandern bis nach Thailand. Dass sie sich für die Eissorte Wagemut entschieden, fand Christian Andrees äußerst passend. „Ich fühle mich selbst beschenkt durch solche Begegnungen“, sagt er.
„Das sind ja genau die Fragen, die wir uns ohnehin stellen“, hat seine Teamkollegin Carla Böhnstedt am Auftakt-Tag von mehreren Eis-Essern gehört. „Ich glaube gar nicht“, sagten ihr mehrere. Mit einem „aber“ verrieten sie dann, was sie in ihrem Leben hält, woran sie sich orientieren. „Bald werde ich 50“, verriet eine Frau. „Ich merke allmählich, dass ich nicht mehr alles machen kann, was mir in den Sinn kommt. Ich muss mir Gedanken machen, worauf ich meine Kräfte konzentrieren will, was wirklich zählt in meinem Leben.“ Manchmal machten sich die Passanten die ParadEIS-Idee gegenseitig schmackhaft. Als sich beispielsweise einer wunderte - „Hier gibt es ja gar keine Eissorten“ – bekam er Antwort von einem Eis-Schlecker: „Stimmt. Aber es gibt Erfahrungen, die man machen muss.“
Manche nutzen die Eis-Aktion für ein politisches Statement, so wie die junge Frau, die sich als Berliner Diözesanratsmitglied outet. „Ich finde es wichtig, dass Sie auch vegan lebende Menschen wie mich mit im Blick haben“, sagt sie dem Erzbischof. Tatsächlich hat er auch eine milchfreie Eissorte im Sortiment.
„Eine originelle Idee. Man wird neugierig“, sagt eine Rentnerin, die sich für Trostgold mit Streu- zweifeln entscheidet. Eine Eislänge lang spricht sie über ihre zwiespältige Haltung zur katholischen Kirche. Sie sei in einem „gruseligen Kloster großgeworden“ und aufgrunddessen schon vor langer Zeit „leidvoll“ aus der Kirche ausgetreten. Ihre christlichen Wurzeln seien aber nach wie vor stark. „Die sonntäglichen Glockentöne sind mir Heimat. Ich teile die ethisch-moralische Grundhaltung der Kirche. Dass in unserem Land mehr Menschen ihre spirituelle Sehnsucht im Islam oder im Buddhismus erfüllen, macht mich traurig. Ich würde meine christlichen Wurzeln so gerne erhalten, doch ich weiß nicht wie.“ Sie wünscht sich eine katholische Kirche, in der Frauen auf Augenhöhe mittun dürfen, in der das Zölibat für Priester nicht verpflichtend ist, in der niemand von oben herab belehrt wird, in der jeder seinen Glauben in Freiheit leben darf, in der man auf die Ehrlichkeit der Verantwortlichen vertrauen kann…