Interview mit der Bibelwerk-Chefin Katrin Brockmöller

Gott straft nicht durch Corona

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Manche bringen die Corona-Pandemie mit den biblischen Plagen und apokalyptischen Vorstellungen aus der Heiligen Schrift in Verbindung. Im Interview ordnet die Chefin des Katholischen Bibelwerks, Katrin Brockmöller, diese Thesen wissenschaftlich ein.

Foto: kna/Harald Oppitz
Corona als göttliche Plage? DIe Bibelwerk-Chefin Katrin Brockmöller widerlegt diese These. Foto: kna/Harald Oppitz


Frau Brockmöller, manche sehen Parallelen zwischen den Plagen im Alten Testament und dem Coronavirus?
Wir erleben gerade ganz gewiss keine ägyptischen Plagen. In der Erzählung vom Ringen zwischen Mose und Pharao geht es nicht um eine Strafe Gottes für die Menschen. Schon gar nicht, weil die sich irgendwie moralisch falsch verhalten hätten. Es geht darum, dass der Pharao dem Volk Israel den Weg in die Freiheit verweigern will.

Die Erzählung ist aus Perspektive der Geretteten geschrieben. Das Volk Israel schaut zurück und sieht, wie einflusslos der scheinbar so mächtige Pharao am Ende war. Ziel der Geschichte ist es, Angst zu vertreiben: So blöd war der Pharao? Wenn wir dem entkommen konnten, wer soll uns dann bedrohen? Man soll beim Lesen schmunzeln und sich sicher fühlen.

 

Wer das mit Corona vergleicht,...
...liegt komplett daneben. Bestraft wird der Pharao, weil er Menschen versklavt! Eine ungeheure Botschaft bis heute. Wer Menschen erniedrigt und missbraucht, der ist der Bösewicht.


Sie drehen also den Spieß um. Ist das wissenschaftlich Mainstream?
Ja. Wer Menschen im Namen Gottes schädigt oder mit göttlicher Strafe droht, verhält sich wie der Pharao; wer Menschen ihrer Freiheit beraubt, stellt sich gegen den Gott des Lebens. Die freie Gestaltung unserer Lebensgeschichten verstehen wir heute anders als in der Antike. Wer Bibeltexte wörtlich versteht, setzt sich dem Vorwurf des Fundamentalismus aus. Das sieht auch die päpstliche Bibelkommission so. Zu einer verantwortlichen Auslegung gehört, den historischen und literarischen Kontext zu verstehen.

Naturkatastrophen wie Heuschreckenschwärme und neu auftretende Krankheiten gehören zur historischen Erfahrung. Daraus entstanden die biblischen Geschichten über die Plagen. Diese Texte wurden Elemente in einer Befreiungserzählung. Sie dienen quasi als Bühnenbild für eine theologische Botschaft. Und die heißt nicht: Gott straft, sondern: Gott rettet euch! Bei den ägyptischen Plageerzählungen kommt eine religionsgeschichtliche Pointe dazu: In der Antike bedeutete ein Fiasko immer auch eine Niederlage der eigenen Gottheiten. Wenn der Pharao also verliert, zeigt das auch die Stärke des Gottes Israels!


Neben der Plage kommt in manchen aktuellen Beiträgen auch die Apokalypse ins Spiel. Beispielsweise bei Bildern aus Italien.
Wir verwenden heute den Begriff "apokalyptisch", wenn wir Ereignisse als sehr beängstigend empfinden. Die biblische Bedeutung beinhaltet aber weitere Nuancen: So endet das letzte Buch der Bibel, die Offenbarung des Johannes, mit dem Hoffnungsbild eines neuen Jerusalem. Vom Himmel kommt die perfekte Stadt auf die Erde herab. In dieser Stadt gibt es keine Krankheit, keine Dunkelheit, keinen Tempel. Alles ist von Gott durchdrungen, alles ist heil und alles ist Licht. Diese Vision will Mut machen, das "Jetzt" auszuhalten.


Und wie sah dieses "Jetzt" früher aus?
Der historische Zusammenhang ist das Römische Reich und die Forderung, den Kaiser als Gott anzuerkennen. Wer das nicht wollte, hatte mit drastischer Verfolgung zu rechnen. Die in Gemälden dargestellten Visionen der apokalyptischen Reiter oder der sieben Engel mit den Schalen des Zorns sind zwar gruselig, aber sie wollen eigentlich Mut machen: Die ungerechte römische Welt wird untergehen. Die Pointe hier: Wer Christus treu bleibt, wird auserwählt und im neuen Jerusalem wohnen dürfen. Ansonsten droht die Apokalypse in Form einer brutalen Zwischenphase.

Dann werden die Guten gerettet. Genau diese Idee einer gewaltsamen Trennung zwischen gut und böse, zwischen der zu zerstörenden schlechten und der neuen, von Gott durchdrungene Welt zieht fundamentalistische Kreise an. Sie nehmen für sich in Anspruch, bei den Guten zu sein.


Was für ein Gottesverständnis liegt diesem Denken zugrunde?
Ein sehr vereinfachtes: Gott greift gewaltsam ein und bewahrt am Ende seine Anhänger. Wer so denkt, nimmt meistens auch für sich in Anspruch, genau den einen Willen Gottes zu kennen. So wird man schnell zum Wächter des wahren Glaubens, zum Hüter der wahren Ordnung und der Moral.


Also hängen Gottesbild und Gesellschaftsbild ganz eng zusammen.
Ja, natürlich. Wie wir heute darüber streiten, wie offen wir sein wollen, wer zur Gemeinschaft gehört, wie wir zusammenleben wollen, so war das auch damals. Hier hat die Wissenschaft im Blick auf die Offenbarung eine interessante Erkenntnis zu bieten: Offensichtlich sind die Autoren dieser apokalyptischen Texte gerade diejenigen in den frühchristlichen Gemeinden, die eine starke Trennung von normaler Welt und Gemeinde wollen. Schon wer mit Heiden in Kontakt ist, kann nicht zu den Auserwählten gehören.

Andere Mitglieder der Gemeinden sahen das offensichtlich entspannter. Die Bibel überliefert uns in der Offenbarung des Johannes also auch das Zeugnis einer innerchristlichen Diskussion, in der am Ende die Liberalen als falsche Propheten diffamiert werden. Diese Debatte müssen wir auch heute führen, das kann man schlecht einfach aus der Antike übernehmen.


Stichwort Propheten. Sie haben im Alten Testament nicht selten den Zorn Gottes verkündet.
Die sogenannten Unheilspropheten haben durch die Eroberungen ihres Landes und das babylonische Exil Recht behalten. Doch die Erfahrungen von Krieg, Tod, Zerstörung und Heimatverlust mündeten gerade nicht in weniger Gottvertrauen. Im Gegenteil: Das erlebte Unheil wurde von Israel selbst als Strafe für sein unsoziales und ungerechtes Verhalten gedeutet, als Folge der Ausbeutung von Armen, Witwen und Fremden.

Auch hier gilt es zu unterscheiden: Eine Gesellschaft, die Ereignisse als direktes Handeln Gottes erfährt, kann, ja muss sogar Unglück entweder Gott oder dem Teufel zuschreiben. Nach der Aufklärung sieht auch die Theologie das direkte Wirken Gottes differenzierter. Gott ist in der Welt, aber er lenkt nicht jede unserer Handlungen. Und Gott schickt keinen Virus, weil wir falsch gelebt hätten. Das wäre auch ein eigenartiger Gott.


Wenn biblische Texte nur Zeugnisse einer antiken Kultur sind und mit dem Weltverständnis von heute sehr wenig zu tun haben, warum sollen wir die Heilige Schrift noch lesen?
Weil Sie die Erfahrungen unserer Vorfahren mit Gott für uns lebendig halten. Niemand glaubt allein. Wir können immer nur vertrauen, weil andere vor uns mit Gott gelebt haben. Wir sind eingebunden in den Strom der Generationen und deren Gotteserfahrung.

Ich persönlich lese die Bibel auch, weil die Texte literarisch berühren und Hoffnung schenken. Mir hilft zum Beispiel der Gedanke aus dem Propheten Jesaja: "Wenn du durchs Wasser schreitest, bin ich bei dir, durch Ströme, sie reißen dich nicht fort." Die Texte bezeugen die stärkste Hoffnung: Selbst der Tod hat keine Macht, unser Leben zu zerstören. So sagt es der Apostel Paulus im Römerbrief: "Nichts, weder Tod noch Leben, Gegenwärtiges noch Zukünftiges kann uns trennen von der Liebe Gottes." Das ist das Geheimnis des Glaubens, das wir an Ostern feiern: Wir gehen durch den Tod, aber das Licht wird siegen!

kna