Menschenopfer, Brandopfer, Kreuzesopfer: Was opfern wir - und warum?
Gott und das Opfern
Menschenopfer, Brandopfer, Kreuzesopfer: Die Geschichte Gottes mit den Menschen kommt ohne Opfer offenbar nicht aus. Dabei unterscheiden sich die Vorstellungen, wen, was oder warum wir opfern, erheblich.
Die Geschichte Gottes mit den Menschen ist lang und blutig. Vielleicht sollte man besser sagen: die Geschichte der Götter mit den Menschen. Denn in grauer Vorzeit – die Abrahamsgeschichten spielen vor knapp 4000 Jahren – herrschte fast überall auf der Welt Vielgötterei. In Kanaan, also in der Gegend, in die Gott Abraham und seine Familie geführt hatte, waren Götter wie Astarte oder Baal beliebt. Astarte, die Göttin der Fruchtbarkeit, Baal, der Wettergott.
Die Götter forderten viel von Menschen – glaubten die Menschen jedenfalls. Sie forderten Opfer, um sie gnädig zu stimmen. Und je wichtiger das Anliegen oder je größer das Vergehen, des-to wertvoller mussten zum Ausgleich die Opfergaben sein. Die eigenen Kinder, das Wichtigste, was wir haben, waren das größte Opfer in größter Not und Gefahr. Grausam, aber aus Sicht der Kanaaniter durchaus gerechtfertigt: Die Götter geben, die Götter nehmen.
In dieser religiösen Umgebung siedelte sich Abraham an. Aber er und sein Clan glaubten nicht an Astarte und Baal und ihre Kollegen; sie glaubten an den einen Gott. Doch die Umgebung färbt ab: Könnte nicht doch etwas dran sein, an dem, was alle anderen glauben? Das Alte Testament erzählt jedenfalls immer wieder von Rückfällen in die Gewohnheiten der heidnischen Umwelt – man denke nur an den „Tanz ums goldene Kalb“ (Exodus 32). Könnte es also nicht doch richtig und wichtig sein, in Ausnahmefällen Gott das Liebste und Wertvollste zu opfern, das man hat?
Für den Moloch darfst du kein Opfer darbringen
Die Abrahamsgeschichte sagt „Nein!“ und markiert damit einen Bruch mit der Religion der kanaanitischen Umwelt. Der Gott Israels will keine Menschenopfer, auch wenn der Mensch aus falsch verstandenem Gehorsam dazu bereit wäre. Gott schuf den Menschen als sein Abbild, er will ihn schützen und bewahren, er ist viel zu wertvoll, um geopfert zu werden. Bis zu dieser Einsicht brauchte die Menschheit Jahrtausende. Und noch das Buch Levitikus (18,21) muss einschärfen: „Von deinen Nachkommen darfst du keinen für Moloch darbringen.“ Offenbar gab es Rückfälle!
Dass Gott aber grundsätzlich durchaus Opfer erwartet, macht die Szene auf dem Berg Moria auch deutlich: Ein Widder wird verbrannt – und so bleibt es im Judentum über Jahrhunderte. Noch die Eltern Jesu brachten nach der Geburt „ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben“ dar, „wie das Gesetz es vorschrieb“ (Lukas 2,24), und der erwachsene Jesus focht einen Strauß mit den Händlern aus, die im Vorhof des Tempels Opfertiere verkauften (Lukas 19,45–46). Ein Opfer als Dank, Bitte oder Sühne, das ist ein durchtragendes Element in der Religionsgeschichte.
Dabei gibt es schon im Alten Testament auch Kritik am Opfer. Gott selbst spricht sie aus: „Ich hasse eure Feste und ich kann eure Feiern nicht riechen. Wenn ihr mir Brandopfer darbringt, habe ich keinen Gefallen an euren Gaben“, lässt der Prophet Amos (5,21–22) ihn sagen. Und bei Hosea (6,6) heißt es: „Liebe will ich, nicht Schlachtopfer, Gotteserkenntnis statt Brandopfer.“ Gerechtigkeit und Schutz der Witwen und Waisen, das ist ein Opfer, das Gott wohlgefällt.
Durchsetzen kann sich diese Kultkritik aber nicht. Zu gewohnt ist die Praxis des Opfers, zu eingängig die Logik des Opfers: Wer etwas von Gott will, muss ihm auch Opfer bringen. Das Leben ist eben ein Geben und Nehmen – auch das Leben mit Gott.
Und dann kommen Jesus und das Kreuz und damit ein Opfer, das alles verändert. Religionsgeschichtlich einmalig, völlig neuartig und vorbildlos, ein Menschenopfer ganz anderer Art. „Eine Revolution“ nennt Joseph Ratzinger dieses neue und endgültige Opfer, mit dem alle anderen Opferriten überflüssig werden.
Dabei kann man das Opfer Jesu auch missverstehen, wie Ratzinger in seiner „Einführung ins Christentum“ kritisiert: „Von manchen Andachtstexten her drängt sich geradezu die Vorstellung auf, der christliche Glaube an das Kreuz stelle sich einen Gott vor, dessen unnachsichtige Gerechtigkeit ein Menschenopfer, das Opfer seines eigenen Sohnes verlangt habe.“ Womit wir nah dran wären an der Lesung von der Opferung Isaaks. Aber, so Ratzinger: „So verbreitet dieses Bild ist, so falsch ist es.“
Denn das Opfer, von dem der christliche Glaube spricht, ist anders als alle Opfer. „Nicht der Mensch ist es, der zu Gott geht und ihm eine ausgleichende Gabe bringt, sondern Gott kommt zum Menschen ... Gott wartet nicht, bis die Schuldigen kommen und sich versöhnen, er geht ihnen entgegen und versöhnt sie.“
Es ist also genau umgekehrt wie früher: Nicht der Mensch opfert etwas als Sühne für seine Sünden, um Gott versöhnlich zu stimmen; Gott opfert, um den Menschen zu retten, und zwar ein für allemal. Das Kreuz steht nach Joseph Ratzinger „nicht da als die Versöhnungsleistung, die die Menschheit dem zürnenden Gott anbietet, sondern als Ausdruck jener törichten Liebe Gottes, die sich weggibt, in die Erniedrigung hinein“.
Welche Opfer gefallen Gott?
Was heißt das nun für Christen? Zunächst, dass wir keine Opfer bringen müssen. Nie haben Christen das getan. Auch nicht in der Messe, selbst wenn der alte Ausdruck „Messopfer“ das nahelegt und selbst wenn der christliche Altar an einen jüdischen Opferstein erinnert. Wir opfern nicht, wir setzen das Opfer Christi, die Tat Gottes, gegenwärtig.
Was Gott von uns als Opfer erwartet, das beschreibt Joseph Ratzinger so: „Gott gehört alles, dem Menschen aber ist die Freiheit des Ja und des Nein, der Liebe und der Verweigerung, verliehen; das freie Ja der Liebe ist das Einzige, worauf Gott warten muss – das Opfer, das allein Sinn haben kann.“
Sich selbst geben: Das ist Jesu Opfer am Kreuz. Sich selbst geben: Das erwartet Gott als unser Opfer. Und das heißt: Gott lieben und die Mitmenschen. Auch mal die eigenen Interessen und Wünsche hintanstellen. Sich Zeit nehmen für Gott und den Nächsten. Teilen mit denen, die nichts haben. Die Opfer gefallen Gott – besonders jetzt in der Fastenzeit.
Von Susanne Haverkamp