Öffentliche Gottesdienste während der Corona-Pandemie

Gottesdienstverbot und Religionsfreiheit

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Aufgrund der Corona-Pandemie hat die Bundesregierung die Feier öffentlicher Gottesdienste verboten. In Deutschland aber gelten die drei Grundsätze Religionsfreiheit, Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften und Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften. Ein Pro und Contra


Sind die staatlichen Verbote nicht ein Verstoß gegen das Grundgesetz? Jetzt wurden einige Einschränkungen gelockert. Gottesdienste bleiben – nach Bundesländern variiierend – nur sehr eingeschränkt möglich. Die Bischöfe äußerten teilweise Enttäuschung, akzeptieren aber die Beschränkungen grundsätzlich. Sollten die Kirchen stattdessen mit Berufung auf das Grundgesetz nicht die Aufhebung des Verbotes fordern?

PRO:

"Ungestörte Religionsausübung ist ein Grundrecht."

 

CONTRA:

"Wir laufen Gefahr, das Eigentliche zu verpassen."

Im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland ist die Religionsfreiheit im Artikel 4 so geregelt: Absatz 1: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.“ Und im Absatz 2 steht: „Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“ Das bedeutet: Die Kirchen dürfen Gottesdienste feiern, denn es ist ihr Recht! Eigentlich, denn aufgrund der Corona-Pandemie wurde dieses Recht beschnitten.
Kontaktbeschränkungen sind erforderlich, damit das Covid-19-Virus sich möglichst nicht weiter verbreitet, auf jeden Fall nicht so schnell, dass das Gesundheits-System die schweren Fälle nicht mehr im Griff hat. Doch die Grenze ist für mich überschritten, wenn in Supermärkten, die teilweise kleiner sind als Kirchen, eine größere Anzahl Menschen gleichzeitig einkaufen darf (teilweise sogar ohne Maskenpflicht!), und in Kirchen dürfen keine Gottesdienste stattfinden. Und dort, wo Gottesdienste neuerdings wieder stattfinden dürfen, wird die Anzahl der Teilnehmer auf 15 als Obergrenze festgelegt, egal ob in Kapellen, wo diese Anzahl nachvollziehbar ist – oder in großen Kirchen, wo weit über 15 Personen ausreichend Abstände haben, als es in Bussen und S-Bahnen der Fall ist. Dies klingt nicht nach durchdachten rationalen Entscheidungen. So einfach darf man es sich bei der Einhaltung des fundamentalsten deutschen Gesetzes nicht machen!
Raphael Schmidt

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 10. April zwar die Klage eines Gläubigen abgewiesen, der in Hessen das Verbot von Zusammenkünften in Kirchen hinsichtlich gemeinsamer Feiern der Eucharistie kippen wollte. Das BVG urteilte aber auch, dass das Gottesdienstverbot als überaus schwerwiegender Eingriff in die Glaubensfreiheit einer fortlaufenden strengen Prüfung seiner Verhältnismäßigkeit anhand der jeweils aktuellen Erkenntnisse bedarf. Ob die „maßgebliche Risikoeinschätzung des Robert-Koch-Instituts vom 26. März 2020“ die zur Abweisung der Klage offenbar maßgeblich führte, ausreichend ist, um solch tiefe Einschnitte in die Grundrechte der Bürger als Gericht zu begründen, wage ich zu bezweifeln. Zumal: Sich auf ein einziges Institut zu verlassen, während andere namhafte Virologen und Mediziner möglicherweise zu nicht deckungsgleichen Einschätzungen kommen, halte ich für höchst bedenklich.

 

Natürlich müssen wir politische Entscheidungen wachsam verfolgen und dabei bereit sein, für die demokratischen Grundrechte einzutreten. Sind die durch die jüngsten Regierungsentscheidungen aber wirklich in Gefahr? Ich kann keine Anzeichen dafür erkennen, dass Verantwortungsträger gerade den Boden für eine dauerhafte Einschränkung der Religionsfreiheit bereiten. Dagegen bin ich immer wieder beeindruckt, wie verantwortungsbewusst sich viele von ihnen gerade der Mammutaufgabe stellen, unter Zeitdruck einer Flut von einander widersprechenden Interessen gerecht zu werden. Unser Platz als Christen sollte jetzt nicht im Chor derer sein, die lauthals Eigeninteressen einfordern. Damit würden wir nur einmal mehr die Vorurteile etlicher Zeitgenossen bedienen, die uns Christen den nervigen Dauer-Nörgelmodus zuschreiben und die von uns kaum mehr erwarten als die verschrobene Litanei „Früher war alles besser“.

Dorothee Wanzek

Warum richten wir unsere Aufmerksamkeit nicht stärker auf das Eigentliche, auf die Begegnung mit unserem auferstandenen Gott? „Ich bin bei euch alle Tage“ hat er uns versprochen. Nehmen wir das in diesen Tagen ernst genug? Diese Zusage ist nicht auf die Eucharistie beschränkt und nicht auf Sakralgebäude. Vielleicht verpassen wir die Verabredung mit ihm, während wir von der Auflehnung gegen die – nicht aus Schikane, sondern aus Nächstenliebe erlassenen – Corona-Beschränkungen eingenommen sind. Möglicherweise ist er gerade bei uns zu Hause in unseren Familien, in der Leitung unserer Telefongespräche, in unseren einsamen Herzen. Wenn ich irgendwann später erkenne, dass ich ihn da übersehen und nicht aus der Kraftquelle seiner Gegenwart geschöpft habe, wird mich das womöglich ganz schön wurmen.
Die Gelegenheit wird kommen, dem Auferstandenen wieder in eucharistischer Gemeinschaft zu begegnen. Dann können wir einander  und unseren ungetauften Mitmenschen zeigen, wie zentral diese Form der Gottesbegegnung für unser Leben ist. Wenn ich an die Gottesdienste denke, die ich in den letzten Jahren mitgefeiert habe, sehe ich da noch ein wenig Luft nach oben. So richtig überzeugend fände ich Warteschlangen vor der Kirche, Sitzplatznot an gewöhnlichen Sonntagen, begeisterte Gesichter, Gemeindemitglieder, für die ihre Sonntagsmesse weit vor dem RB-Spiel oder dem gemütlichen Frühstück rangiert...

 

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