Gottsuche in der Natur

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Giclée-Print „Der Wanderer 2“,  von 2004, der Finnin Elina Brotherus nach Friedrichs Motiv aus seinem um 1817 enstandenen Gemälde „Wanderer über dem Nebelmeer“.
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Foto: Elina Brotherus

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In „Der Wanderer 2“, einem Giclée-Print von 2004, greift die Finnin Elina Brotherus Friedrichs Motiv aus seinem um 1817 enstandenen Gemälde „Wanderer über dem Nebelmeer“ auf.

Anlässlich des 250. Geburtstages von Caspar David Friedrich widmet die Hamburger Kunsthalle dem Romantiker eine Schau, die neben einigen seiner ikonischen Werke auch zeitgenössische Rezeptionen seiner Bilder umfasst.

Fast winzig erscheint die Figur am Strand. Vor ihr kreisen ein paar Möwen über dem bewegten Meer. Übermächtig wälzt sich der Himmel über die Szenerie, dräut am Horizont mit tiefdunklen Wolken, die bald das frische Blau am oberen Bildrand vertreiben werden. Der Mensch – ob es sich um einen Mönch handelt, gar um einen Kapuziner, wie Heinrich von Kleist meinte, ist unklar – sinniert über die Natur, der er ausgeliefert ist. Er sinniert über die göttliche Schöpfung, deren Unendlichkeit ihm schlussend­lich unbegreifbar bleibt, vielleicht auch über den Tod und das Jenseits.  

Das 1810 vollendete Gemälde „Mönch am Meer“ gehört zu den ikonischen Werken Caspar David Friedrichs. Die radikale, so einfache wie eindrückliche Komposition aus Strand, Meer, Figur und Himmel brach mit der traditionellen Landschaftsdarstellung. Nicht einmal mehr seitliche Kulissen fügte Friedrich ein und erzeugte so den Eindruck unendlicher Weite. Die Besucher der Hamburger Kunsthalle, die das Gemälde schon in einem der ersten Räume ihrer Schau anlässlich des 250. Geburtstages Friedrichs großzügig einzeln auf einer Wand präsentiert, bleiben lange vor ihm stehen. Als gehe ein tiefgründiger Bann von ihm aus. Fast könnte man meinen, es sei ein Andachtsbild. 

Tatsächlich hat der 1774 in ein streng protestantisches Greifswalder Elternhaus hineingeborene Künstler um diese Zeit eine Reihe sakraler Landschaftbilder geschaffen. Das bekannteste von ihnen, der Tetschener Altar, ist zwar nicht in der Ausstellung zu sehen, dafür aber mehrere Werke, die dessen Motiv variieren. So etwa das 1812 entstandene „Kreuz im Gebirge“. Und die 1811 vollendete „Winterlandschaft“ zeigt einen Mann, der sich im Schnee vor einem Kruzifix zum Gebet niedergelassen hat. Zwei ein paar Meter entfernt von ihm liegende Krücken zeigen, dass er die letzten Schritte ohne die Gehhilfen bewältigt hat. „Der Glaube scheint ihm die Kraft dazu verliehen zu haben“, schreibt dazu Markus Bertsch, der mit Johannes Grave von der Friedrich-Schiller-Universität in Jena die Ausstellung kuratiert hat.  

Das Verhältnis des Menschen zur Natur, ja auch die Gottsuche in der Natur sind zentrale Themen, die Friedrich bewegt haben. Oft erscheinen Figuren in Rückenansicht, die versonnen über bizarre Landschaften blicken – so auch in den gleichfalls ikonischen Werken „Wanderer über dem Nebelmeer“ und „Kreidefelsen auf Rügen“, die ebenfalls in der Schau zu sehen sind. Dabei hat Friedrich die Landschaften meist konstruiert, Elemente aus verschiedenen Plätzen zusammengefügt. Selbst die Kreidefelsformation ist auf Rügen stets vergebens gesucht worden. Ebenso der Strand aus dem „Mönch am Meer“. Damit suchte der Romantiker Friedrich zugleich, seine Stimmungen, seine Befindlichkeit in den Bildern wiederzugeben. In gewisser Weise erhebt er sich damit über die Natur.

  
Heutige Künstler greifen Schöpfungsthema auf


Die Schau zeigt im ersten Teil, der überraschenderweise in der Galerie der Gegenwart zu sehen ist, mehr als 60 Gemälde und rund 100 Zeichnungen Friedrichs. Hinzu kommen einige Werke seiner Zeitgenossen, etwa von Carl Gustav Carus. Der zweite Stock der Galerie der Gegenwart ist dann der Rezeption Friedrichs durch heute lebende Künstler gewidmet – eine Anknüpfung, die die Schau über eine Retrospektive hinaushebt und damit umso spannender, ja eigentlich spannungsgeladen macht.  

Bei aller Säkularisierung, die die Motive dabei erfahren, spielt das Thema der Schöpfung weiter eine zentrale Rolle. Im Mittelpunkt steht nun nicht mehr der Mensch, der der Natur ausgeliefert ist, sondern der Mensch als Verunstalter der Natur. So zeigt Swaantje Güntzel beispielsweise eine Frau in Rückenansicht, die vor Friedrichs Werk „Eismeer“ sitzt und aus einer Plastikflasche Wasser trinkt. Um sie herum liegen wie Müll lauter weitere Plastikflaschen. Die Finnin Elina Brotherus will demgegenüber stärker ihre weibliche Sicht auf die Natur betonen, wenn sie sich ebenfalls in Rückenansicht vor der Landschaft inszeniert.  

Der dritte Teil umfasst nur zwei Großformate des farbigen US-Künstlers Kehinde Wiley, die im Altbau der Kunsthalle neben Historienbildern aus dem 19. Jahrhundert präsentiert werden. Wiley l konterkariert den von hellhäutigen Menschen geprägten Kunstkanon, indem er Schwarze in die Landschaften Friedrichs platziert. Es sind zumindest Anregungen, über die gegenwärtige Stimmungslage in westlich geprägten Ländern zu sinnieren.

Caspar David Friedrich. Kunst für eine neue Zeit, Hamburger Kunsthalle, bis 1. April, Di. bis So. von 10 bis 19 Uhr, Do. bis 21 Uhr, Eintritt 16 Euro. 

Matthias Schatz