Wie weit darf die Gentechnik gehen?

Grenzen des Guten

Brot statt Hunger, Herrschaft Jesu statt Herrschaft von Despoten: Mit guten Zielen versucht der Teufel Jesus. Ist das Gute die Versuchung? Auch heute im Zeitalter der Gentechnik? Fragen an den Ethiker Andreas Lob-Hüdepohl.

Gesundheit ist ein hohes Gut. Ist es eine moderne Versuchung, mit gentechnischen Mitteln schwere Krankheiten oder tödliche Gendefekte zu verhindern?
Bei näherem Hinsehen, ja. Denn selbst wenn es technisch gelänge, mit Hilfe der neuartigen Genschere CRISPR-Cas9 Krankheiten wie Mukoviszidose zu verhindern oder wie bei bestimmten Formen der Alzheimer-Demenz das Erkrankungsrisiko spürbar zu senken, geht es dabei im Grunde genommen um die Verwirklichung des Elternwunsches nach einem genetisch eigenen Kind. Ich will das keinesfalls als unbedeutend oder gar illegitim abtun, im Gegenteil. Dennoch müssen wir fragen, ob wir tatsächlich diesen hochriskanten Aufwand betreiben wollen, um den sehr berechtigten Wunsch nach einem Kind oder dessen möglichst risikoarmer Zukunft zu realisieren. Die Versprechungen von Keimbahninterventionen lenken von solchen Alternativen ab. Sie suggerieren einfache Lösungen. Darin besteht ihre Versuchung.

Gibt es ein Kriterium, wann solche Eingriffe ethisch legitim sind und wann nicht?
Zunächst müssen Keimbahneingriffe wirklich notwendig sein – das ist oft nicht der Fall. Sodann muss die Technik selbst ausreichend erprobt und sicher sein, sie ist aber erst im Anfangsstadium. Es gibt unerwünschte Effekte, die auftreten, wenn die gentechnischen Instrumente nicht zielgenau sind. Andere Gene werden verändert, die gefährliche Nebenwirkungen wie Tumorbildungen auslösen. Und dann das größte Problem: Wir entscheiden nicht für uns, sondern für andere, für unsere Kinder. Keimbahninterventionen wären ethisch nur dann legitim, wenn wir mit größter Wahrscheinlichkeit davon ausgehen könnten, dass unsere Kinder der Manipulation aus Überzeugung zustimmen würden. Das ist nur in außergewöhnlichen Fällen vorstellbar.

Ist Gesundheit oder das Fehlen von Behinderungen überhaupt so ein hohes Gut, hinter dem alles zurückstehen muss?
Natürlich nicht. Ohnehin sind viele Behinderungen, die Menschen im Rollstuhl oder mit Down-Syndrom erleiden, Folge umwelt- oder einstellungsbedingter Barrieren. Die können wir tatsächlich relativ unproblematisch abbauen, wenn wir denn wirklich wollten – ganz ohne die Verheißungen moderner Gentechnik. Und Gesundheit bedeutet nicht genetische Makellosigkeit, sondern Kraft zum Leben. Mit Blick auf viele chronisch kranke oder behinderte Menschen können die Ach-so-Gesunden und Vitalen da eine Menge lernen. 

Eine Versuchung ist „Brot gegen den Hunger“. Auch dabei wird heute mit genverändernden Methoden experimentiert. Darf man nicht alles Mögliche tun, um den Hunger zu besiegen?
Man darf nicht nur, sondern man muss sogar alles Mögliche tun, um den Hunger zu besiegen. Aber wir sollten das Naheliegende tun: den Skandal der Lebensmittelvernichtung beenden und die Agrarflächen auf der Erde nicht für den überbordenden Fleischkonsum einiger weniger verschwenden. Es gibt genug Nahrungsmittel auf der Welt. Wir müssen sie nur gerecht verteilen, anstatt uns allzu schnell durch die Versuchungen der grünen Gentechnik verblenden und ablenken zu lassen. 

Foto: Elisabeth Schoepe / KHSB
Lehrt theologische Ethik:
Andreas Lob-Hüdepohl
Foto: Elisabeth Schoepe /
Katholische Hochschule für
Sozialwesen Berlin

Ist es grundsätzlich eine Gefahr, mit dem guten Ziel auch schlechte oder zumindest umstrittene Methoden zu legitimieren?
Die Gefahr besteht immer. Aber wir können ihr begegnen, wenn wir sorgfältig Nutzen und Schaden, Chancen und Risiken abwägen. Und, wie gesagt, im Zweifel nach anderen Wegen suchen. Niemals darf der noch so gute Zweck moralisch bedenkliche oder sogar verwerfliche Mittel heiligen. 

Was halten Sie von dem Argument, der Mensch solle prinzipiell nicht Gott spielen?
Viel, wenn damit gemeint ist, dass wir vorgegebene Verbindlichkeiten unseres Miteinanders respektieren sollen. Wenig, wenn damit gemeint sein sollte, dass wir die Welt nicht gestalten dürften und allem seinen freien Lauf gewähren müssten. Wir sind berufen, die Welt zu bewahren, zu bebauen, zu kultivieren, also zu gestalten. Zur Natur des Menschen gehört, kreativ zu sein und sich so als wahres Ebenbild Gottes zu erweisen. 

Gibt es nicht auch so etwas wie eine Souveränität Gottes über die Schöpfung? Mir scheint, so etwas hatte Jesus in seiner Debatte mit dem Teufel im Sinn.
So ist es. Wir sind Ebenbild Gottes, nichts weniger, aber eben auch nicht mehr. Auch der Gottessohn Jesus setzt sich nicht an die Stelle seines Vaters. Selbst er erwartet Beistand von dessen Seite. Umso weniger sollten wir uns zu Göttern an der Petrischale aufplustern.

Sie schreiben in einem Beitrag, man solle die Gentechnik nicht „dämonisieren“. Das erinnert an den Teufel aus dem Evangelium. Oder meinen Sie das bildlich?
Nehmen Sie das ruhig wörtlich. Mit Dämonen verbinden wir zweierlei: tödliches Unheil und magische Macht, der wir uns kaum entziehen können. Auf die Gentechnik bezogen wäre beides falsch. Erstens kann sie auch Gutes bewirken, selbst wenn ich den Hype um die CRISPR-Cas-Methode kritisch sehe. Und zweitens: Wir sind den Entwicklungen keinesfalls hilflos ausgeliefert. Wir können und müssen die Technik menschenwürdig und schöpfungsverträglich gestalten. Damit entsprechen wir der Natur des Menschen, die Gott in seiner Souveränität uns geschenkt hat. Damit geben wir ihm die Ehre!

Susanne Haverkamp