11 Antwortversuche von Ruth Lehnen

Gründe für die Krise der Beichte

Woran liegt es, dass die Beichte trotz aller Appelle von Päpsten und Bischöfen nicht wirklich beliebt ist bei den Katholiken? Ruth Lehnen hat sich auf die Suche nach den Gründen gemacht.

 

Beichte ohne Sündenbewusstsein als Paradox

Als Kind fragte ich meine Oma, ob sie nicht vor Ostern beichten gehen wolle. „Aber Kind“, war ihre Antwort: „Was soll ich denn noch sündigen in meinem Alter?“ Ich war kurz perplex, dann dachte ich, sie hat ja recht. Ihr Gefühl war einfach: „Da gibt es nichts zu beichten. So, wie ich (jetzt) bin, bin ich in Ordnung.“ Die Haltung, die sie um das Jahr 1970 an den Tag gelegt hat, nehmen heute immer mehr Menschen ein.


Verschweigen in der Beichte oder zum achten Gebot

Der Trick in der Beichte: Murmeln, dass man es mit dem achten Gebot („Du sollst nicht lügen!“) nicht genau genommen hat. Daraus das Recht ableiten, in der Beichte nicht die Wahrheit zu sagen, beziehungsweise: nicht die volle Wahrheit. Was sich heute absurd anhört, war in den sechziger Jahren gang und gäbe. Eine Form wurde erfüllt, der Sinn spielte keine Rolle.


Peinliche Erforschung: Beichtspiegel und andere überlebte Sachen

Das mit dem achten Gebot hatten schlaue Kinder aus den Sechzigern aus den damals üblichen Beichtspiegeln abgeleitet. Sie arbeiteten in der Beichte folgendes ab: 1. Beten („Ich habe unandächtig gebetet.“) 2. Heilige Namen („Ich habe geflucht.“) 3. Heilige Messe (Messdiener durften hier auf keinen Fall sagen, dass sie nicht jeden Sonntag in der Messe gewesen waren.) 4. Eltern und Vorgesetzte („War ich gehorsam gegen Eltern und Lehrer?“) 5. Zanken und streiten, 6. Unschamhaftigkeit („Habe ich mich neugierig angeschaut?“) 7. Naschen und stehlen , 8. Lügen.
„Gewissenserforschung“ ist heute im Gotteslob zu finden: für Kinder GL 598, für Erwachsene 600 und 601. In GL 600 werden dem Beichtwilligen mehr als 80 zum Teil höchst schwierig zu beantwortende Fragen gestellt, die auf ein vermutetes persönliches Versagen gerichtet sind. Die Vorstellung, dass jemand diese buchhalterisch zu beantworten versucht, ist im höchsten Grade abschreckend.


Beichte als zu selten geübtes Sprechen über den Glauben

Wesentliche Voraussetzung für die Beichte ist es, das Gespräch unter Christen einzuüben. Über Gottes großes Angebot eines Lebens in Fülle, und über die Schmerzen, die wir als seine Kinder erleiden und anderen zufügen. Über gescheiterte Hoffnungen, über Gottes Barmherzigkeit – darüber ins Gespräch zu kommen. Das würde aber voraussetzen, dass wir unter Christen gelernt hätten, unser Herz auszuschütten. Und dass wir gelernt hätten, aufmerksam und liebevoll und aufbauend zuzuhören. Dieses Gespräch könnte dann münden in eine Beichte, die befreiend und heilend ist.


Beichte als traumatische Erfahrung von Vielen

Stattdessen haben viele die Beichte als erniedrigende Prozedur in Erinnerung. Ungezählt die Berichte über enttäuschende Erfahrungen: Wo ein sanftmütiger Zuhörer erwartet wurde, traf man auf einen scharfen Richter, wo Trost erhofft wurde, gab es Tadel, wo Anteilnahme richtig gewesen wäre, wurde Angst gemacht. Was nicht heißt, dass es nicht auch barmherzige, aufmerksame, wunderbare Beichtväter gibt.


Zur Frage der Intimität

Das Gewissen, so heißt es im Gotteslob, sei die „verborgenste Mitte und das Heiligtum im Menschen, wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Innersten zu hören ist“. Intimität zwischen Gott und Mensch und zwischen Mensch und Mensch ist ein wichtiges Stichwort beim Thema Beichte. Für die Kirchenrechtlerin Professorin Sabine Demel gehört „ein übergriffiges Ausfragen im Bereich der Sexualität“ zum Missbrauch der Beichte als Machtinstrument. Ein Ausfragen zu diesem Thema verbietet sich überall, erst recht in der Beichte. Damit soll nicht gesagt werden, dass es beim Sex nicht menschenverachtend und sündig zugehen kann. Aber Kurzschlüsse wie in den Hilfen zur Gewissenserforschung „Bin ich in Partnerschaft und Liebe nur auf mich bezogen (z.B. Selbstbefriedigung)“ oder von Neugier angetriebene Fragen verbieten sich in dem als heilig gedachten Raum der Beichte.
 

Beichte empfunden als Herrschaftsgefälle

Schwierig ist bei der Beichte, dass ein als sündig Angesehener auf einen Priester trifft, der von sich selbst nicht sprechen soll/darf. Da es aber am Priester ist, die Absolution zu erteilen, ergibt sich ein starkes Gefälle in der Kommunikation, dem sich Menschen heute nicht mehr gern aussetzen. Dass der Priester nur an Jesu Statt und in seinem Auftrag die Sünden vergibt, ist völlig in Vergessenheit geraten und zum Teil nicht mehr vermittelbar.


Beichte als Männer-Frauen-Problem

Die Lossprechung ist an das Priesteramt gebunden, das in der katholischen Kirche nur Männer ausüben. Daraus ergibt sich, dass Frauen sich in der Beichte immer einem Mann anvertrauen müssen. Eine Schwierigkeit, der viele Frauen ausweichen.


Das Beichtstuhl-Problem

Wo beichten? Im klassischen Beichtstuhl wird das Gefälle zwischen den Beteiligten stark betont, indem der Beichtende/die Beichtende kniet, während der Priester sitzt. Durch das Beichtgitter wird eine Art Anonymität gewahrt, die wiederum so genannte Beichtzimmer nicht haben. Beichten geht fast überall, wo zwei Menschen ungestört miteinander reden können. Dieser Gedanke hat sich noch wenig durchgesetzt.


Nicht Beichten – in Sünde leben?

Wer nicht einmal im Jahr beichtet, übertritt ein kirchliches Gebot, so dass, wie Rupert M. Scheule einmal formuliert hat, „interessanterweise der Umstand, nicht zu beichten, zur beichtwürdigen Sünde wird“. Zahlreiche Katholiken ignorieren dies, eine der vielen Halbheiten, die im katholischen Glauben gern gelebt werden. Alle wissen, dass offiziell gesehen etwas im Argen liegt, wenn sehr viele Katholiken (in Deutschland) auf den Empfang eines Sakraments verzichten, aber wenige scheren sich darum.


Das Umkehren: Welche Haltung und welches Handeln auch heute aktuell ist

Jesus fordert auf: „Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ (Markus 1,15) Im griechischen Urtext steht das Wort Metanoia, das wörtlich bedeutet: umdenken, anders denken, hinter die Dinge schauen. Metanoia, das Umkehren, ist laut der Kirchenrechtlerin Sabine Demel die Fähigkeit, in allem Gottes Nähe zu erkennen. Es ist nicht etwas, das man beherrscht, sondern eine Haltung, die immer neu eingeübt werden muss. „Sie kennt dementsprechend Wachstumsschübe, Stagnationen und Rückschläge.“ Daher sei es wichtig, von Zeit zu Zeit innezuhalten und die Ausrichtung seines Lebens zu überprüfen – im Hinblick auf sich selbst, auf Gott und seine Mitmenschen. „Wenn dabei Belastendes und Beunruhigendes, Unsicherheit und Unzufriedenheit aufkommen, dann bietet das Sakrament der Beichte die Möglichkeit, dass ich aussprechen kann, was mich bewegt und umtreibt, dass ich darin Gehör finde und dass ich Befreiung und neue Stärkung erfahre.“ (Sabine Demel) Eine Umkehr in diesem Sinn bedeutet gleichzeitig eine neue Hinwendung zu Gott und zu mir selbst.


Lesetipp: Sabine Demel/ Michael Pfleger (Hg): Sakrament der Barmherzigkeit. Welche Chancen hat die Beichte?, Herder, 638 Seiten, 39,99 Euro