Teil 6 unserer Fastenserie zu Tugenden

Gut, dass es dich gibt!

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Mit welchen Leitlinien kommen wir weiter gut durch die Corona-Krise? Welche Maßstäbe geben uns Orientierung für ein glückliches Leben? Eine Richtschnur können die christlichen Tugenden liefern. Die sechste ist die Liebe.

Ein älteres Paar sitzt verliebt vor einem Computer.
Harmonie, Vertrautheit, Geborgenheit, Nähe – das alles und noch viel mehr bedeutet Liebe. Aber vor allem: Glück.

Von Hubertus Büker 

Ich weiß nicht mehr genau, wann ich „Die Kunst des Liebens“ von Erich Fromm gelesen habe. Mit 17, 18 vermutlich, vielleicht auch schon mit 16. Lebhaft erinnere ich mich hingegen daran, dass ich gleich bei der Lektüre der ersten Seiten rot geworden bin.

Da stellt Fromm fest, dass die menschlichen Liebesbeziehungen sozusagen kaufmännischen Kalkulationen folgen: „Zwei Personen verlieben sich also ineinander, wenn sie das Gefühl haben, das geeignetste auf dem Markt verfügbare Objekt gefunden zu haben, unter Berücksichtigung der Grenzen des eigenen Tauschwertes.“

Ich fühlte mich von Herrn Fromm peinlich ertappt, denn das war im Grunde auch meine unreife Denke. Unter den Mädels meiner Altersgruppe gab es Traumfrauen: attraktiv, klug, selbstbewusst, sympathisch. Sie waren unerreichbar für einen wie mich: bebrillt und dicklich, allenfalls durchschnittlich begabt und weder lässig noch charmant oder draufgängerisch. Andererseits kannte ich auch weibliche Wesen, die ich uninteressant fand: ein Kopf größer als ich oder albern oder zickig oder unscheinbar.

Und ich schämte mich. Wie kannst du nur, warf ich mir vor, Menschen in Güteklassen einteilen? Dass ich das auch mit mir selbst tat, machte die Sache ja nicht wirklich besser. Junge, Junge, dachte ich, du musst noch eine ganze Menge lernen.

Aber kann man Liebe lernen? Zu meiner Erleichterung gibt Erich Fromm eine klare Antwort: Ja, man kann! 

Und er liefert denn auch so manchen lehrreichen Rat in Sachen Liebeskunst. Ohne freilich die Rätsel der Liebe auch nur annähernd aufklären zu können. Wie denn auch? Kein Thema der Welt dürfte, seit die Menschheit existiert, ausgiebiger beschrieben, besungen, bedacht worden sein. Durchaus nicht ergebnislos – nur eben mit unendlich zahlreichen und völlig unterschiedlichen Ergebnissen.

Kinder, Gott und Käsekuchen

Was bereits am Begriff liegt, der so vieles meint. Die Liebe eines Paares und die Liebe der Eltern zu ihren Kindern – sie ähneln sich gewiss in vielerlei Hinsicht, sind aber doch nicht dasselbe. Eine damit allerdings kaum vergleichbare Art der Zuneigung meint, wer davon spricht, Fußball zu lieben oder den Frühling, die Musik oder die Dichtkunst oder meinetwegen Käsekuchen. Und schließlich der Satz „Gott ist die Liebe“ – da bewegen wir uns in einer wiederum ganz anderen Sphäre. Gott und Käsekuchen, alles Liebe?

Der christliche Philosoph Josef Pieper hat einmal „versuchsweise“ vorgeschlagen, das Wesen der so verschiedenartigen Liebe in einen einzigen Begriff zu fassen: „In jedem denkbaren Fall besagt Liebe so viel wie Gutheißen.“ Und das klingt in der Tat überzeugend. Dem geliebten Menschen versichern wir: Es ist gut, dass es dich gibt. Das könnte der Glaubende ebenfalls zu Gott sagen – wobei er ja nun vor allem davon überzeugt ist und darauf baut, dass zunächst Gott genau das zu ihm gesagt hat: Es ist gut, dass es dich gibt.

Und zweifellos kann man auch über die schönen Dinge des Lebens sagen: Es ist gut, dass es sie gibt. Womit meistens durchaus mehr ausgedrückt wird als ein flüchtiges und folgenloses Gefühl. Wer, zum Beispiel, das Meer liebt, genießt wahrscheinlich das Rauschen der Wellen, den Salzgeruch, die ungebändigte Kraft – wird sich aber auch sehr ernsthafte Sorgen machen, weil dieses Meer verschmutzt und vergiftet und überfischt wird. Was man liebt, will man bewahren und schützen.

Aber gibt es nicht einen fundamentalen Unterschied zwischen Menschen und Dingen? Der heilige Augustinus meint: „Menschen darf man nicht auf solche Weise lieben, wie man den Feinschmecker sagen hört: Ich liebe Krapfen.“ Dem ist kaum zu widersprechen. Bedeutet das nun jedoch, dass die Liebe zu Menschen idealerweise vollkommen uneigennützig sein muss? Dass sie alles für den geliebten Menschen will und nichts für sich? Manche verlangen dies namentlich von einer Liebe, die als wahrhaft christlich gelten soll: sie müsse absolut selbstlos sein.

Und die Liebe lohnt sich doch

„Jede wahre Liebe ist ohne Berechnung“, scheint der heilige Bernhard von Clairvaux diese Auffassung zu bestätigen, doch halt, der Satz geht noch etwas weiter: „… und hat dennoch zugleich ihren Lohn.“ Welchen Lohn? „Liebe bedeutet: sich freuen am Glück des anderen“, lautet, zum Beispiel, eine Antwort des Philosophen Gottfried Wilhelm Leibnitz.

Demnach lohnt es sich, die Kunst des Liebens zu erlernen, in der Liebe zu wachsen, Liebe zu schenken – es lohnt sich auch für mich selbst. Sogar dann, wenn, was gelegentlich dummerweise passiert, die Liebe nicht erwidert wird, das freundliche Wort nur Knurren auslöst oder die gute Tat ohne Dank bleibt. Eine angemessene Reaktion zu erwarten, wäre ja aber auch Berechnung.

Nein, erfreulicherweise hat Gott den Menschen so erschaffen, dass er glücklich sein will. Das ist seine Natur, er kann nichts dafür, er kann nicht anders. Und Liebe ist der beste Weg dahin. „Weil wir es lieben zu lieben“, schreibt Josef Pieper. Weil Liebe uns Freude bereitet. Oder um es mit Goethe zu sagen: „Glücklich allein ist die Seele, die liebt.“