Der Natur auf der Spur (3)
Guter Boden ist ein Fest für die Sinne
Foto: Imago Images
Er ist ein stiller und dunkler Geselle. Nicht niedlich wie Eichhörnchen, nicht schön wie Sommerblumen. Manchmal landet er ungewollt auf dem Wohnzimmerteppich, wird von den Schuhen gekratzt oder von Kartoffeln und Karotten geschrubbt. Der Boden hat ein Imageproblem. Allerdings nicht, wenn Sonja Medwedski über ihn spricht. Oder besser gesagt, ihn selbst zu Wort kommen lässt. Zum Beispiel in ihrem Erstlingswerk „Die Stimme des Bodens“. Da heißt es: „Manchmal nennst du mich Erde, manchmal Matsch oder Dreck – doch da unten wartet viel mehr, als du bisher vielleicht vermutest. Unter deinen Füßen existiert ein wahres Universum.“
In einer Handvoll Boden können mehr Organismen leben, als es Menschen auf dieser Welt gibt. Darunter Bakterien, Einzeller, Pilze, Algen, Würmer, Krebstiere, Spinnentiere, Tausendfüßer und Insekten. Auch das größte Geschöpf auf Erden lebt im Untergrund: Das Geflecht (Myzel) des Hallimasch dehnt sich auf Flächen bis zu 30 Quadratkilometern aus. Ein echter Monsterpilz.
Wenn eine Bodenexpertin wie Sonja Medwedski einen Sonntagsgottesdienst mitgestaltet, hört man nicht nur solche spannenden Geschichten, sondern macht sich auch die Hände schmutzig. Im Garten der evangelischen Lutherkirche wird Erde in kleinen Schalen herumgereicht und darf angefasst werden.
Böden begleiten uns von der Kindheit bis zum Tod
Ein guter Boden, sagt die Wissenschaftlerin, „ist ein Fest für die Sinne“. Er riecht angenehm nach Wald, nach Moder – eben erdig. Er hat eine schöne Farbe, fühlt sich locker und krümelig an. Idealerweise ist er auch bewachsen, so dass er seine Superkraft entfalten kann. Als Speicher für Humus, Wasser oder Nährstoffe trägt der Boden zum Klimaschutz, zur Ernährung oder auch zur Vermeidung von Hochwasser bei.
Sonja Medwedski, geboren 1984, will das Image der Böden aufpolieren. Immerhin begleitet uns dieses lebendige Universum von der Kindheit (Sandkasten) bis zum Tod (Friedhof). Für den Schutz einer Sache, sagt sie, brauche es Liebe. Und vor der Liebe komme das Kennenlernen. Aufgewachsen auf einem Bauernhof im Venner Moor im Osnabrücker Land, hatte Medwedski schon früh Bodenkontakt. Die Liebe zu ihrem Fachgebiet kam aber erst später. Im Studium der Physischen Geografie, genauer gesagt im Nebenfach Bodenwissenschaften, sprang der Funke über. Sie selbst beschreibt sich wahlweise als Boden-Botschafterin, „Master-Maulwurf“ oder einfach nur „bodenständig“.
Seit über zehn Jahren arbeitet Sonja Medwedski im vor- und nachsorgenden Bodenschutz. Sie untersuchte schadstoffbelastete Böden an Tankstellen oder alten Lackfabriken und trägt jetzt dazu bei, Mülldeponien zu rekultivieren. „Der Boden kann sich erholen“, erklärt sie. Aber während es bei uns Menschen schnell gehen muss, „braucht der Boden viel Zeit, um sich zu regenerieren“.
Warum ist unser stiller Nachbar so wichtig, lautet eine Quizfrage im Freiluftgottesdienst der Luthergemeinde. Die Expertin weiß es genau. Ob im Garten, im Wald oder in der Stadt: „Der Boden ist mit seinen zahlreichen Familienmitgliedern – den Bodentypen – immer an der Seite der Menschen.“ Das fängt beim Essen an, „denn viele Leckereien auf dem Tisch, Brot, Nudeln, Obst oder Gemüse, gäbe es nicht. Ohne fruchtbaren Boden wären unsere Teller so gut wie leer“.
Wir beanspruchen immer mehr Platz, betonieren Flächen zu.
Und selbst beim Blick ins Bierglas wird schnell klar, dass ohne Hopfen und gemälztes Getreide nur klares Wasser übrig bliebe. Auch Whisky wäre nichts ohne die gut aromatisierte Gerste, ganz zu schweigen vom Gläschen Wein, bei dem es sich ausgiebig über die Qualität der Trauben fachsimpeln lässt. Ob Hopfen, Gerste oder Weintrauben, sie alle wachsen auf und im Boden.
Sonja Medwedski macht deutlich, dass der Boden keine erneuerbare Ressource ist. „Wir beanspruchen immer mehr Platz, betonieren Flächen zu. In Deutschland gehen jeden Tag rund 50 Hektar Boden verloren.“ Das Bewusstsein für den Boden sei deshalb der erste Schritt, sagt sie. Ein Blick nach unten hilft also.
Eine der wichtigsten Funktionen des Bodens ist seine Schwammkraft – dort, wo Häuser stehen, Wasser zu speichern und einen Teil zum Hochwasserschutz beizutragen. In der Sprache des Bodens klingt das so: „Allein unter einem Quadratmeter Bodenoberfläche kann ich die Wassermenge einer großen Badewanne speichern – aber nur dort, wo keine Asphalt- oder Betondecke meine Sicht nach oben versperrt. Immer, wenn eure Straßen überflutet sind, heißt das nicht anderes, als dass zu wenig Speicherplatz im Untergrund für das Wasser vorhanden ist.“
Zur Bodenfamilie gehören vier Hauptarten: Sand, Schluff, Ton und Lehm. Es gibt sie auch als Mischformen – lehmigen Sandboden, tonigen Lehmboden oder sandigen Schluffboden. Und je nach Region hat auch der Tuschkasten des Bodens einiges zu bieten: leuchtendes Orange, gelbe Schattierungen, grünliche Schimmer, silberne Streifen.
Vorsicht vor der Schaufel
Optisch betrachtet, mag Sonja Medwedski am liebsten Podsol, „weil er so farbenfroh ist und Landschaftsgeschichte widerspiegelt“. Rostflecken in den tieferen Schichten weisen auf eine gute Belüftung hin, denn Eisen oxidiert durch den Einfluss von Sauerstoff und Wasser. Podsol kommt in der Lüneburger Heide vor oder in sandigen Gebieten. Der Gartenboden hingegen ist kein Mitglied der bodenkundlichen Familie. Eher so etwas wie ein menschengemachter Verein, dem alle Bodentypen beitreten können. Und er ist nur fruchtbar, wenn es auch den kleinen bis klitzekleinen Bodenbewohnern gutgeht – wenn sich jeder in seinem eigenen Lebensraum, in einer ganz bestimmten Tiefe, einrichten kann. Einige haben es gern etwas dunkler, graben sich aber nur wenige Zentimeter ein, weil sie Sauerstoff brauchen. Andere sind wahre Freunde des Untergrunds.
Der Rat der Expertin lautet deshalb: Vorsicht vor der Schaufel! Wer mit der Gartenschaufel anrückt, sagt Medwedski, verursache quasi ein großes Erdbeben. „Es dauert danach eine ganze Weile, bis sich alle Bewohner wieder auf den Weg in ihre Lieblingsetage gemacht und neu eingerichtet haben.“ Man kann den Gartenboden getrost in Ruhe lassen. Eine Unterstützung durch Gartenschaufeln, sagt Medwedski, brauche es nur in seltenen Fällen. Etwa beim Eingraben einer Pflanze. Lockern ist gut, Wenden ist meistens nicht erforderlich.
Sonja Medwedski, „Die Stimme des Bodens. Alles über unseren sonst so stillen Nachbarn“, Springer Verlag, 22,99 Euro