Impuls zum Sonntagsevangelium am 18. Juni 2023

Heilen wie Jesus

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Papst Franziskus, Mutter, Kind im Krankenhaus
Nachweis

Foto: kna/Vatican Media/Romano Siciliani

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Papst Franziskus besucht im März 2022 das Kinderkrankenhaus „Bambino Gesu“ in Rom. Den Auftrag zu heilen, hat Jesus seinen Jüngern gegeben

Jesus macht seine Arbeit nicht allein, er sendet seine Jünger aus. Aber wozu sendet er sie? Nein, nicht zum Predigen, Ermahnen und Zurechtweisen. Noch nicht einmal zum Beten. Er schickt sie aus zum Heilen.

Wir alle verbinden Kirche so sehr mit Gottesdienst und Katechese, mit Gebet und Religionsunterricht, mit Sünde und Morallehre, dass wir manchmal überlesen, wozu Jesus seine Jünger eigentlich ausgesandt hat. Im Evangelium dieses Sonntags heißt es: „Er gab ihnen die Vollmacht, die unreinen Geister auszutreiben und alle Krankheiten und Leiden zu heilen.“ Und ein paar Verse später: „Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe! Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus!“

 
Wenn man diese Zeilen liest, wird klar: Die Jüngerinnen und Jünger Jesu sollten vor allem Heiler sein, sie sollen andere gesundmachen an Leib und Seele. So wie Jesus selbst Menschen gesund gemacht hat, sie befreit hat von inneren und äußeren Leiden. Ja, das alles ist eingebettet in die Botschaft vom kommenden Himmelreich. Aber das äußere Zeichen dieses Kommens ist Heilung, sind Gesundheit, Befreiung, Leben.


Das erste Krankenhaus der Welt
 

Jahrhundertelang haben Christinnen und Christen diesen Auftrag ernst genommen. Lange war die Gesundheitsfürsorge sogar fast ausschließlich Sache der Klöster, der Mönche, der Nonnen. Ganze Orden wurden nur für diesen Zweck gegründet, zahlreiche Krankenhäuser in den Ländern der damals noch sogenannten Dritten Welt aufgebaut. Impfprogramme, Schwangerenberatung, Hygiene, der Kampf gegen Kindersterblichkeit – alles Sache der Kirchen.

Gemälde Johannes von Gott
Als sein Krankenhaus brennt, rettet Johannes von Gott Patienten. Gemälde von Manuel Gómez-Moreno, um 1880. Foto: wikimedia

Zum Beispiel war da Johannes von Gott, geboren 1495 in Portugal. Sein Beiname deutet nicht auf besondere Frömmigkeit hin, sondern dass er ein Findelkind unklarer Herkunft war. Er schlug sich als Hirtenjunge, Söldner, Hilfsarbeiter und Hausierer durch, bis er sich im spanischen Granada niederließ, um dort mit geistlichen Büchern und Heiligenbildern zu handeln. 1533 war das.


In Granada begegnete er sechs Jahre später dem Bußprediger Johannes von Avila. Und der beeindruckte ihn dermaßen, dass Johannes all sein Hab und Gut verschenkte. Was wiederum seine Bekannten für verrückt hielten und ihn in ein Irrenhaus einliefern ließen.


Die furchtbaren Zustände dort prägten Johannes. Nach seiner Entlassung und einer Wallfahrt nach Guadelupe begann er, Kranke zu pflegen. Er mietete ein Haus, trennte die Patienten je nach Krankheit, wies jedem ein eigenes Bett zu und suchte Ärzte, die sie nach den damaligen Möglichkeiten behandelten. Heute gilt das Haus, das durch Spenden, Freunde und Gönner finanziert wurde, als erstes echtes Krankenhaus. Die Gemeinschaft, die er um sich sammelte, die „Barmherzigen Brüder“, haben bis heute in Süddeutschland einen eigenen Krankenhausverbund mit über 2000 Betten.


 

Doch obwohl die Tradition von katholischen Gesundheitseinrichtungen nach wie vor besteht: Welcher Christ würde heute schon sagen, dass es die erste Aufgabe der Jüngerinnen und Jünger Jesu ist, Kranke zu heilen, Aussätzige rein zu machen und Dämonen auszutreiben? Und umgekehrt versteht sich die heutige Medizin als reine Naturwissenschaft, in der religiöser Glaube nichts zu suchen hat oder wo er allenfalls in Form von seelsorglicher Begleitung auf dem Weg des Sterbens Platz hat – dann, wenn die ärztliche Kunst an ihr Ende gekommen ist. Dabei müsste eigentlich klar sein: Weil der Mensch ein ganzheitliches Wesen ist, können die körperlichen von den seelischen Belangen nicht getrennt werden.


Deshalb wird unter dem Stichwort „Spiritual Care“ auch hierzulande inzwischen versucht, schon im Medizinstudium und in der Ausbildung für Pflegeberufe ein Bewusstsein für die religiösen und spirituelle Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten zu wecken. Und das, sagt der Priester, Arzt und Professor für Spiritual Care, Eckhard Frick, „nicht nur eingeschränkt auf die Bereiche Sterbebegleitung und Palliativmedizin“. Und auch nicht nur im Hinblick auf den christlichen Glauben, sondern auf jede Form der Spiritualität und Sinnsuche.
 

Denn dass Spiritualität und Glaube Kräfte sein können, die in Krankheit helfen, ist längst erforscht. Sie „aus der Sorge für kranke Menschen völlig auszuklammern oder durch Delegation an Spezialisten für Seelsorge abzuspalten“, hält Frick deshalb für den falschen Weg. Allein darauf aufmerksam zu machen und die Medizin nicht nur der Naturwissenschaft zu überlassen, mag heute eine heilende Aufgabe der Christinnen und Christen sein.


Wem helfen moralische Urteile?
 

Allerdings würde es wohl zu kurz greifen, wolle man den Auftrag Jesu auf medizinische Berufe beschränken. Vielmehr müssen sich auch seine heutigen Jüngerinnen und Jünger fragen, inwieweit sie auch ansonsten heilsam für ihre Mitmenschen sind. 


Womit wir wieder am Anfang wären, an unserer vom Alltag gespeisten Vorstellung von Kirche, von Gottesdienst und Predigt, von Gemeindegremien und Diskussionen mit dem Vatikan. Mal ganz abgesehen vom Kindesmissbrauch, der Hunderte, Tausende von Leben zerstört hat: Wie heilsam ist unsere Verkündigung? Wem helfen moralische Urteile und Verurteilungen? Zu wie viel Schmerz haben Lehren über ein angeblich gottgefälliges Leben geführt – zu dem gleichgeschlechtliche Beziehungen, gescheiterte Ehen oder ausgeschiedene Priester doch sicher nicht gehören? 


Wenn Kirchen und Christen sich heute neu die Frage stellen: Wozu gibt es uns eigentlich?, dann lautet die Antwort Jesu offenbar: Ich sende euch aus, um zu heilen, um Dämonen auszutreiben und die Menschen von allen Leiden zu befreien. Und das gilt nicht nur für die große Institution, sondern auch für jeden Einzelnen. Egal ob in der Familie, in der Nachbarschaft, im Bekanntenkreis, im Beruf: Heilsam sein kann man überall. Indem man Streit schlichtet, Traurigen zuhört, Einsame besucht, Stolpernde stützt, Erschöpfte stärkt. Und plötzlich – siehe Evangelium – ist man Mitarbeiter, Mitarbeiterin im Heilswerk Jesu.

Susanne Haverkamp