Katholische Gemeinde zieht in evangelische Kirche
Herbergssuche geglückt
Foto: Marco Heinen
„Pilger sind wir Menschen“ wird zum Einzug gesungen, „Das Ende ist Anfang“ zum Schluss: Der Schließungsgottesdienst in der Liebfrauenkirche im Lübecker Stadtteil Eichholz Ende November ist von gemischten Gefühlen geprägt. Gerötete Augen, verdrückte Taschentücher und zitternde Stimmen gibt es ebenso wie Sätze der Hoffnung, dass nicht alles zu Ende ist; es doch weitergeht, wenn alle mitziehen.
Es ist die zweite Kirche – nach St. Birgitta – der Pfarrei Zu den Lübecker Märtyrern, die aufgegeben wird. Ein Festgottesdienst zum 70. Geburtstag nächstes Jahr ist ausgeschlossen. Nach langer Abwägung wurde entschieden, dass Liebfrauen als Sekundärimmobilie nicht zu halten ist. Was mit dem Gebäude geschieht, ist offen. Für die Pfarrei ist die Schließung zweier weiterer Kirchen angekündigt. Während sich die Gläubigen aus St. Birgitta innerhalb der Pfarrei neu orientierten, will die Gemeinde Liebfrauen zusammenbleiben. Sie ziehen nach St. Christophorus, die evangelisch-lutherische Kirche auf der anderen Seite der viel befahrenen Brandenbaumer Landstraße. „Wir wollen es so annehmen aus Gottes Hand, dass er kein absolutes Ende hier mit uns begeht, sondern ein offenes Ende; nicht einen Punkt, sondern einen Doppelpunkt setzt für uns“, so Propst Christoph Giering, als er das erste Mal das Wort ergreift.
Nicht auf das Äußere schauen, sondern auf das Innere
In der Predigt von Pastor Peter Otto, der in Liebfrauen meist der Zelebrant war, kommt alles zum Ausdruck, was sich im Widerstreit von Herz und Verstand mit einem Kirchengebäude verbindet. Er erinnert sich an seine Studienzeit, an die Schließung einer Kapelle in St. Georgen und an die Freude, als eine neue gebaut wurde. „Besoffen vor Glück“ seien er und die anderen Seminaristen gewesen, erinnert sich Otto. Doch zur Weihe der Kirche schüttete jemand Wasser in den Wein und zwar in Form eines Liedes, getextet von dem evangelischen Theologen Eugen Eckert unter Rückgriff auf die Bibel: „Wenn Gott das Haus nicht baut, nicht segnend auf uns schaut, dann suchen wir vergebens das Fundament des Lebens.“ Soll heißen, so eine Kirche ist schon schön, aber es kommt doch auf anderes an: „Es geht darum, dass Gott sich aus lebendigen Steinen eine Kirche baut, dass wir nicht auf das Äußere schauen, sondern auf das Innere.“
Bei allem, was die Gemeinde zurücklasse, kämen doch die vertrauten Gesichter mit: „Ich wünsche, hoffe und bete, dass der heilige Christophorus uns hilft, die Brandenbaumer Landstraße zu überwinden.“ Sichtlich bewegt fügt Pastor Otto hinzu: „Ich habe hier auch Geschichte und Leben. Mir tut das auch weh. Aber ich bin froh und dankbar, dass wir die Chance haben, als Gemeinde beieinander zu bleiben.“
Wichtig bleibt Offenheit für die Anliegen der Pfarrei
„Wir bejahen den eingeschlagenen Weg und gehen ihn als Pfarrei mit. Das liegt auch daran, dass die Liebfrauengemeinde schon über lange Zeit sehr gute und ziemlich enge Beziehungen zur Christophorus-Gemeinde gepflegt hat. Wichtig bleibt, dass Liebfrauen offen bleibt für die Anliegen der Pfarrei“, sagt Propst Giering später. Kostenlos ist es für die neuen Untermieter in St. Christophorus nicht, wenngleich die Ausgaben moderat sind: „Die Mietkosten sind bis Ende März mit einem vorläufigen Betrag vereinbart. Im neuen Jahr werden wir gemeinsam etwas genauer draufschauen“, so der Propst.
Hans-Heinrich Schmidt, viele Jahre Christophorus-Pastor bis zu seinem Ruhestand Anfang Juni, ist ebenfalls gekommen. Er hat die Ökumene ganz praktisch gelebt und gab im Lutherjahr 2017 den Anstoß für gemeinsame Gottesdienste am Reformationstag. Er sei dankbar, dass es für die Gemeinde in St. Christophorus weitergehe, erzählt er. Gerade die Zusammenarbeit mit Pastor Otto „habe ich als großes Geschenk erlebt.“ Froh ist Schmidt nicht zuletzt, weil auch seine St. Christophorus-Kirche gesichert wird, obwohl die Gemeinde keinen eigenen Pastor mehr bekommt und nur alle 14 Tage einen Gottesdienst feiern kann. Und Schmidt sagt diesen Satz: „Ich sage mal so: Das ist für mich persönlich die Krönung meiner ökumenischen Arbeit.“
Erster Advent, 9 Uhr in St. Christophorus: 60 Menschen sind zum ersten katholischen Gottesdienst in die Kirche gekommen, darunter einige evangelische Christen. Die Band von Liebfrauen spielt, Pastor Otto ist da, eine Messdienerin. Und Michael Schieffelke, ebenfalls Messdiener und ein Urgestein der Gemeinde. Seit seiner Kindheit gehört er dazu. Stets hat sich der 69-Jährige eingebracht, zeitweise in den Gremien, jetzt im Gemeindeteam. Am Samstag der Vorwoche war er es, der die Anwesenden begrüßte. Er will weitermachen, schon weil Messdiener-Nachwuchs fehlt.
St. Christophorus erinnert durch den bogenförmigen Innenraum an die Nissenhütten, in der nach dem Krieg Flüchtlinge unterkamen. Am Eingang gleich rechts steht ein Kerzentisch. Der heilige Christophorus und Maria mit dem Jesuskind wachen einträchtig über die vielen brennenden Lichter an diesem Morgen. Die Madonna ist neu und ist keine der beiden großen aus Liebfrauen. Sie sieht sehr anmutig aus. Einen Tabernakel gibt es nicht, auch kein Ewiges Licht. Klar, das fehlt. Doch der Altar wurde für die Katholiken extra von der Wand abgerückt. „Advent heißt Ankunft und heute wird der erste Gottesdienst in einer ‘neuen Herberge’ gefeiert: Einen besseren Zeitpunkt kann es nicht geben“, sagt Sabine Trilke, Kirchengemeinderatsvorsitzende und quasi die evangelische Hausherrin. Die Zukunft gestalten „und unsere Herberge zu einer gemeinsamen machen“, das wünscht sie sich und den Anwesenden. Der Neujahrsempfang am 26. Januar soll schon mal gemeinsam ausgerichtet werden.
Ein zukunftsweisendes Projekt auch für den Stadtteil?
Nach dem Gottesdienst, als die neuen Mitbewohner zum Kirchenkaffee in die Gemeinderäume hinuntergehen, zieht Trilke eine erste Bilanz. „Einfach wunderschön" sei es gewesen. Bernd Raddatz aus Liebfrauen tritt hinzu, bedankt sich bei Sabine Trilke. Er ist zufrieden: „Die letzte Skepsis, die letzte Hürde ist gefallen. Jetzt sind wir einfach hier zuhause.“
In der Zwischenzeit ist schon die St. Christophorus-Gemeinde in die Kirche gekommen. Sie hat eigens ihre angestammte Gottesdienstzeit etwas nach hinten verlegt, sodass gerade mal eine halbe Stunde zwischen den Gottesdiensten liegt. Da wird man sich so oder so begegnen. Sabine Trilke spricht von einem „zukunftsweisenden Projekt“, hofft, dass es auf den Stadtteil ausstrahlen wird. Der Grundstein dafür ist gelegt – ein lebendiger Stein.