Die Geschichte von Johannes dem Täufer

Hier bricht Neues an

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"Denn es war deutlich, dass die Hand des Herrn mit ihm war“, heißt es über den Säugling Johannes im Evangelium dieses Sonntags. Die Leute ahnen: Das ist ein ungewöhnlicher Junge. Einer spürt das besonders deutlich: sein Vater Zacharias.

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Zacharias schreibt den Namen Johannes auf ein Täfelchen (englische Buchillustration, 1873) Foto: wikimedia

Unglaublich. Ich kann es bis heute nicht fassen. Auf einmal steht da ein fremder Mann rechts neben dem Rauchopferaltar. Mitten im Tempel! Da darf sonst ja niemand herein, außer uns Priestern. Ich wollte gerade das Opfer entzünden, da taucht er auf einmal auf. Aus dem Nichts! Und dann sagt er mir auch noch, ich solle mich nicht fürchten. Der hat leicht reden. Mein Herz wäre vor Schreck fast stehengeblieben. Meine Gebete seien erhört worden, sagte der Mann, und Elisabet würde mir einen Sohn gebären. Jetzt! Dafür sind wir doch viel zu alt!

 

Mit der Geschichte von Zacharias und Elisabet beginnt der Evangelist Lukas sein Evangelium. Er verwebt die Kindheitsgeschichte von Johannes dem Täufer kunstvoll mit der von Jesus, die Geschichte von Zacharias und Elisabet mit der von Maria und Josef.

Damals ist Zacharias Priester im Tempel in Jerusalem. Er gehört zur Priesterklasse der Abija und stammt somit, genau wie seine Frau Elisabet, aus dem Geschlecht Aarons.

Insgesamt gibt es 24 Familienzweige, die sich mit dem Dienst im Tempel abwechseln. Jeder beruft sich auf Aaron, den älteren Bruder von Moses, der später gemeinsam mit seinen Söhnen den Priesterdienst im Sinne Gottes aufbaute. Zweimal im Jahr ist Zacharias’ Abteilung an der Reihe. So auch an diesem Tag, als ihm im Tempel ein Engel erscheint.

Dieser Ort ist nicht zufällig gewählt: Der Tempel ist das Haus Gottes, dort beten die Menschen, ihre Sorgen, Bitten und ihr Dank steigen mit dem Rauch des Opfers auf, dort erhört Gott sie – und greift in Zacharias’ Fall ein.

Zacharias lebt mit seiner Frau Elisabet zusammen. Der Evangelist zeichnet die beiden als die idealen Gläubigen: Sie leben gerecht vor Gott, handeln nach allen Geboten und Vorschriften. Aber sie sind Gläubige ohne Zukunft: Sie sind beide schon älter und haben keine Kinder, weil Elisabet unfruchtbar ist. Eine Schmach für eine Frau zur Zeit Jesu.

In diese Situation greift Gott ein. Das Los, das Rauchopfer darzubringen, fällt auf Zacharias. Doch ist das schlicht ein Zufall? Oder handelt hier nicht Gott im Verborgenen? Schließlich sagt der Engel: „Dein Gebet ist erhört worden.“

 

Ein Kind! In unserem Alter! Jahrelang haben wir es versucht, haben gebetet und es hat nicht geklappt. Und jetzt steht dieser Mann hier und sagt mir so etwas! Lächerlich! Alles, was ich wollte, war ein Zeichen. Ein Zeichen, dass er die Wahrheit spricht. Woran soll ich das erkennen?

 

Der Engel wird zornig und schlägt Zacharias mit Stummheit. Er soll nicht eher ein Wort sprechen können, bis das Kind geboren ist und es den Namen Johannes erhalten hat.

Im darauf folgenden Abschnitt (Lk 1,26–38) erzählt Lukas, wie der Engel Maria die Geburt Jesu verkündet. Sie glaubt ihm und fragt nicht: „Woran soll ich das erkennen?“, sondern: „Wie soll das geschehen?“ Sie braucht kein Zeichen – und bleibt ungestraft.

 

Der Engel – er verschwand so plötzlich, wie er gekommen war. Ich verließ den Tempel. Die Leute wunderten sich, warum ich so lange brauchte. Doch ich konnte nichts sagen, ich konnte nichts erklären. Mit Händen und Füßen gestikulierte ich, versuchte, mich verständlich zu machen. Einige schließlich begriffen und murmelten: „Es muss etwas im Tempel geschehen sein.“ In den nächsten Tagen verrichtete ich meinen Dienst und kehrte nach Hause zurück. Und – tatsächlich: Elisabet wurde schwanger. Sollte es wirklich die Wahrheit gewesen sein, die der Engel mir verkündet hat? Meine Frau zog sich zurück und schonte sich. Wir wollten das Kind nicht gefährden. Es war doch unsere letzte Chance, noch Eltern zu werden.

 

Maria ist mit Elisabet verwandt. Dass Elisabet in ihrem Alter noch schwanger werden konnte, ist für Maria das Zeichen, dass für Gott nichts unmöglich ist. Für drei Monate reist sie zu ihr. Als sie einander grüßen, hüpft Elisabets Kind in ihrem Bauch, und sie setzt zum Lobpreis Gottes an: „Wer bin ich, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt?“ Die beiden Frauen stehen nun im Vordergrund der Geschichte. Nachdem in den vorangegangenen Versen der Mutter beziehungsweise dem Vater die Geburt eines Kindes vom Engel angekündigt wurde, treffen nun die Protagonisten aufeinander. Die beiden ungeborenen Kinder begegnen einander.

Johannes ist das Kind, auf das alle lange gewartet haben: Seine Eltern haben zu Gott gebetet und gehofft, dass er sie erhört. In Johannes erfüllt sich der Dialog zwischen Gott und seinem betenden Volk, Johannes ist ein Geschenk Gottes – für Zacharias und Elisabet und für das Volk. Bei Jesus greift Gott unverhofft und unerwartet ein: Niemand hat mit so etwas gerechnet. Eine Jungfrau, die ein Kind bekommt. Lukas verschränkt die beiden Kindheitsgeschichten, um zu zeigen: Hier beginnt eine neue Epoche der Heilsgeschichte, hier bricht etwas Neues an.

 

Welche große Freude das war, als der Kleine gesund geboren wurde. Elisabet ging es gut und dem Kind auch. Wie habe ich an Gott zweifeln können? Und alle freuten sich mit uns: unsere Verwandten, unsere Nachbarn, unsere Freunde. Sie alle kamen vorbei, als das Kind am achten Tag nach der Geburt beschnitten werden sollte. Bei der Frage nach dem Namen wollten sie Elisabet nicht glauben. Johannes? Warum das denn? Niemand in eurer Familie heißt so. Doch ich wusste: Das Kind muss Johannes heißen und ich schrieb den Namen auf eine Tafel. Da staunten alle – und sie staunten noch mehr, als ich auf einmal wieder sprechen konnte. Der Engel hat Wort gehalten. Gott hat Wort gehalten! Ich war so glücklich, es quoll aus mir heraus und ich fing an zu singen und lobte Gott und dankte ihm, wie ich es nie zuvor getan habe.

 

Zacharias setzt zum Lobpreis an: „Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels! Denn er hat sein Volk besucht und ihm Erlösung geschaffen; er hat uns einen starken Retter erweckt im Hause seines Knechtes David.“ Seine Hymne erinnert an das Magnifikat der Maria oder an Simeon, als er im Tempel Jesus, Maria und Josef trifft. Zacharias kehrt in seine Rolle als idealer Priester zurück. Diese Lobpreisungen bringen die Handlung nicht weiter voran, aber sie reflektieren das Geschehene, sie sind ein verbindendes Element in den Kindheitsgeschichten und verweben sie mit dem Handeln Gottes.

Von Kerstin Ostendorf