Seelsorge im Bauwagen
Hier hört jemand zu
An einem See im Saarland sitzen Kirchenleute vor einem Bauwagen. Sie warten auf Menschen, die Sorgen haben und ein offenes Ohr brauchen. Und spüren, wie gut es vielen tut, sich mal was von der Seele zu reden.
Von Andreas Lesch
Wenn die Menschen in Losheim etwas bedrückt, dann gehen sie um den Stausee. Genießen das Wasser, die Weite, die Natur. Am See wollen sie den Kopf freikriegen von Ärger und Problemen. Der See, sagt Barbara Jung, ist ein besonderer, ein wunderschöner Ort. Und gerade ist er auch wieder ein Ort des Zuhörens. Denn in der Nähe der Tourist-Information steht jetzt, in den Sommermonaten, ein Bauwagen – und vor dem Bauwagen sitzt jemand, der wartet. Auf Menschen, die was auf dem Herzen haben. Die reden wollen. Die einen brauchen, der Zeit für sie hat. Jeden Tag von 10 bis 12 und von 15 bis 17 Uhr, donnerstags noch zwei Stunden länger.
Die Zuhörer sind haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der katholischen Pfarreiengemeinschaft Losheim am See, sie bieten ihren Service jetzt im fünften Jahr hintereinander an. Oft, erzählt Gemeindereferentin Jung, halten die Menschen an, wenn sie den Bauwagen sehen. Manchmal kommen sie näher: „Für viele ist es kostbar, dass da einfach jemand ist.“
In Losheim, dieser Gemeinde zwischen Trier und Saarbrücken, erleben die Kirchenleute, wie wohltuend ihre zuhörende Haltung ist. Sonst, beobachtet Jung, fehlt die ja manchmal: „Wir haben oft Antworten auf Fragen, die nicht gestellt werden. Und es täte natürlich gut, wenn man erst bewusster zuhört, ohne schon zu wissen, was der andere soll oder muss oder darf.“ Genau das hat das Team am Bauwagen sich zum Ziel gesetzt: da zu sein für das, was gerade dran ist. Offen zu sein für das, was kommt. Ohne Vorurteile, ohne Wertungen. Als sie mit ihrem Projekt begonnen haben, sind sie unsicher gewesen, wie es wohl ankommen wird. Sie hatten vorher mehrmals im Jahr spirituelle Wanderungen um den See angeboten und dabei gemerkt, wie sehr viele Menschen ein offenes Ohr suchen – und wie gut es ihnen tut, sich einfach mal was von der Seele reden zu können. Aber würde die Idee mit dem Bauwagen funktionieren?
Heute hat sie sich längst bewährt. Frauen und Männer besuchen den Ort des Zuhörens, Junge und Alte, Einheimische und Touristen. Einige spontan, andere bewusst und geplant. Manche, berichtet Jung, sind sogar von ihrem Ehepartner geschickt worden: „Geh doch da mal hin!“ Die Menschen erzählen am Bauwagen von Krankheiten und Ängsten, von familiären Problemen und Schulwechseln der Kinder, von Trauer, Einsamkeit und Tod. Manche auch von Glaube, Kirche und Bistumsreformen. Einmal kam eine junge Frau, die am Bahnsteig gesehen hatte, wie jemand vom Zug erfasst wurde – und nun sehr darunter litt.
Lösungen anbieten wollen die Zuhörer nicht
Einige Menschen bleiben fünf Minuten am Bauwagen, andere eine Dreiviertelstunde. „Meistens vergeht die Zeit schneller, als man denkt“, sagt Jung. Und meistens brauchen die Zuhörer gar nicht nachzuhaken. Weil die Worte ganz von selbst kommen. Vielen, beobachtet Jung, hilft es schon, ein Problem auszusprechen: „Manches ist leichter, wenn es einfach mal gesagt ist.“ Lösungen anbieten wollen die Zuhörer nicht. Das sehen sie nicht als ihre Rolle an. Wenn sie spüren, dass es hakt, dass ihr Zuhören nicht genügt und dass ein Gesprächspartner mehr Informationen und tiefergehende Hilfe zu seinem Problem benötigt, dann bieten sie Infoblätter von spezialisierten Beratungsstellen an.
In diesem Jahr, in der Zeit der Corona-Pandemie, ist der Bedarf, zu reden und Zuhörer zu finden, noch größer als sonst. Wegen des Virus können Gespräche jetzt nicht im Bauwagen stattfinden, nur draußen; bei Regen fallen die Gesprächszeiten deshalb aus. Aber sonst sind die Zuhörerinnen und Zuhörer da, bis Ende August.
Manchmal, erzählt Jung, stehen sie ohnmächtig vor den Schicksalsschlägen, von denen die Menschen berichten. Aber sie wissen, auch diese Ohnmacht gehört zum Leben dazu.