Der Natur auf der Spur (2)

"Hier ist überall Leben drin"

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Mann im Garten vor einem Haufen Totholz
Nachweis

Foto: Petra Diek-Münchow

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Kinderstube für Käfer: Bernward Rusche zeigt den "Käfermeiler" aus Totholz und Holzhackschnitzeln. Foto: Petra Diek-Münchow

Wildblumen, Kräuter, Nistkästen, Insektenhotels und ein Zuhause für Käfer: Der Naturgarten hinter dem reformierten Gemeindehaus in Lingen ist eine Oase mitten in der Stadt. Seit gut zwei Jahren arbeiten dafür Naturschutzbund und Kirche zusammen. Gäste sind willkommen.

„Da kommen Erich und Erika“, sagt Bernward Rusche und zeigt in den Himmel. Der Vorsitzende des Naturschutzbundes (Nabu) Emsland-Süd meint damit zwei Rabenkrähen, die über dem „Calvingarten“ in Lingen kreisen und sich dann auf zwei Obstbäumen niederlassen. Rusche hat die schwarz gefiederten Vögel selbst so genannt, weil er sie oft hier beobachtet und liebgewonnen hat. Auch jetzt sitzt er ganz entspannt auf einer der Bänke – genießt den Blick auf Wildblumen und Kräuter, hört dem Gezwitscher von Kohlmeisen und Rotkehlchen zu. Und die übertönen die Geräusche der Stadt – mit angenehmeren Melodien als  Autohupen und Maschinenlärm. 

Der „Calvingarten“ liegt hinter dem reformierten Gemeindehaus in Lingen. in paar Schritte entfernt beginnt die Fußgängerzone und doch mag mancher Spaziergänger den Weg in diese grüne Oase vielleicht nicht auf Anhieb entdecken. In den vergangenen zwei Jahren haben der Nabu und die Kirche hier eine Wiese in einen naturnahen Mitmach-, Lern- und Schaugarten verwandelt: 3000 Quadratmeter für heimische Blumen, Gräser, Kräuter, Beeren, Gemüse und Sträucher, für Vögel, Bienen, Schmetterlinge und Käfer. Und für die Menschen, die  ausruhen und auftanken können. „Wir brauchen solche frei zugänglichen Sozialräume in der Stadt“, sagt Pastorin Martina Korporal und pflückt im Vorbeigehen ein, zwei Erdbeeren aus dem Hochbeet. Insgesamt haben die Kooperationspartner dank Spenden, Sponsoren, Stiftungen und Fonds etwa 20 000 Euro in das Projekt investieren können. Das zahlt sich auch für die Gemeindearbeit aus. Erst kürzlich war Korporal noch mit den Konfirmandinnen und Konfirmanden hier im Garteneinsatz.

Einsatz ist nach wie vor gefragt.  Zum Beispiel mit Blick auf die Erklärungstafeln zu Pflanzen und Tieren: Einige stehen schon, weitere sollen folgen. Und hinter den Wildstauden und Beerensträuchern, die das Grundstück an einer Seite säumen, soll noch ein Zugang zum Mühlenbach gestaltet werden. „Das hier entwickelt sich immer weiter“, sagt Bernward Rusche, der bis zu seinem Renteneintritt Umweltbeauftragter für das Bistum Osnabrück war. Er misst solchen Projekten wie in Lingen eine hohe Bedeutung zu, um den Artenschutz zu stärken und „Trittsteinbiotope“ zu schaffen. In Verbindung mit anderen grünen Inseln in der Stadt können sich wie auf einer Schneise dabei Tier- und Pflanzenpopulationen austauschen und weiterentwickeln. Bei einem Rundgang zeigt Rusche zusammen mit Martina Korporal und Anne Risse, Umweltpädagogin beim Nabu, was sich Gäste schon jetzt alles im „Calvingarten“ anschauen – und für die eigenen Beete abgucken können. Denn dieses Beispiel für naturnahes Gärtnern soll Besucher inspirieren, auch zu Hause mal Ähnliches zu versuchen. „Ein bisschen was geht immer“, sagt Rusche. Gärten machten nach seinen Worten 2,5 Prozent der Fläche der Bundesrepublik aus. Aber davon sind nur zehn bis 15 Prozent naturnah angelegt.

Der "Käfermeiler" ist eine wichtige "Kinderstube"

Wie mit einer Wildblumenwiese, mag sie auch nicht so groß sein wie die hinter dem reformierten Gemeindehaus. Hier hat das Nabu-Team regionales Saatgut aus dem Nordwesten ausgebracht: mit Margeriten, Wiesenlabkraut, Spitzwegerich, Schafgarbe und Kornblumen – reichlich Nahrung für Bienen und andere Insekten. Für die stehen nahe bei den alten Obstbaumsorten auch mehrere „Hochhäuser“, wie Rusche sie mit einem Schmunzeln nennt. Er meint damit umgestaltete Holzstämme, in denen die Tiere nisten können.

Blumen im Kräuterbeet
Blütenpracht im Kräuterbeet: Der Blutrote Storchenschnabel ist ein guter Bodendecker. Foto: Petra Diek-Münchow

Ein paar Meter weiter fällt eine ungewöhnliche Konstruktion aus Totholzpfählen und Holzhackschnitzeln auf. In diesem „Käfermeiler“ können Hirsch- und Nashornkäfer leben und deren Larven sich entwickeln. Das ist eine wichtige „Kinderstube“, denn beide Arten sind in ihrem Bestand schon gefährdet. „Hier haben sie eine Chance“, sagt Rusche. Schräg gegenüber, neben der gelb blühenden Königskerze und dem Kräuterbeet, zeigt er einen flachen Hügel: ein „Sandarium“, in dem Wildbienen nisten können. „Sehen Sie die vielen Löcher? Da ist schon ordentlich Betrieb.“ Darauf hofft der Nabu-Vorsitzende auch im großen Mauersegler-Kasten, der mit gut sechs Metern Höhe den Garten überragt. Für andere Vogelarten hat der Verein ebenfalls Nistkästen aufgehängt – 20 Stück, überall verteilt in den Bäumen.

Ein weiteres Herzstück des Projekts entdecken Gäste bei den nächsten Schritten. Durch ein Tor geht es in einen Gemeinschaftsgarten, den die Naturschutzjugend (Naju), Gemeindemitglieder, Studierende aus Lingen und andere Interessierte beackern. Bernward Rusche, Pastorin Korporal und Anne Risse staunen, wie gut in den verschiedenen Beeten unter anderem Johannisbeeren, Mangold, Schnittlauch und Kürbis wachsen. „Das Ganze ist wie ein Bauerngarten früher gedacht“, sagt Rusche. Natürlich ohne den Einsatz von Pestiziden, mit heimischem Gemüse, und wer hier mitmacht, darf auch selbst ernten.

„Hier ist überall Leben drin, in jeder Beziehung“, sagt Anne Risse und meint damit nicht nur den gesamten Garten, sondern auch die Angebote für Kinder und Jugendliche. Da geht es mal auf Spurensuche nach besonderen Insekten, da wird ein Dip aus Kräutern angerührt und gleich mit frischen Radieschen probiert. Selbst Projektwochen für Schulen, etwas andere Kindergeburtstage oder Familientreffen mit entsprechend naturnahem Programm kann sie sich im „Calvingarten“ vorstellen. „Man muss mich nur anrufen und danach fragen“, sagt die Umweltpädagogin. Wenn Eltern mit Kindern mal ganz spontan kommen möchten, finden sie am Gartenhäuschen einen Flyer für eine Vogelrallye. Zehn Holzfiguren gilt es zu entdecken, überall ein wenig versteckt in Ästen und Gebüsch. Und vielleicht treffen die Familien dann zufällig auch Bernward Rusche. Denn der könnte ihnen dann sagen, welcher Vogel genau da über ihnen im Baum zwitschert.


Führungen und Kindergeburtstage

Der „Calvingarten“ liegt hinter dem reformierten Gemeindehaus („Calvinhaus“) an der Wilhelmstraße 42 in Lingen und ist frei zugänglich. Der Naturschutzbund Emsland-Süd bietet in dem naturnahen Mitmach-, Lern- und Schaugarten Info-Veranstaltungen, Führungen und andere Aktionen an. Sogar Kindergeburtstage mit einem entsprechenden Programm sind möglich. Infos dazu gibt es bei Anne Risse, Telefon 01 60/6 96 17 50.

Immer am zweiten Samstag im Monat findet von 10 bis 13 Uhr ein offener Gartentreff mit Infos und Beratung statt, auch zupackende Hände sind willkommen. 

Petra Diek-Münchow