Anstoss 11/19

Hin und weg

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Hin und weg sind ein Paar. Sie können unterschiedlicher nicht sein, und doch gehören sie zusammen. Im Leben kommen sie oft, wenn nicht täglich, vor.


„Ich bin ganz hin und weg“, wird manchmal im Zustand des Entzücktseins euphorisch ausgestoßen. Manchmal wird es auch missbraucht, wenn ein lapidar hingeworfenes und mit Seufzer untermaltes „Ich bin ganz hin und weg“ eigentlich nur eins zum Ausdruck bringt: es könnte besser sein.
Gestolpert bin ich gedanklich über die zwei kleinen Wörter, als ich den Beitrag eines Coachs las, der vom „hin“ als etwas Kraftgebendem und vom „weg“ als eher Kraftraubendem sprach. Das brachte mich ins Nachdenken. Was ist dran an dieser Aussage? Nimmt das „weg“ nur? Weg-laufen, weg-machen, weg-nehmen. Weg von etwas. Weg von jemandem. Es klingt zuerst einmal negativ. Vor etwas weglaufen z.B. kostet Kraft. Die Angst oder das Unwohlsein sitzt mir sprichwörtlich im Nacken. Das treibt mich, jagt mich, erschöpft mich.
Doch es gibt ja auch die positive Sichtweise. Etwas weg-geben kann sowohl für den Gebenden als auch den Nehmenden wohltuend sein. Während hin-nehmen nicht in jedem Fall gut ist. Auch hin zum Schafott enthält nicht gerade Kraftspendendes. Doch meistens verbindet sich das „hin“ mit etwas, was gut klingt und in den meisten Fällen auch gut ist:  hin-wenden, hin-sehen, hin-hören. Hin zu etwas. Hin zu jemandem. Das „hin“ hat ein Ziel. Es zieht mich, beflügelt mich, trägt mich. Hin gibt also? Ich glaube, man kann sie nicht gegeneinander ausspielen.

In jedem „hin“ liegt ein „weg“. In jedem weg ein „hin“. Vielleicht heißt es nicht umsonst (der) Hinweg, indem sowohl das hin als auch das weg liegt. Weg vom Glimmstängel – hin zu einem gesünderen Leben. Weg von mangelnder Kommunikation – hin zu einer gesprächsbereiten Gemeinschaft. Weg von einer versorgten Gemeinde – hin zu einer sorgenden Gemeinde. Das „weg“ braucht ein „hin“, sonst wird es unnötig kräftezehrend. Nehmen wir die Fastenzeit: Hier geht es nicht so sehr um das weg von den Süßigkeiten, weg vom Fernsehen oder weg von was auch immer (was nach Ostern ja dann wieder vorkommt). Hier geht es um das „hin“ zu einer innigeren Gottesbeziehung. Das „hin“ gibt dem Verzicht einen Sinn. Und beflügelt ungemein.
 
Andrea Wilke, Erfurt