Schönstatt-Bewegung im Fokus
Historische Aufarbeitung notwendig
Das Schönstattkapellchen in Vallendar-Schönstatt ist geistiger und symbolischer Mittelpunkt der Schönstattbewegung. 1914 gründete Pater Josef Kentenich hier die Bewegung. Gegen den Gründer, dessen Seligsprechungsprozess zurzeit läuft, wurden in den vergangenen Monaten schwere Vorwürfe erhoben. Foto: Holger Jakobi |
Archivfunde im Vatikan haben zu schweren Vorwürfen gegen den 1968 gestorbenen Gründer der Schönstatt-Bewegung, Pater Josef Kentenich, geführt. Mitglieder der von ihm gegründeten Marienschwestern werfen ihm Manipulation, Machtmissbrauch und in einem Fall auch sexualisierte Gewalt vor. Als die Kirchenhistorikerin Alexandra von Teuffenbach diese Vorwürfe im Spätsommer erstmals veröffentlichte, führte das zu massiven Reaktionen auch im Osten Deutschlands, wo die Schönstatt-Bewegung zu den wichtigen geistlichen Gemeinschaften gehört.
Markus Wetter von der Schönstatt-Mannesjugend Thüringen haben die Vorwürfe schockiert: Das Ausmaß an Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche, das nun zum Glück immer weiter aufgedeckt werde, mache ihn sprachlos. „Dass nun Vorwürfe gegen den Gründer der Schönstatt-Bewegung, die ja gerade die geistliche Erneuerung als Ziel hat, ans Licht kommen, macht fassungslos.“
Von den Vorwürfen aus der Zeitung erfahren
Schwester M. Talita Hollmann, Gemeindereferentin in Gotha/Friedrichroda und Hausleiterin von Haus Rosengart, dem Schönstattzentrum Friedrichroda, berichtet, sie sei sofort von Gästen des Hauses und Leuten aus der Pfarrei, in der sie arbeitet, angesprochen worden. „Die waren alle mehr von der Art und Weise der Veröffentlichung erschüttert als vom Inhalt, gerade auch, als ich ihnen sagte, dass wir Schwestern vorab die Dokumente selbst nicht kannten, sondern von ihnen aus der Zeitung erfahren haben.“ Einige ihrer Gesprächspartner seien besonders enttäuscht gewesen, dass gerade kirchliche Medien eine solche Skandalberichterstattung betreiben. Schwester M. Talita Hollmann hält die Medienberichte für eine „schlimme Vorverurteilung“. Diese Vorwürfe seien unhaltbar. „Eine gründliche historische Aufarbeitung, die das nachweisen kann, hat bereits begonnen.“
Menschen, für die die Schönstatt-Bewegung eine geistliche Heimat ist, sollten sich von den jetzt erhobenen Vorwürfen zunächst einmal nicht irritieren lassen, sondern sich informieren. Die Schönstatt-Bewegung gehe den Weg wissenschaftlicher Erforschung ihrer Geschichte. Dabei gehe es nicht um Verteidigung, sondern um wirkliche Aufarbeitung, bei der alles in Blick genommen werde. Schwester M. Talita Hollmann: „Die Zusammenhänge in dieser Etappe der Schönstattgeschichte sind sehr komplex.“ In der Kirchengeschichte habe es bei vielen Gründergestalten vergleichbar dramatische Vorgänge gegeben. „Warten wir ab.“ Ein Ergebnisse bisheriger Forschung sei die 2018 erschienene Biographie Josef Kentenichs von Dorothea Schlickmann „Am Rande des Vulkans“. „Ich rate allen Interessierten, die zu lesen. Dann sind noch nicht alle Fragen geklärt, aber manches kann eingeordnet werden.“
Für eine vorurteilsfreie Untersuchung der Vorwürfe spricht sich der aus dem Bistums Erfurt stammende, heute in Bayern tätige Schönstattpater Hans-Martin Samietz aus: Er halte es für notwendig, „die hohe spirituelle Bedeutung der in Schönstatt vielfach erfolgten, zum Teil sehr persönlich gestalteten Bindungsakte an die Person Josef Kentenichs auf ihr Potential zu geistlichem Missbrauch hin zu überprüfen. Jedes religiöse Idealstreben hat Potential Übergriffe zu verursachen! Und Strukturen, die Übergriffe wahrscheinlich machen, sind zu identifizieren und abzubauen.“ Aus den Veröffentlichungen spreche „eine hohe emotionale Beteiligung der involvierten Frauen.“ Zwar seien Emotionen kein automatisches Wahrheitsindiz. Sie wollten aber auf Unbeachtetes, ins Abseits Gedrängtes hinweisen und rufen nach Beachtung. Nach der Lektüre der jetzt veröffentlichten Texte zu einer guten Unterscheidung zu kommen, „was nehme ich als Hinweis auf eine zurückgedrängte Wahrheit ernst und was will mich manipulieren, ist sehr anspruchsvoll.“ Die Aufklärung von Machtmissbrauch durch geistliche Leiter und Begleiter habe heute aber einen zurecht hohen Stellenwert. Um die in den veröffentlichten Texten enthaltenen Vorwürfe zu klären, müsse die Schönstatt-Bewegung mit externen Fachleuten aus Geschichtswissenschaft, Psychologie, Kommunikation und Rechtswissenschaft kooperieren.
Es geht um die Wurzeln der Schönstattbewegung
Schönstatt sei mehr als die Hoffnung auf eine baldige Seligsprechung ihres Gründers, betont Pater Hans-Martin Samietz. Für den persönlichen Umgang mit den Vorwürfen rät er das Gespräch zu suchen und dabei persönliche Erfahrungen einzubringen. Wichtig für solche Gespräche sei die inneren Haltung, sich durch andere Sichtweisen anregen lassen zu wollen. Persönlich könne sich jeder fragen: „Wer bin ich durch Schönstatt? Wer möchte ich aus tiefem persönlichen Glauben heraus vor Gott und für andere Menschen sein?“
Dass der Gründer untrennbar zu seiner Gründung gehöre, darauf weist Schwester M. Talita Hollmann hin: „Wir leben sein Charisma.“ Markus Wetter befürchtet deshalb, dass es für die gesamte Bewegung sicherlich ein Schlag wäre, sollten sich die Vorwürfe als gerechtfertigt herausstellen. „Immerhin geht es hier um die eigenen Wurzeln.“ Das berühre aber hoffentlich nicht den Glauben und die Überzeugung der Schönstatt-Bewegung an die unendliche Liebe Gottes. Er warnt deshalb davor, Schönstatt und Pater Kentenich gleichzusetzen. Durch einen Personenkult könne der Blick für das Wesentliche verloren gehen: „Die Werte und Ziele der Bewegung sind gut und richtig, völlig unabhängig von der Person Kentenichs. Er mag für viele ein Vorbild im Glauben sein, aber er ist nicht der, um den es gehen sollte. Die Liebe Gottes und seine Botschaft der Freiheit sowie die Gnade Mariens – das ist der Kern unseres Glaubens. Dieser besteht auch unabhängig von Pater Kentenich.“ Sollte sich die Vorwürfe bestätigen, ist für Markus Wetter klar: Der Seligsprechungsprozess für Pater Kentenich muss abgebrochen werden. „Außerdem braucht es dann vor allem innerhalb der Schönstatt-Bewegung eine kritischere Auseinandersetzung mit ihrem Gründer und der eigenen Geschichte. Vor allem braucht es aber, und das unabhängig von den Vorwürfen, eine klare Aufarbeitung aller Formen von Missbrauch innerhalb der Bewegung. Zugleich muss definitiv mehr in Sachen Prävention unternommen werden.“
Ob die Schönstatt-Bewegung selbst auf dem Spiel stünde, wenn sich die Vorwürfe als berechtigt herausstellen, könne er nicht abschätzen, sagt Pater Hans-Martin Samietz. Immerhin würde sie einen wichtigen Fixpunkt ihrer Identität einbüßen, zu ihrem Gründer liebevoll „Vater“ sagen zu können. Nötig wäre dann ein Bekenntnis zu den Irrtümern, die sich bei der Interpretation beziehungsweise der Verehrung der Person von Josef Kentenich ergeben haben. „Es bräuchte dann ein klar verstehbares Signal der eigenen Beschämtheit an die Opfer. Es bräuchte dann eine Revision im Selbstbild Schönstatts: Was wäre dann der Plan Gottes mit der Idee vom schönstättischen Liebesbündnis? Welche Bedeutung hätten die Glaubens- und Lebensleistungen vieler Christinnen und Christen, die ihre Zuversicht auf die Gültigkeit ihres Bündnisses mit der Gottesmutter von Schönstatt setzen und gesetzt haben?“ Er selbst würde für sich prüfen, „ob mir Schönstatt echt vorkommt mit einem Gründer, der Menschen schwer und nachhaltig seelisch verletzt hat“. Wahrscheinlich würde er wohl versuchen, „aus meinen sehr vielen positiven Erfahrungen in Schönstatt heraus Schönstatt weiter zu leben und weiter zu entwickeln.“
(jak/mh)