Duderstädter Gespräche 2023

Hoffen auf Frieden

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Am Vortag der Münchener Sicherheitskonferenz endeten im Kolping Fereienparadies die 34. Duderstädter Gespräche. Ihr Leitwort war: „Zeitenwende – Herausforderung für Politik und Gesellschaft“. Dabei ging es um die Krisen, die zurzeit die Menschen beschäftigen: die Pandemie, der Krieg in der Ukraine, Flucht und Flüchtlinge, die steigenden Energiekosten und der Klimaschutz.


Markus Demele hofft auf einen Frieden in der Ukraine,
der in nicht allzu ferner Zukunft liegt.

Einstimmig verabschiedeten die Teilnehmenden in der Schlussrunde der Duderstädter Gespräche die Duderstädter Erklärung. „Darin verurteilen wir den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und fordern die Beendigung aller Kampfhandlungen, die Rückkehr zum regelbasierten Völkerrecht, die Achtung der Menschenrechte und Hilfe für die vom Krieg betroffenen Menschen“, pos­tuliert Heinrich Albers vom Vorbereitungsteam. Dieser Erklärung waren drei Tage vo­rausgegangen, in denen Experten fundiert zu den aktuellen Problemen Stellung bezogen und diese mit dem Plenum diskutierten.

Markus Demele, Generalsekretär  von Kolping International, griff den von Bundeskanzler Olaf Scholz im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine geprägten Begriff Zeitenwende im Eröffnungsreferat der Tagung auf: „Für die radikalen Umwälzungen der Zeit Adolph Kolpings ist das Wort Zeitenwende mit Sicherheit sehr treffend gewesen. Die Tatsache, dass sein Werk heute noch Bestand hat, wurzelt für mich ganz maßgeblich darin, dass er zur rechten Zeit erkannt hat, wie die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Wandel begriffen sind und darauf kreative und nachhaltige Antworten gefunden hat.“

 


Am Ende der Schlussrunde steht die einstimmige Verabschiedung der Duderstädter Erklärung. Bei der Podiumsdiskussion dabei sind: (v.l.) Matthias Freise (Professor für Slavische Philologie), Michael Bosse-Arbogast (Hauptgeschäftsführer des Kommunalen Arbeitgeberverbandes Niedersachsen), Joachim Hoffknecht (Diözesanvorsitzender Pax Christi), Bundestagsabgeordneter Konstantin Kuhle (FDP), Rüdiger Wala (Moderator), Generalleutnant a. D. Carsten Jacobson, Landrat Bernd Lynack (Landkreis Hildesheim) und Mustafa Sancar (Vorstand Stadtwerke Hildesheim).

Viele Gewissheiten in Frage gestellt

Die Corona-Pandemie, so der gebürtige Lüneburger, habe viele Gewissheiten in Frage gestellt, „nicht nur was unsere globalen Produktions- und Konsummuster angeht, sondern wie solidarisch wir im Kleinen und Großen miteinander umgehen, wenn eine ansteckende und für viele todbringende Krankheit unter uns grassiert und welche Einschränkungen jeder Einzelne bereit ist, zugunsten des und der Nächsten zu ertragen“.

Einen gewaltigen Einschnitt bedeute für Deutschland der Krieg in der Ukraine. „Vor allem weil er für Deutschland bedeutet, dass die sicherheitspolitische Enthaltsamkeit auf internationaler Ebene weitestgehend zu einem Ende gekommen ist“, sagte Demele und fragte, welche Rolle Kolping in dieser aktuellen Situation zukomme. Der Kolping Generalsekretär griff das Wort „Völkerverständigung“ auf, das zwar altbacken klinge, aber mehr denn je zutreffend beschreibe, um was es gehe. „Völkerverständigung ist die Grundlage, Instrument und Ziel einer friedlichen Weltordnung, eines harmonischen Miteinanders und nicht zuletzt einer gerechten Weltordnung“, betonte Demele.

Doch bei allen uns akut betreffenden Krisen dürfe man die globalen Probleme nicht vergessen, die uns bereits seit vielen Jahren begleiten, wie den Hunger in der Welt. „Wir leben in einer Welt, in der ein großer Teil  der Bevölkerung Afrikas, aber auch Indiens und anderer asiatischer Länder, unter Mangel- und Unterernährung leidet, während im Globalen Norden große Mengen von Lebensmitteln weggeschmissen werden“, beklagt Demele.
 


Für Joachim Hoffknecht ist es die Aufgabe von Friedensbewegungen, Brücken zu bauen und Räume zu schaffen für Gefühle von
Ohnmacht, Wut und Angst, aber auch zum Nachdenken und zur kontroversen Diskussion.

Die globale Ungleichheit werde auch in anderen Bereichen deutlich. So könnten Superreiche ohne Rücksicht auf den Klimaschutz in  privaten Raumschiffen ins All fliegen, während gleichzeitig zehntausende Kinder an vermeidbaren Krankheiten sterben würden und Flüchtlinge versuchten, über das Mittelmeer nach Europa zu fliehen.

Hilfe bei der Bewältigung der aktuellen Krisen

Demele verwies darauf, dass Kolping International schon seit Jahrzehnten Entwicklungshilfeprojekte in Brasilien, aber auch in Afrika unterstütze. „Und auch aktuell helfen Kolping International sowie der Kolpingdiözesanverband Hildesheim bei der Bewältigung der aktuellen Krisen. „Als sich in den ersten Tagen und Wochen des Krieges die enormen Flüchtlingsströme aus der Ukraine in Bewegung setzten und die Situation an den Grenzen immer unübersichtlicher wurde, waren es nicht zuletzt mutige Kolpingschwestern und -brüder aus dem Diözesanvernband, die sich gut organisiert und koordiniert mit voll beladenen LKW an Hilfsgütern auf den Weg machten, um die Kolpinggeschwister und andere Menschen aus der Ukraine zu unterstützen – in enger Abstimmung mit Kolping Ukraine“, erinnerte Demele. Diese schnelle und gut abgestimmte Hilfe sei nur möglich gewesen, weil es Menschen wie Martin Knöchelmann, dem ehemaligen Diözesanvorsitzenden, wichtig gewesen sei, Partnerschaften zu knüpfen und den Austausch zwischen Menschen und Kulturen zu pflegen. „Ich möchte allen ans Herz legen, diesen partnerschaftlichen Austausch in unseren Kolpingsfamilien und Diözesanverbänden zu pflegen“, sagt Demele. Denn nur durch diese Völkerverständigung sei es möglich, die aktuellen Krisen und die fortdauernden globalen Herausforderungen zu bewältigen. Der Generalsekretär hofft „dass wir in nicht allzu ferner Zukunft sagen können: Ja, die Zeiten haben sich gewendet, aber sie haben sich zum besseren gewendet. Frieden herrscht, Gleichheit an Chancen, Gleichheit an Rechten ist Wirklichkeit geworden in unserer einen Welt.“

 


Kolpingdiözesanpräses Bernd Langer erinnert an den von Bischof Josef Homeyer ins Leben gerufenen Friedensgrund, wo sich Jugendliche aus dem Bistum und aus Osteuropa begegneten. 1992 war Langer als Diözesanjugendseelsorger mit dem Friedensgrund im ukrainischen Lemberg.

Verschiedene Aspekte der aktuellen Krisen

Im Verlauf der Duderstädter Gespräche gingen die eingeladenen Experten dann auf verschiedene Aspekte der aktuellen Krisen  ein. So berichtete Jörg Nagel von den Hildesheimer Stadtwerken über die Herausforderungen und Schwierigkeiten, mit denen sie als Energieversorger klarkommen müssen. Welche staatlichen Auflagen sie umsetzen müssen und trotz der hohen Kosten für  Gas und Öl versuchen, die Energiekosten für den Verbraucher so verträglich wie möglich zu halten. „Zurzeit haben sich die Kosten wieder auf einem niedrigeren Niveau eingependelt. Die wollen wir noch im Frühjahr an die Verbraucher weitergeben“, so Nagel.

„Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg belasten die öffentlichen Haushalte“, sagt Sabine Tegtmeyer-Dette. Die Staatssekretärin im niedersächsischen Finanzministerium veranschaulichte,  welche Ausgaben das Land durch die Pandemie, aber auch durch die Folgen des Ukraine-Kriegs meistern muss. „Deshalb mussten wir jetzt auch einen zweiten Nachtragshaushalt erarbeiten.   Heiko König vom Landkreis Hildesheim weiß, wie schwierig es ist, Wohnraum für Flüchtlinge zu finden. Man sei dankbar für die vielen Ehrenamtlichen, die sich vor Ort in den Kommunen bereit erklären, den Flüchtlingen, „gerade aus der Ukraine sind es oft Frauen mit Kindern oder ältere Menschen“, zur Seite zu stehen.

Michael Bosse-Arbogast, Hauptgeschäftsführer des Kommunalen Arbeitgeberverbandes Niedersachsen, machte deutlich, dass neben den aktuellen Krisen auch noch weitere Probleme zu beachten sind wie die Alterspyramide, die schon lang nicht mehr „wie ein Tannenbaum aussieht“, die sich nicht nach oben hin verjüngt, sondern nach unten. Außerdem wies er auf die immer größer werdende Fachkräftelücke hin. „Wir müssen versuchen, gerade auch gut ausgebildete Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren, aber die Wege zur Anerkennung von Berufsabschlüssen sind zu langwierig, das muss schneller gehen“, so Bosse-Arbogast.
 


Matthias Freise, Professor für Slavische Philologie an der Göttinger Georg-August-Universität, gibt einen Einblick in die Entstehung der Ukraine. Er betont, dass nicht alle, die Russisch sprechen auch Russen sind. „Das ist wie mit den Schweizern, die sind auch keine Deutschen“, so Freise.

Der Ukraine-Krieg habe auch die Friedensbewegung pax chris­ti  vor eine Zerreißprobe gestellt, sagt Joachim Hoffknecht, Diözesangeschäftsführer des Verbandes. Er machte deutlich, dass Pazifismus nicht heiße, nicht Stellung zu beziehen, „aber es kann bedeuten, dass man zu anderen Einschätzungen in der Hilfe kommt.

Kehrt um und glaubt an das Evangelium

So habe pax christi den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine klar verurteilt. „Aber es gibt unterschiedliche Stimmen in der Bewegung, wie mit der Gewalt umzugehen ist, wie mit dem Selbstverteidigungsrecht der Ukraine in Bezug auf das politische Handeln und unsere Hilfe hier. Es gibt viele in der Bewegung, die an der Option der Gewaltfreiheit festhalten, aber auch die, welche neben zivilen Hilfen nicht gegen Waffenlieferungen zur Verteidigung sind“, erklärte Hoffknecht und mit Blick auf den Begriff Zeitenwende meinte er: „Wenn einer von Zeitenwende reden durfte und es getan hat, dann war das dieser Träumer Jesus von Nazareth. Seine einfache Formel: ‚Kehrt um und glaubt an das Evangelium‘ hatte einen knallharten Inhalt von einer gerechten Gesellschaft für alle Menschen. Und an eine solche Zeitenwende haben wir als Christen – auch wenn wir gerade nicht populär in unserer Gesellschaft sind – immer wieder zu erinnern und uns dafür einzusetzen!“

Edmund Deppe