Interview
Hohe Erwartungen ans Fest
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Verwandtenbesuche an Weihnachten bergen bisweilen Sprengstoff. Ungelöste Konflikte können aufbrechen und manche Themen sollte man am besten umschiffen, sagt Casy Dinsing. Das Modell, dass junge Paare sich an Weihnachten aufteilen und getrennt bei ihren jeweiligen Eltern verbringen, kann sie nicht empfehlen.
Frau Dinsing, an den Feiertagen verbringen viele Menschen Zeit mit ihren Verwandten, um gemeinsam Weihnachten zu feiern. Doch die Besuche verlaufen nicht immer harmonisch. Entstehen viele Konflikte, weil die Leute nicht klar aussprechen, was sie wollen?
Ja. Ein klares Ja – und vor allem auch, weil sie das nicht rechtzeitig tun. Es gibt Konflikte, die entstehen, weil es unterschiedliche Erwartungshaltungen gibt oder weil die Erwartungen nicht an die Realität angepasst sind. Das Harmoniestreben kann dazu führen, dass man die heiklen Themen vermeidet, nicht über die Tretminen in der Familie spricht, das führt aber dazu, dass diejenigen darunter leiden, die das Gefühl haben, dass etwas unter den Teppich gekehrt wird. So etwas sollte man aber nicht an Weihnachten beim Tischdecken ansprechen, es ist besser, es Tage oder Wochen vorher zu klären.
Also muss man sich im Vorfeld mit dem Verlauf der Weihnachtstage befassen?
Ja, wenn es um die Weihnachtsplanung geht, sollte man sich vorher überlegen: Wie soll das denn laufen? Wollen wir einen Tag fest miteinander verbringen und was an den anderen ist, das gucken wir mal? Wollen wir die ganze Zeit heile Welt spielen?
Das ist ja sehr anstrengend, besonders für Schwiegerkinder, wenn die gar nichts von den Streitthemen ahnen, also nicht wissen, wo das Fettnäpfchen lauert?
Die Schwiegerkinder sind ja in der Regel durch den Partner gebrieft, die wissen, zu welchen Themen sie sich nicht äußern sollen. Wir reden ja hier von schwierigen Familien, wie ich sie im Coaching begleite. Und da ist es in der Regel so, dass die Partner informiert wurden. Und dann dürfen sie sich auch nicht von den Eltern auf deren Seite ziehen lassen. Die erste Loyalität schulden sie immer dem Partner, nicht den Schwiegereltern, auch wenn sie sich gut mit denen verstehen, aber sie haben ja auch keine Vorgeschichte mit denen. Deshalb reagieren die Partner meistens entspannter und geraten in einen Loyalitätskonflikt. Man sollte seinem Partner also am besten vorher klarmachen: Wenn meine Eltern das und das ansprechen, sag bitte nichts dazu.
Die junge Generation könnte den Besuch zu Hause ja auch nutzen und Dinge ansprechen?
Man muss sich selber klarwerden: Welche Erwartungen habe ich? Wenn ich denke, dass etwas angesprochen wird und das passiert nicht, bin ich wieder enttäuscht, dann fühle ich mich vielleicht wieder zurückgesetzt. Oft hilft die Devise: „Erwarte so wenig wie möglich, dann freust du dich umso mehr.“ Vielleicht nehme ich mir nur eine Sache vor, die ich ansprechen will.
Und die Gastgeber haben ja auch Erwartungen.
Ja, auch wenn sie es nicht aussprechen. Als Gastgeber kann ich mich fragen: Will ich Dankbarkeit für den Stress, den ich mir antue? Erwarte ich Dank dafür, weil ich den ganzen Tag in der Küche stehe?
Das könnte man ja abstellen, indem alle helfen?
Das ist nicht so leicht, denn viele Frauen möchten, dass die Vorbereitungen und das Kochen genau so ablaufen, wie sie es immer tun.
Also kann man denen nicht helfen?
Doch, wenn sich alle – also auch die Gastgeber – klarmachen: Was ist denn das Ziel? Wir wollen eine schöne entspannte Zeit miteinander verbringen! Da ist es natürlich sinnvoll, die Gastgeber zu entlasten. Aber Sie dürfen als Gast nie sagen: Können wir helfen? Dann kommt die Antwort: Nein, braucht ihr nicht. Fragen Sie konkret: Wie wäre es, wenn wir den Nachtisch mitbringen?
Manche Eltern wären ja vielleicht auch froh über Unterstützung?
Ja, ich hatte mal eine Frau im Coaching, der wurde der ganze Weihnachtsstress zu viel und es ging darum, ihr den Rücken zu stärken. Da kamen jedes Jahr die Kinder, zwei Töchter und der Sohn, mit ihren Familien zu Besuch. Die Erwachsenen gingen ins Hotel, aber die Enkel wollten dann alle bei der Oma schlafen. Sie wollte das nicht mehr. Es war ihr zu viel. Aber der Sohn wollte das einfach nicht akzeptieren, und die Töchter hielten sich da raus. Sie hat es dann durchgesetzt, dass nicht mehr alles bei ihr stattfindet. Das bedeutete für alle, Abschied von einer langjährigen Gewohnheit zu nehmen. Es wurde dann so gelöst, dass an Weihnachten alles bei dem Sohn stattfand, da hing die Hauptarbeit an seiner Frau.
In eine Pension zu gehen, kann die Gastgeber auch entlasten?
Ja, und auch für mich selbst kann es eine gute Lösung sein, wenn es um problembelastete Beziehungen geht.
Tagsüber können aber auch Bemerkungen kommen, die ich nicht hören will?
Ja, diese Fragen wie „Wann heiratet ihr endlich?“, „Wie läuft es mit der Karriere?“, „Wann kommen bei Euch Kinder?“ Ich kann mir vorher eine nette Antwort überlegen wie: „Du erfährst es als Erstes, wenn ich es weiß.“ Es nützt nichts, zu sagen: „Musst du mich das fragen?“ Sie sollten nicht versuchen, eine 75-Jährige zu erziehen. Sie können aber von sich sprechen: „Ich würde mir wünschen, diese Frage nicht mehr zu hören.“
Das klingt alles ziemlich kompliziert. Vielleicht sollte man einfach zu Hause bleiben.
Ja, was die Planungen angeht, ist Weihnachten tatsächlich kompliziert. Sie sollten sich gut mit ihrem Partner abstimmen und können überlegen: Wohin fahren wir zu Besuch? Bleiben wir nur an einem Tag oder wird es ein Besuch mit Übernachtung? Falls wir übernachten: in der Familie oder in einer Pension? Da ist es gut, wenn in der Partnerschaft eine gewisse Flexibilität herrscht, damit man sich bei den Planungen entgegenkommen kann.
Ich kenne auch Paare, die trennen sich an Weihnachten. Er fährt zu sich nach Hause und sie zu sich nach Hause, also ins jeweilige Elternhaus. Manche sind schon jahrelang zusammen und machen das noch so. Da kann man sich fragen, welchen psychischen Reifegrad diese Beziehung hat.
Das ändert sich ja meistens, wenn Kinder da sind.
Ja, spätestens dann überlegen die meisten Paare, dass sie als Kernfamilie an Heiligabend alleine feiern. Und erst am ersten oder zweiten Weihnachtstag zu den Verwandten fahren.
Ob mit oder ohne Kinder – es gilt ja weiterhin sich klarzumachen, dass wir doch alle eine schöne Zeit wollen.
Ja, und als Schwiegerkind können Sie dann einfach die Gastrolle einnehmen. Sie können natürlich vorher fragen: Gibt es etwas, was ich wissen sollte? Und ansonsten fahren Sie gut mit der Haltung: Ich werte nicht, ich guck mir das einfach an. Gottes Zoo ist groß! Ich bin hier Gast und ich pass mich erst mal an.
Und als Kind?
Als Kind müssen Sie damit rechnen, dass alte Themen auf den Tisch kommen. Konflikte lassen sich nicht verdrängen. Was an Weihnachten aufploppt, muss im Februar besprochen werden.
Interview: Andrea Kolhoff
Casy Dinsing ist psychologische Beraterin, arbeitet als Coach und ist Autorin des Buchs „Warum bist du nicht, wie ich dich gern hätte?“. Mehr Informationen im Internet unter www.bettercallcasy.de