Impuls zur Sonntagslesung am 5. Januar: 2. Sonntag nach Weihnachten

Ich bete für dich

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Eine Frau zündet in einer Kirche eine Kerze an
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Foto: istockphoto/Martine Doucet

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Stiller Moment: Eine Frau betet beim Entzünden einer Kerze

Der Apostel Paulus war ein gebildeter Mann. Die theologischen Höhenflüge in seinen Briefen können noch heute Rätsel aufgeben, wie so manche unverständliche Lesung beweist. Paulus hatte aber auch eine andere Seite: Er war ein Beter. Das können wir auch sein.

Manchmal fragt man sich ja, ob die ersten christlichen Gemeinden überhaupt verstanden haben, was ihnen Paulus und andere in ihren Briefen schrieben. In dem komplizierten Brief an die Hebräer zum Beispiel, in dem an die Galater oder an die Gemeinde in Ephesus, aus dem die Lesung dieses Sonntags stammt. Die exegetischen Kommentare zu diesen Briefen füllen Regalmeter, und oft sind sich Bibelwissenschaftler uneins, wie nun dieser oder jener Abschnitt zu verstehen sein könnte.

Paulus kann aber auch anders. Naiver, einfacher und viel weniger belehrend. So beginnen oder enden manche Briefe mit einem Gebet. Und das scheint nicht nur der Form halber so zu sein. Paulus schreibt zu Anfang seines Briefes an die Gemeinde in Ephesus: „Darum höre ich nicht auf, für euch zu danken, wenn ich in meinen Gebeten an euch denke.“ Aha, offenbar macht er das häufiger: im Gebet an die Gemeinde und die Menschen, die in ihr leben, zu denken.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen mit Ihren Kindern und Enkeln geht, aber seit meine Kinder zum Studium ausgezogen sind und wir uns nur noch alle paar Monate leibhaftig treffen, denke ich häufiger als früher an sie. Einfach zwischendurch, wenn mich etwas an sie erinnert, wenn ich an ihrer alten Schule oder zu Hause an ihrer Zimmertür vorbeikomme. Aber beten?

Als mein Sohn im Frühjahr seine Abiturklausuren schrieb, erzählte eine Kollegin, dass ihre Oma damals, als es bei ihr so weit war, jeden Morgen eine Kerze angezündet und für sie gebetet hat. Auch das kam mir nicht in den Sinn.

Warum eigentlich nicht? Weil wir ganz vernünftig denken, dass Gott weder Einfluss auf die Klausur noch auf die Kenntnisse der Prüflinge hat? Oder weil wir dem Gebet insgesamt nicht so viel zutrauen und zu ihm allenfalls als Notanker in Extremsituationen greifen? Oder als Ritual, das wir im Gottesdienst ganz selbstverständlich mitmachen – ohne deshalb ernsthaft mit der Erfüllung unserer Fürbitten und Gebete zu rechnen?

Beten schafft eine Verbindung

Paulus ist da offenbar viel unbefangener und naiver – trotz seiner zweifellos komplexen theologischen Bildung. Er betet regelmäßig für die Gemeinden, die er gegründet hat und die er jetzt nur alle paar Wochen, Monate oder Jahre leibhaftig wiedersieht: „Gott gebe euch den Geist der Weisheit und Offenbarung, damit ihr ihn erkennt. Er erleuchte die Augen eures Herzens, damit ihr versteht, zu welcher Hoffnung ihr durch ihn berufen seid.“ Herz, Verstand, Weisheit, Hoffnung der Menschen – all das umfasst sein Gebet.

Für andere zu beten, das schafft Verbindung. Bei den eigenen Kindern oder Enkeln ist das keine Kunst. Aber das Gebet kann auch die Verbindung zu denen stärken, die einem nicht so nahe stehen oder die man leicht vergisst. Entfernte Verwandte, alte Freunde und, ja, auch die Verstorbenen. „Solange ihr an mich denkt, bin ich nicht ganz tot“, hört man manchmal Sterbende sagen. Stimmt! Und solange man für sie betet, bleibt unsere Verbindung zu ihnen stark.

Einmal erzählte mir eine Frau, sie habe einen ganzen Zettel mit den Namen von Menschen, für die sie betet – nahe und fernere. Und damit sie niemanden vergisst, liegt der Zettel für das Abendgebet immer auf dem Nachttisch bereit. Naiv? Oder vielleicht doch eine besonders liebevolle Tradition?

Und noch ein Beispiel: Manche Gemeinden vergeben Gebetspatenschaften für Kommunionkinder oder Firmlinge: Jeder, der mag, kann aus einem Korb einen Namen ziehen – und diesen jungen Menschen dann in sein Gebet einschließen. Gemeinden, die das tun, berichten, dass diese Praxis beide Seiten berührt: die Betenden, die sich mit einem ganz konkreten Kind oder Jugendlichen verbunden wissen, die manchmal zur Feier der Erstkommunion oder Firmung kommen, eine Karte schicken oder ein kleines Geschenk; und die jungen Leute, die ahnen: Jemand denkt an mich, jeden Tag, und betet für mein Wohl – das stärkt.

Vielleicht sind auch deshalb Fürbittbücher in Kirchen so beliebt. Und Online-Portale, auf denen Ordensgemeinschaften Gebetsanliegen entgegennehmen und versprechen, diese Anliegen,  diese konkreten Menschen vor Gott zu tragen. Schön, dass sie das tun. Aber wir alle können es – für die uns Nahen und für die uns Ferneren. So wie Paulus es schreibt: „Darum höre ich nicht auf, für euch zu danken, wenn ich in meinen Gebeten an euch denke.“

Susanne Haverkamp