Für die Ukraine-Hilfe ist die Caritas auf Spenden angewiesen: Gerade jetzt.

„Ich bewundere diesen Lebensmut“

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Caritas Ukrainehilfe
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Foto: Agentur/Max Mustermann

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Dringend benötigt: Helfer der Caritas Ukraine verteilen Hygieneartikel.

Nach fast zwei Jahren Krieg in der Ukraine sind viele Helferinnen und Helfer erschöpft. Oliver Müller, Leiter von Caritas international, erklärt, wie wichtig Spenden und die Unterstützung aus dem Ausland gerade jetzt sind und was den Menschen im Kriegsgebiet trotz allem Hoffnung macht.

Der Krieg in der Ukraine geht demnächst in das dritte Jahr. Wie sieht die humanitäre Lage im Land aktuell aus? 

Die Lebensbedingungen verschlechtern sich immer weiter. In den vergangenen zwei, drei Wochen haben die Bombardements der Russen noch einmal deutlich zugenommen. Derzeit gibt es in der Ukraine 3,7 Millionen Inlandsvertriebene. 6,3 Millionen Menschen sind seit Februar 2022 ins Ausland geflüchtet. Allein diese beiden Zahlen belegen die Dramatik der Situation. Immer mehr Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Wasser, zu Nahrungsmitteln, zu Strom oder zur Gesundheitsversorgung. Zuletzt wurden zudem die staatlichen Aufwendungen für das Gesundheitssystem und für soziale Dienste in der Ukraine gekürzt, weil dem Land aufgrund des Kriegs und der Kriegswirtschaft immer weniger Geld für anderweitige Leistungen zur Verfügung steht. Zurzeit sind in der Ukraine elf Millionen Menschen auf Lebensmittelhilfe angewiesen. 

Zugleich hat man hierzulande den Eindruck, dass der Krieg in der Ukraine allmählich aus dem Bewusstsein verschwindet. Wie steht es um die Spendenbereitschaft der Deutschen?

2022 wurden Caritas international 78 Millionen Euro für die Ukrainehilfe gespendet. Das ist der höchste Wert, den wir jemals für eine einzelne Krise bekommen haben. Es gab eine riesige Welle der Solidarität, die dann aber verständlicherweise abflachte. 2023 lag die Spendensumme bei 6,9 Millionen Euro. Es kommt nun darauf an, wie es 2024 weitergeht. 

Mussten Sie bereits Ihre Projektarbeit reduzieren?

Bisher noch nicht. Noch steht uns ein Teil der Gelder, die wir in der Vergangenheit erhalten haben, zur Verfügung. Sollte die Spendenbereitschaft weiter zurückgehen, müssen wir wahrscheinlich im Herbst unsere Hilfsmaßnahmen reduzieren. Und bisher deutet nichts darauf hin, dass der Krieg dann zu Ende ist.

Oliver Müller
Oliver Müller, Leiter von Caritas International. Foto: Bente Stachowske/Caritas international

Wie genau hilft die Caritas den Menschen in der Ukraine?

Das ist ein ganzer Strauß an Maßnahmen und Projekten. 2023 hat die Caritas rund drei Millionen Menschen mit der Lebensmittelhilfe erreicht. Darüber hinaus gibt es 45 Caritas-Zentren im Land, die Unterstützung in verschiedener Form anbieten. Dort wird unter anderem psychologische Hilfe geleistet, es gibt Sozialberatung. Und es werden Kinder und Jugendliche von Fachkräften betreut, damit sie sich einigermaßen normal entwickeln können. Zudem unterhält die Caritas fast 200 Notunterkünfte in der Ukraine, in denen Menschen unterkommen können, die ihren Wohnraum verloren haben. 

Sie sprachen eben von der Nahrungsmittelhilfe. Wie läuft die ab?

Mit Lebensmitteln versorgen wir vor allem ältere Menschen in den frontnahen Gebieten. Dort bringen mobile Teams auch mal warme Mahlzeiten zu ihnen nach Hause. Gerade ältere Menschen sind besonders gefährdet, weil sie anders als Jüngere oft nicht aus ihrer Heimat weggehen können oder wollen. Im Winter versorgen wir außerdem viele Menschen mit warmer Bekleidung. Zudem unterstützen wir Familien finanziell, damit die ihre zerstörten Wohnungen oder Häuser selbst wieder instand setzen können.

Wie geht es den Helferinnen und Helfern nach zwei Jahren Krieg? 

Viele Mitarbeitende, die zum Teil Übermenschliches leisten, sind erschöpft. In der Ukraine gibt es niemanden mehr, der nicht selbst vom Krieg betroffen ist. Fast alle Menschen haben Angehörige, Freunde und Bekannte verloren. Nicht wenige der Caritas-Kräfte wurden selbst vertrieben und arbeiten heute an anderen Einsatzorten. Das Leid des Krieges hinterlässt auch psychisch mannigfaltige Spuren. Die Bombardements machen ja vor den Helferinnen und Helfern keinen Halt. In Mariupol wurden bereits 2022 zwei Caritas-Mitarbeitende getötet. Weitere wurden verwundet. 

Sie waren zuletzt im Sommer in der Ukraine. Wie haben Sie den Krieg erlebt?

Wenn man mitten in der Nacht von Sirenen geweckt wird und sich in einen Luftschutzraum begeben muss, bekommt man eine Ahnung davon, wie erschöpfend so ein lang andauernder Krieg für die Menschen sein muss. Zur Müdigkeit kommt noch die permanente Angst um sich und andere hinzu. Das steckt niemand leicht weg. Deswegen finanzieren wir seit einer Weile Maßnahmen der psychologischen Unterstützung für die Caritas-Mitarbeitenden. Auch gönnen wir ihnen Aus- und Rekreationszeiten, um sich zumindest etwas zu regenerieren. Aber natürlich sind unsere Möglichkeiten begrenzt. Wir können die Lebensrealität in der Ukraine nicht grundlegend verändern.

Das hört sich nicht gut an.

Die ukrainische Bevölkerung und die Caritas-Mitarbeitenden beobachten sehr genau, wie sich der Beistand des Auslands für ihr Land entwickelt. Sie nehmen mit großer Besorgnis wahr, dass die militärische Unterstützung, zum Beispiel von den USA, zunehmend zögerlicher bereitgestellt wird. Hinzu kommt, dass auch der humanitäre Bedarf, den die Vereinten Nationen für die Ukraine für das vergangene Jahr berechnet hat, nur zu 51 Prozent gedeckt werden konnte. Es gibt also eine zunehmende Lücke bei der Versorgung der Zivilbevölkerung mit dem Notwendigsten, etwa Nahrungsmitteln. Das hinterlässt natürlich Spuren bei unseren Mitarbeitenden, weil sie erleben, wie sich die Dinge verschlechtern. 

Was schenkt den Menschen Hoffnung in dieser scheinbar aussichtslosen Lage?

Was den Caritas-Mitarbeitenden Hoffnung schenkt, ist vor allem die tägliche Erfahrung, anderen Menschen helfen zu können, Leid zu verringern, Hungrige satt zu machen. Hinzu kommt die Erfahrung, dass sie den Angriffen nicht ohnmächtig gegenüberstehen. Bisher haben es die Ukrainerinnen und Ukrainer geschafft, sich der vollständigen Zerstörung ihres Landes und der Demokratie entgegenzustellen. Diesen Lebensmut bewundere ich. Damit der nicht bröckelt, ist es wichtig, dass die Unterstützung aus dem Ausland nicht nachlässt.

Interview: Andreas Kaiser

Andreas Kaiser