Der letzte Mönch im Zisterzienserkloster Himmerod
"Ich bin und bleibe hier"
kna/Anna Fries
Im früheren Zisterzienserkloster Himmerod lebt nur noch ein Mönch: Bruder Stephan. Er sammelt Spenden für Hilfsprojekte im Sudan und schreibt Bücher, meditiert in der Kapelle, plaudert mit Gästen. Und entdeckt neue Formen von Gemeinschaft.
Bruder Stephan Reimund Senge bringt aus Himmerod nichts weg. Als das Kloster 2017 geschlossen wurde, weigerte er sich zu gehen, wollte weiter da sein für Menschen, die aus der Region und von weither nach Himmerod kommen. 50 einfache Gästezimmer gibt es dort; „Komfort wollen wir nicht“, sagt Bruder Stephan. Außerdem gibt es eine Bäckerei, einen Buchladen, eine Kirche und eine Kapelle, einen Gruppenraum, eine Gaststätte – und viel Natur.
Besucher können in Himmerod Ruhe finden, Impulse, Gebete, Gottesdienste, Gespräche, Musik und ein offenes Ohr. An Bruder Stephans Bürotür steht: Gespräche jederzeit möglich. „Jeder ist willkommen“, betont er.
Bruder Stephan trägt das Ordensgewand der Zisterzienser, ein weißes Untergewand mit schwarzem Überwurf, dem Skapulier. Man sieht ihm an, dass er viel draußen ist, das Untergewand ist etwas geknittert und nicht lupenrein weiß, seine Haut braungebrannt. Darunter trägt er hellgraue Turnschuhe, am linken Handgelenk drei geknüpfte bunte Armbänder – Geschenke von Besuchen im Südsudan.
Himmerod liegt in der Eifel, umringt von Feldern, Wäldern und kleinen Dörfern. Die Fahrt zum nächsten Bahnhof dauert 20 Minuten. 1134 gründete der heilige Bernhard von Clairvaux das Zisterzienserkloster als erstes seines Ordens in Deutschland. Nach einer Blütezeit wurde die Abtei im Zuge des von Napoleon verfügten Säkularisationsgesetzes aufgehoben. Sie wurde zum Steinbruch – und erst Anfang des 20. Jahrhunderts neu besiedelt und wieder aufgebaut.
Zuletzt lebten jedoch immer weniger Mönche in Himmerod, 2017 noch sechs. Zu wenige in einer wirtschaftlich schwierigen Situation, entschied der Orden und löste den Konvent auf. Fünf Brüder wechselten in andere Abteien, Bruder Stephan blieb. Mit dem Gehorsam habe er es nicht so, befand einst der Trierer Bischof Stephan Ackermann. „Ich wollte mich nicht in ein Kloster verkriechen“, sagt der Mönch und betont: „Ich bin hier und bleibe hier.“ Sein Orden lenkte ein.
„Jesus sagte: ,Komm, beweg dich, du bist gesund, tu etwas‘“
Seit 65 Jahren lebt der gebürtige Hannoveraner nun in Himmerod. Er sei ein „verkrachter Schüler“ gewesen, mehrfach sitzengeblieben, von der Schule geflogen, erzählt Bruder Stephan. 1955 besuchte der damals 21-Jährige auf einer Wanderung durch die Eifel Himmerod. Ein Mönch habe ihn durch die Abtei geführt und gesagt, dass es noch freie Zimmer gebe. Daran habe er wenig später in Hannover gedacht, sich aufs Fahrrad gesetzt und sei in die Eifel geradelt. Ohne Luftpumpe und ohne Plan. Der Abt habe ihn erst einmal nach Wien geschickt, wo er „mit Hängen und Würgen“ das Abitur machte. 1958 trat er der Abtei bei, studierte Theologie und Philosophie und wurde 1964 zum Priester geweiht.
Jahre später inspirierte ein Besuch von Schwester Emmanuelle, der „Mutter der Müllmenschen von Kairo“, in Himmerod Bruder Stephan, in den Sudan zu reisen. Dort sah er Kinder mit Waffen spielen, er sah Armut, Hunger und Gewalt. Er gründete eine Initiative, die nun seit 25 Jahren Schulen im Sudan und Südsudan fördert. Warum? „Das war eine Frage der Berufung“ erzählt er. „Jesus sagte: ,Komm, beweg dich, du bist gesund, hast Zeit, tu etwas.‘ Mein Orden hatte nichts dagegen.“ Der Mönch weiß: „Bildung ist wichtig für Frieden.“ Und so sammelt er bundesweit Spenden für die Projekte.
Seine Initiative fördere etwa 15 Schulen im Südsudan und im Sudan, erzählt Bruder Stephan. Sie bezahle die Gehälter der Lehrer, teilweise das Schulgeld, Schüleressen, mancherorts Unterkünfte für Schülerinnen und Schüler. Und sie suche Lösungen für Probleme: „Einige Mädchen etwa wagen es nicht, in den Ferien nach Hause zu gehen, weil sie dann verheiratet werden oder schwanger wiederkommen. Wir ermöglichen, dass sie am Schulort in einem Wohnheim wohnen können und betreut werden.“
In Himmerod ist Bruder Stephan entweder in seinem Büro anzutreffen, wo er gerade an seinem 47. Buch arbeitet, in der Kapelle beim Meditieren oder mit Gästen am Plaudern. Ansonsten streift der Mönch viel durch die Natur. „Ich gehe jeden Tag ins Wasser“, sagt der 89-Jährige und meint damit keine Badewanne, sondern die Seen und Bäche rund um die frühere Abtei.
Jeden Abend improvisiert er im Gruppenraum am Klavier
An Hierarchien findet Bruder Stephan wenig Gefallen. Er sitzt bei Gottesdiensten in der Kapelle gerne auf dem Boden, in einem Kreis mit den Teilnehmenden. Gemeinde, das seien nicht „die da oben“, sondern Menschen, die zusammen beten, singen, tanzen, fröhlich sind, sagt er. Aus Afrika nehme er dazu viele Impulse mit. Und probiere mit Gästen stets neue Formen des Miteinanders im Gottesdienst aus.
In Himmerod lebt und arbeitet der Mönch mit Gleichgesinnten, wechselnden Gästen und Jugendgruppen. Jeden Abend improvisiert er im Gruppenraum am Klavier für seine Zuhörer. Die Mitbrüder fehlten ihm nicht, sagt er. Die heutige Himmeroder Gemeinschaft habe mehr miteinander zu tun.