Alter Brauch bleibt lebendig
"Ich freue mich immer auf die Gräbersegnung"
Foto: Imago stock&People
Er stammt aus einer katholisch-sozialisierten Familie und wusste auch, was bei einer Gräbersegnung passiert. Aber selbst dabei gewesen ist Carsten Lehmann als Kind oder Jugendlicher nie. Typisch skurilles, altes Brauchtum, das es heute noch gibt, weil man das immer so gemacht hat – so war über Jahre seine Vorstellung. Das änderte sich schlagartig, als er kurz nach seiner Weihe zum Diakon 2010 selbst segnend über den Friedhof ging. „Da habe ich gemerkt, wie tragend so ein Ritual sein kann, wenn jemand um einen Menschen trauert“, sagt Lehmann. „Bis heute zählt die Gräbersegnung zu meinen absoluten Lieblingsaufgaben. Ich freue mich inzwischen sogar jedes Jahr darauf.“
Seit dem 16. Jahrhundert gibt es Gräbersegnungen
Der Heiligenkalender der katholischen Kirche ist voll. Jeden Tag erinnert die Kirche an einen oder mehrere Menschen, denen eine besondere Verbindung zu Gott bescheinigt wird – deshalb wurden sie einst heiliggesprochen. Es könnte aber auch Heilige geben, die gar nicht aufgefallen sind, deshalb wurde das Fest Allerheiligen eingeführt. Und was ist mit den übrigen Verstorbenen? Es gab schon alte Traditionen, als um 1000 nach Christus Abt Odilo des Reformklosters Cluny ein Gedächtnis aller Verstorbenen einführte. Allerseelen lehnte sich an Allerheiligen an und breitete sich mehr und mehr aus. Mindestens seit dem 16. Jahrhundert sind Gräbersegnungen bezeugt.
Carsten Lehmann denkt bei dem Ursprung für die Segnung der Gräber an einen Besuch in Rom. Er erzählt von Ausgrabungen von Gräberstätten, die ohne jeglichen christlichen Urspung sind. „Dort gibt es Löcher im Boden zu den alten Gräbern, und man weiß, dass die Trauernden ihren verstorbenen Vorfahren über diese Löcher etwas mit ins Grab gegeben haben.“ Die heutige Gräbersegung knüpfe in gewissem Sinne daran an: „Wir tun unseren Vorfahren noch mal etwas Gutes, wir denken an sie, wir verbinden uns mit ihnen.“ Durch den Segen werde das Grab zu einem Ort der Hoffnung – so betet es auch der Priester in der Andacht, die üblicherweise am Beginn der Gräbersegnung steht.
Drei mögliche Formen für die Gräbersegnung
Wie läuft eine Gräbersegnung ab? Carsten Lehmann unterscheidet drei mögliche Formen, Qualität aufsteigend: Im ersten Fall tritt der Zelebrant nach einer Andacht vor die Friedhofskapelle und versprengt Weihwasser in alle Himmelsrichtungen. Damit sind formal alle Gräber gesegnet. Im zweiten Fall zieht er anschließend durch die Reihen der Gräber und hinterlässt etwas Weihwasser an jedem Grab. Die dritte Möglichkeit sieht Carsten Lehmann für sich als die optimale an: „Da bleibt der Zelebrant an jedem Grab kurz stehen, an dem sich Angehörige versammelt haben und spricht mit ihnen.“ Er hat es selbst erlebt, wie gut es vielen tut, Geschichten von den Verstorbenen zu erzählen. „Allerseelen ist auch das Fest, an dem Familien sich wiederfinden, weil sie sich auf dem Friedhof versammeln“, sagt er. Er wirbt deshalb dafür, Gelegenheiten für eine Begegnung zu schaffen. Bei heißen Getränken redet es sich leichter – und die gemeinsam erlebte Trauer wird vielleicht etwas weniger schwer.
Wer darf den Segen spenden? Natürlich die Priester und Diakone, deren Zahl aber rückläufig ist. Nicht nur deswegen ist es für Carsten Lehmann selbstverständlich, dass das auch eine Möglichkeit für die pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist, die den Beerdigungsdienst versehen. Außerdem sollten sich die Mitglieder ehrenamtlicher Gemeindeteams einbringen können, die sich speziell um die Diakonie kümmern. Außerdem: „Unsere Zahl wird zwar kleiner, die der Trauernden, die zum Friedhof kommen, aber auch“, sagt Lehmann. Das sei zumindest eine Erfahrung, die er im städtischen Bereich gemacht hat. Im ländlichen Bereich ist es oft anders: Da gilt der Gottesdienst zu Allerseelen, in dem mancherorts die Verstorbenen des Jahres noch einmal genannt werden, als bestbesuchter gleich nach der Christmette an Heiligabend.
"Da müssen Sie bitte auch segnen"
Für Carsten Lehmann hat das Fest Allerseelen eine österliche Perspektive, weil es so viel Hoffnung versprüht. Deshalb empfiehlt er den Gläubigen, wenn möglich, einen Buchsbaumzweig mitzubringen und auf das Grab zu legen. Noch besser ist es, wenn der Zweig vom Palmsonntagsgottesdienst stammt. „Dann ist das wirklich ein starkes österliches Zeichen.“ Was ihn besonders freut, ist der Hinweis von Friedhofsbesuchern, die ihn auf ein bestimmtes Grab aufmerksam machen, an dem aber niemand steht. „Da heißt es dann: ,Da können keine Angehörigen kommen, aber den Mann oder die Frau kannten wir, da müssen Sie bitte auch segnen.‘“ Da spüre er deutlich, dass Allerseelen und die Gräbersegnung mehr sei, als nur einen alten Ritus wachzuhalten.
„Gänsehautmoment“ auf dem Domherrenfriedhof
Von vielen Gläubigen unbemerkt spielt die Liturgie des Allerseelentages im Dom eine wichtige Rolle. Jedes Jahr zelebrieren der Bischof oder der Weihbischof ein Requiem – gewissermaßen stellvertretend für das ganze Bistum. Die Domküster schmücken den Domherrenfriedhof, auf dem Geistliche bestattet sind, die im Bistum eine Leitungsaufgabe innehatten. Wenn diese Gräber dann gesegnet werden und ein Osterlied erklingt, ist das für viele Anwesende ein „Gänsehautmoment.“ Allerseelen – das ist mitten im Herbst ein österliches Fest.
Termin
Neues Angebot in Haselünne
Der Besuch des Friedhofs zur Gräbersegnung kann Familien zusammenführen. Aber was ist mit denen, die alleinstehend sind oder keine Angehörigen in der Nähe haben? Die Pfarreiengemeinschaft St. Vincentius in Haselünne bietet in diesem Jahr erstmals zur Gräbersegnung auf dem Friedhof ein Begegnungscafé an. Es wird Kaffee, Tee und Kekse geben – und Zeit sein, zu klönen oder sich aufzuwärmen. „Wir wollen damit besonders diejenigen ansprechen, die trauern, aber dies allein tun müssen“, sagt Marcel Völtz vom Pfarrgemeinderat. Ab 16 Uhr steht ein Team von Ehrenamtlichen bereit. (kb)