Sonderausstellung im Museum Friedland

„Ich weiß, was Flucht heißt“

Image
golsch-portr%C3%A4t.jpg

Im Rampenlicht standen gern die Männer, die Frauen arbeiteten im Hintergrund für das Grenzdurchgangslager Friedland. Eine Ausstellung würdigt ihren Einsatz früher und heute. Ein Beispiel: Kindergartenleiterin Gisela Golsch.


Fotos erinnern Gisela Golsch an die vielen Jahre, in denen sie
den Kindergarten von Friedland leitete. Auch sie gehört zur
Geschichte des Grenzdurchgangslagers. Foto: Stefan Branahl

Gisela Golsch – wie ist das eigentlich, sich selbst in einer Museumsausstellung zu begegnen? „Mir ist es kalt den Rücken runter gelaufen“, sagt die frühere Leiterin des  katholischen Kindergartens von Friedland bei Göttingen. Das liegt in ihrem Fall weniger daran, sich plötzlich im Rampenlicht zu sehen, es hat mehr mit der eigenen Geschichte zu tun: 1963 flüchtet das Mädchen mit der ganzen Familie aus Böseckendorf, einem kleinen Ort unmittelbar an der innerdeutschen Grenze, in den Westen. Auch nach 58 Jahren sind das beklemmende Erinnerungen, sagt Gisela Golsch bei der Eröffnung der Ausstellung „Frauen in Friedland. Erzählte Lebensgeschichten“. Als sei es gestern gewesen schießen ihr die Ereignisse jenes 23. Februar in solchen Momenten durch den Kopf: Bei Nacht und Nebel, bei klirrender Kälte, verirrt sich die 13-köpfige Gruppe („Unsere Oma war mit 82 die Älteste“) im Nebel, eher durch Zufall gelingt der Marsch durch das verminte Gelände. 

„Ich weiß, was Flucht bedeutet“


Nach ihrer Ausbildung zur Erzieherin
kehrte Gisela Golsch nach Friedland
zurück und übernahm den Kindergarten,
der auch von vielen Flüchtlingskindern
besucht wurde. Foto: Privat

Friedland ist Anlaufpunkt für die Familie Golsch, die sich erst zwei Jahre nach der spektakulären Flucht von 16 Böseckendorfer Familien ebenfalls auf den gefährlichen Weg macht, weil sie den Druck der permanent drohenden Zwangsumsiedlung aus dem scharf bewachten Grenzgebiet nicht mehr standhält. Und Friedland wird ein paar Jahre später zur neuen Heimat von Gisela Golsch, die inzwischen geheiratet und eine Ausbildung zur Erzieherin gemacht hat. Mit 21 übernimmt sie den Kindergarten. Und weil sie weiß, was Flucht bedeutet, liegen ihr die Jungen und Mädchen – zunächst Spätaussiedler aus Polen, dann Bootsflüchtlinge aus Vietnam, später Russlanddeutsche aus Kasachstan – besonders am Herzen. „Gerne hätte ich die Kinder unseres Ortes mit ihnen ihn engeren Kontakt gebracht. Aber die kurze Zeit im Durchgangslager hat mir da einen Strich durch die Rechnung gemacht. Und die fremden Kinder blieben auch lieber gern in ihren Gruppen unter sich.“

Über Jahrzehnte war Friedland ein politisches Aushängeschild, gerne besucht von deutschen Politikern. Alle Bundespräsidenten hat Gisela Golsch im Kindergarten gehabt („Tage vorher wurde alles von Sicherheitskräften durchsucht“). Und eines Tages klingelte Loki Schmidt, die Frau des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt, ganz überraschend und gegen das Protokoll an der Tür.
So wie Gisela Golsch haben viele andere Frauen die Geschichte von Friedland geprägt. Da ist zum Beispiel Gabriele Roßbach-Penke, die für den DRK-Suchdienst unter anderem das Schicksal von nicht heimgekehrten Kriegsgefangenen aufzuklären hilft, später unmittelbar die politischen Entwicklungen in Polen und der Sowjetunion miterlebt. Da ist Johanne Büchting, die ihr Netzwerk in Politik und Wirtschaft für die Friedlandhilfe nutzt. Da ist Schwester Luciana Bunnenberg, die stellvertretend für den langjährigen Einsatz der Vinzentinerinnen für die Menschen in Friedland steht.

Noch immer ein Ort der Hoffnung

Neben den engagierten Frauen der Vergangenheit sind es aber auch Frauen von heute, die in der Ausstellung porträtiert werden. Hue San Do aus Vietnam gehört dazu, Adelheid Panknin aus dem oberschlesischen Dembiohammer oder die Syrerin Fereal Saleim Antar. Ihre Schicksale erzählen, dass die Geschichte des Durchgangslagers noch längst nicht zuende erzählt,  dass Friedland noch immer Hoffnungsort für viele Menschen ist. 


Gisela Golsch (vorne im karierten Mantel) und ihre Familie bei der
Ankunft in Friedland im Februar 1963. Repro: Stefan Branahl

„Frauen erleben die Folgen von Krieg, Verfolgung und Vertreibung ganz anders als Männer, oft müssen sie die schwierigsten und gefährlichsten Situationen allein oder mit ihren Kindern bewältigen“, sagt  Ausstellungskuratorin Ewa Kruppa. „Angst, Ohnmacht, Gewalt und Verlust haben sie unterwegs erfahren.“ Friedland sei für sie oft ein Ort gewesen, an dem sie zum ersten Mal wieder frei durchatmen konnten. 

So ergänzt die kleine Sonderausstellung die sehenswerte Dauerausstellung im Bahnhofsgebäude, erzählt anhand von Lebenswegen Geschichte nach 1945 und macht deutlich: Friedland, der kleine Ort an der ehemals deutsch-deutschen Grenze, ist ein wichtiges Kapitel dieser Geschichte. Bis heute.

Von Stefan Branahl

Informationen im Internet: museum-friedland.de