Der Theologe Johannes Hartl über Christen in China

"Ich wünsche mir keine Verfolgung, aber ..."

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Es war keine ungefährliche Reise: Der katholische Theologe Johannes Hartl (39) aus Augsburg hat sich kürzlich in China über die Lage der dort vielfach unterdrückten Christen informiert. Im Interview spricht er über das paradoxe Resultat religiöser Verfolgung, über mögliche Lehren für das Glaubensleben in Deutschland und über den Grund dafür, dass er das neue Vatikan-China-Abkommen nicht zu bewerten wagt.

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Schildert seine Eindrücke: Der Augsburger Theologe Johannes Hartl hat Christen in China getroffen. Foto: kna


Herr Hartl, in Ihrem Blog schreiben Sie zur Unterdrückung von Christen in China: "Der Verkauf von Bibeln ist derzeit wieder einmal verboten - umso mehr wird das Wort Gottes geliebt." Dient Repression etwa der Evangeliumsverbreitung?
Natürlich wünsche ich mir keine Verfolgung, aber es ist doch so: Erst, wenn man krank geworden ist, weiß man seine Gesundheit zu schätzen. Ähnlich verhält es sich mit dem Christentum in China. So paradox es klingt: Weil die Menschen die Religion dort nicht frei leben dürfen, ist sie vielen ungeheuer viel wert; vielleicht, weil sie auch durch die Repression spüren, dass es um etwas ganz Bedeutsames geht. Deshalb sind sie bereit, für ihren Glauben große Opfer zu bringen.

Welche?
Ich weiß von Chinesen, die wegen ihres offenen Glaubenslebens ihren Arbeitsplatz und ihre Wohnung verloren haben und ins Gefängnis gesteckt wurden.

Woher rührt diese Glaubensstärke?
In China gibt es einen riesigen geistlichen Hunger. Das Land ist überschwemmt von Kommunismus und Konsumismus. Das sind aber keine Ideologien, die die Herzen füllen. Die Herzen vieler Chinesen sind ausgedörrt. Die Botschaft Jesu hingegen kann sie aufblühen lassen.

Warum stillen die Chinesen ihren "geistlichen Hunger" nicht mit fernöstlichen spirituellen Antworten?
Buddhismus, Konfuzianismus und Taoismus sind in China bekannt für ihre große Staatsnähe. Das Christentum setzt dazu einen Gegenakzent. Außerdem bietet das Christentum natürlich in sich einen unvergleichlichen Wert. Dazu zählt die Gottesebenbildlichkeit eines jeden einzelnen Menschen. Auch deshalb ist das Christentum für viele Chinesen so verheißungsvoll. Denn sie leben ja in einer radikal kollektivistischen Gesellschaft.

Diese Gesellschaft ist sehr skeptisch gegenüber ausländischen Einflüssen. Stichwort "Sinisierung": Der Staat verlangt von Religionsgemeinschaften, "chinesisch zu werden". Was heißt das?
Das weiß ich nicht, da ich in China nur in Hauskirchenkreisen war, an Orten unter dem staatlichen Radar. Die Christen verwahren sich jedenfalls gegen den staatlichen Vorwurf, sie verbreiteten westlichen Kulturimperialismus. Gleichwohl fürchtet Peking die Christen zu Recht. Denn sie sind die größte gesellschaftliche Kraft im Land, über die die Kommunistische Partei keine Kontrolle hat. Und sie wachsen weiter. Fast täglich entstehen neue Untergrundkirchen, China wird bald weltweit das Land mit den meisten Christen sein. Deshalb auch die Verfolgung. Das Christentum wird immer dann besonders unterdrückt, wenn es gedeiht, aktuell ja auch in Indien.

In Europa hingegen herrscht Religionsfreiheit. Aber immer mehr Menschen erklären sich auch frei von Religion. Wie sehen die chinesischen Christen diese Entwicklung?
Sie sind in Sorge um das satte Christentum, sie beten gegen den Rückgang des Glaubens bei uns an. Wie das ganze Religionsleben spielt sich auch dies vor allem in Hauskirchen ab, also bei informellen Treffen bei jemandem daheim. Von diesen Hauskirchen geht die Frohe Botschaft zigfach aus. Davon können wir hier mit unserem institutionalisiertem Staatskirchenwesen einiges lernen.

Was denn?
Dass die Nachfolge Jesu dann am besten zu funktionieren scheint, wenn sie mit persönlichem Glaubenszeugnis und intensiver Gebetsgemeinschaft, mit Freundschaft und geteiltem Leben einhergeht. Wenn es also im Alltag gelebten Glauben gibt und nicht in erster Linie beflissenes monatliches Kirchensteuerzahlen.

Nun hat China vor einigen Wochen mit dem Vatikan ein Abkommen über die Bischofsernennungen im Reich der Mitte abgeschlossen. Kritiker wie der Hongkonger Kardinal Joseph Zen Ze-kiun werfen dem Papst Verrat vor. Wie betrachten Sie den Schritt?
Ich halte das Thema für superkomplex und für eine äußerst schwierige Gewissensentscheidung von Franziskus. Ob es richtig war, regierungstreue Bischöfe anzuerkennen, die ohne päpstliche Zustimmung geweiht worden waren, um die Kirche in China zur Einheit zu führen? Ich weiß es nicht, ich erlaube mir darüber kein Urteil.

Und welche Meinung haben die Chinesen, die Sie getroffen haben?
Das war kein Thema, weil ich aufgrund privater Kontakte nur unter Protestanten war. Und in China gibt es kaum interkonfessionelle Beziehungen. Im Gegenteil: Viele Protestanten glauben, Katholiken beteten Götzen an. Bei der Ökumene ist da also noch sehr viel Luft nach oben.

kna