Eltern von Pflegekindern berichten

„Ihr seid Herzenskinder!“

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Mariele und Tobias Lonnemann
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Foto: Kerstin Ostendorf

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"Wir sind defeintiv nicht nur Ersatz", sagen die Pflegeeltern Mariele und Tobias Lonnemann. 

Mariele und Tobias Lonnemann haben vor zwei Jahren Geschwister als Pflegekinder aufgenommen und sofort ihr Herz an sie verloren. Die Kleinen haben ihr Leben völlig umgekrempelt, aber die Pflegeeltern sind sicher: „Die beiden gehören zu uns!“

Als Mariele und Tobias Lonnemann zum ersten Mal ihre beiden Kinder sahen, waren diese hungrig, müde, hatten die Windeln voll und waren erkältet. „Bei uns ging es gleich von Null auf 200“, sagt Mariele Lonnemann, wenn sie sich an die ersten Wochen mit ihren Pflegekindern erinnert. Nur eine Woche hatten sie und ihr Mann Tobias Zeit, sich auf die Ankunft der Geschwister vorzubereiten. Innerhalb weniger Tage mussten sie Kinderbetten, Wickelkommode und Kleidung besorgen. „Und auf einmal war es so weit und die beiden standen bei uns auf dem Hof.“

Seit knapp zwei Jahren leben Clara und Theo (Namen geändert) nun bei den Lonnemanns im Emsland. Sie haben hier ein Zuhause gefunden, in dem sie sich wohlfühlen – und Eltern, die sofort ihr Herz an die Kinder verloren haben. „Der Tag, als die beiden zu uns kamen, war verrückt“, sagt Tobias. Am frühen Morgen hatte das Jugendamt angerufen: Es ist so weit. „Als sie aus dem Auto kamen, haben wir sie das erste Mal gesehen.“ Sie aßen gemeinsam zu Mittag, dann legten sie die Kinder zum ersten Mal schlafen. „Und anschließend saßen wir hier am Tisch, haben uns angeschaut und gesagt: So, jetzt sind wir Eltern!“, erinnert sich Mariele.

Die Kinder hatten bis dahin bei ihren leiblichen Eltern gelebt. „Die Lebensumstände der Eltern ließen es aber nicht zu, dass sie bei ihnen groß werden konnten“, sagt Mariele. Ein Gericht habe über die Unterbringung in einer Pflegefamilie entschieden. Drogen, Alkohol, Gewalt oder Missbrauch waren aber kein Grund. Mehr können und möchten sie nicht sagen, denn die Kinder leben anonym bei ihnen. Ihre Gesichter dürfen nicht gezeigt werden. 

In den ersten Wochen haben Lonnemanns sich mit den Kindern ganz zurückgezogen. „Die mussten ja erst mal hier ankommen. Wir haben viel gespielt und gekuschelt. Manchmal saßen wir stundenlang vor dem Kamin und haben zugeschaut, wie das Feuer prasselt“, sagt Mariele. Schnell sind ihnen die Kinder ans Herz gewachsen. „Clara ist zum Beispiel nur bei mir im Arm eingeschlafen. Als ich sie die ersten zwei Abende so in den Schlaf geschaukelt habe, war das Thema Bindung keine Frage mehr“, sagt sie. 

Neun Monate zuvor hatte das Paar sich beim Jugendamt erstmals konkret darüber informiert, was es heißt, Pflegekinder bei sich aufzunehmen. Tobias, der mehrere Jahre als Erzieher in der Jugendhilfe gearbeitet hat, konnte sich das schon länger vorstellen und auch Mariele gefiel der Gedanke: „Wir wollen ein Kind begleiten und helfen, dass es selbstständig wird, dass es gut aufwachsen kann.“

„Die Leute haben nichts beschönigt“

Es folgten viele Gespräche, Mitarbeiter des Amtes kamen vorbei und schauten ihr Haus an. Sie nahmen an Wochenenden teil, bei denen langjährige Pflegeeltern von ihren Erfahrungen berichteten. „Das war sehr wichtig. Die Leute haben nichts beschönigt“, sagt Tobias. Schwergefallen sei ihnen, einen Zettel auszufüllen, auf dem sie Vorstellungen zu dem Kind notieren konnten. „Geschlecht, Alter, Konfession – wir hätten alles aufschreiben können“, sagt Tobias. „Wie sollten wir das entscheiden? Hätten wir ein leibliches Kind bekommen, wäre das ja auch nicht möglich“, sagt Mariele.

„Seitdem Clara und Theo bei uns sind, hat sich unser Leben komplett gewandelt“, sagt Tobias Lonnemann. Der 38-Jährige hat seinen Beruf in der Kundenberatung aufgegeben, Mariele führt weiterhin ihr Optiker-Geschäft. Gemeinsam unternehmen sie viel mit den Kindern: Urlaub, Ausflüge mit Freunden, Spielenachmittage mit den Nachbarskindern. 

Einmal im Monat treffen die Kinder ihre leiblichen Eltern. Mariele und Tobias Lonnemann und ein Mitarbeiter des Jugendamtes sind stets dabei. Die Kinder spielen dann mit ihrer Mutter oder ihrem Vater. „Manchmal fremdeln sie ein bisschen oder haben keine Lust. Dann motivieren wir sie und ziehen uns dann wieder zurück“, sagt Mariele. Ihr ist es wichtig, dass die leiblichen Eltern einen Platz im Leben der Kinder haben. So steht auch ein Foto von ihnen im Kinderzimmer von Clara und Theo. „Die leiblichen Eltern haben alles, was sie konnten, für die Kinder getan. Aber wir sind jetzt genauso ihre Eltern. Wir sind definitiv nicht nur ein Ersatz.“

Auch wenn sie Clara und Theo nicht adoptiert haben, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie zu den leiblichen Eltern zurückkehren, gering. „Am Anfang hatten wir das mehr im Hinterkopf. Jetzt nicht mehr so. Die beiden gehören zu uns“, sagt Tobias. Jüngst war seine Frau bei einem Seminar zum Thema, wie sie später mit Clara und Theo über ihre Rolle als Pflegeeltern sprechen können. „Da wird immer von Herz-Mama für die Pflegemutter und von Bauch-Mama für die leibliche Mutter gesprochen“, sagt sie. Diese Unterscheidung findet sie schwierig, denn sie weiß, wie sehr auch die leibliche Mutter ihre Kinder liebt. Mariele drückt Clara und Theo an sich und flüstert: „Ihr seid einfach Herzenskinder!“

Kerstin Osterndorf