Gabriele Schelenz erzählt, was die Fokolar-Gemeinschaft in Jerusalem erlebt
Im Kleinen Hoffnung säen
8. Mai, am Damaskustor zur Jerusalemer Altstadt: Gewaltsame Zusammenstöße zwischen Palästinensern und der israelischen Polizei. Hinter einer am Boden liegenden Absperrung brennt ein Feuer. Foto: kna |
Als im Mai die Kriegshandlungen begannen, war Gabriele Schelenz gerade auf dem Weg in den coronabedingt schon mehrfach verschobenen Urlaub. Allen, die sie in Gefahr wusste, hat sie unterwegs eine Nachricht geschickt: „Ich denke an euch“. Sie spürte die Angst aller Menschen im Heiligen Land vor dieser Gefahr und litt mit ihnen.
Vor gut drei Jahren war die damalige Leiterin des Fokolar-Begegnungszentrums in Zwochau nach Israel aufgebrochen. Sie lebt seither in einer Hausgemeinschaft mit zwei weiteren Fokolarinnen in einem vorwiegend von Palästinensern bewohnten Gebiet. Spannungen, Hass und Gewalt zwischen Palästinensern und Israelis gehören seither für sie zum Alltag. „Die Unruhen im Mai hatten aber eine andere Intensität“, erzählt sie. Über den Gazakrieg hinaus gab es nun große Unruhen in vielen Städten Israels, die sie bis dahin immer als friedlich erlebt hatte.
„Mit leben und leiden, kleine Zeichen der Hoffnung setzen...“
Im Glauben an einen gemeinsamen Gott hätten Christen, Muslime und Juden eigentlich eine große Chance, ist Gabriele Schelenz überzeugt. „Wenn wir wirklich ernst nehmen würden, dass wir Geschwister sind, sähe unser Leben ganz anders aus.“ Kinder und Jugendliche seien am ehesten bereit, ihre Herzen für ein geschwisterliches Miteinander zu öffnen, beobachtet sie.
In der Zeit vor Corona veranstalten die Fokolare zum Beispiel gut besuchte Schulungskurse für Jugendliche aus den drei monotheistischen Religionen. Dabei ging es nicht nur darum, mehr Wissen über die anderen Religionen zu sammeln, sondern vor allem darum, einander persönlich gut kennenzulernen. Christliche Kinder im Grundschulalter hätten sie kürzlich mit dem Vorschlag überrascht, für den Frieden Rosenkranz zu beten. Sie bewegten ihre Eltern, sich dafür mit anderen in einer Videokonferenz zusammenzuschließen. Den Erwachsenen falle es in der Regel schwerer, offen auf Angehörige anderer Religionen zuzugehen und das Positive in ihnen zu suchen. „Fast alle leben mit tiefen Kränkungen und haben viel Leid erfahren“, weiß Gabriele Schelenz.
Den eigenen Beitrag für Frieden und Einheit sieht sie weniger in großen Aktionen als in der alltäglichen Bereitschaft, mit zu leben, mit zu leiden, zuzuhören, zu helfen, Nähe zu schenken und kleine Zeichen der Hoffnung zu setzen. „Ich durfte viele Menschen kennenlernen, die so leben. Nur so können Wunden heilen, können Menschen vielleicht eines Tages die Kraft entfalten, wieder Schritte aufeinander zuzugehen.“
Vor Weihnachten hat sie die Jugendlichen der Fokolarbewegung als Hoffnungs-Spender erlebt. Sie riefen ihre christlichen und muslimischen Bekannten und Freunde dazu auf, ihnen neue und neuwertige Sachen, die sie nicht unbedingt selbst brauchen, zu überlassen. Mit dem Gesammelten haben sie einen großen Basar veranstaltet, der vor allem armen Familien zugute kam. Wie erschreckend arm viele palästinensische Familien sind, hat die Fokolarin selbst erlebt, als sie kürzlich Osterkörbe zu Corona-Infizierten brachte. Viele, die selbst nur ganz wenig zur Verfügung hatten, haben zu den Präsentkörben beigesteuert, was sie konnten: ein bisschen Geld, Eier, landestypisches Ostergebäck....
„Was ich selbst nicht tun kann, können vielleicht andere tun“, erlebt sie immer wieder und schöpft dabei auch Kraft aus der Verbundenheit mit Menschen, die sich anderswo in der Welt für Geschwisterlichkeit einsetzen, darunter auch die Palästinenserin Margaret Karram, die im Januar zur neuen Präsidentin der Fokolar-Bewegung gewählt wurde.
Gabriele Schelenz, seit gut drei Jahren in Israel. Foto: Christian Karnowsky |
Im Alltag die eigene Bereitschaft zur Vergebung trainieren
Während Gabriele Schelenz selbst vorwiegend Kontakt zu Christen pflegt, leitet eine einheimische Freundin beispielsweise eine Dorfschule, die ausschließlich von Muslimen besucht wird: „Die Wertschätzung, die sie den muslimischen Familien entgegenbringt, wird ihr als Christin zurückgegeben.“ Generell gäben christliche Einrichtungen in der Region ein wunderbares Zeugnis der Geschwisterlichkeit, findet die Fokolarin. Sie denkt dabei unter anderem an das Caritas Baby-Hospital in Betlehem, das offen für Patienten aller Religionen und Nationalitäten ist oder an die Schulen der Franziskaner, die freitags den Muslimen und sonntags den Christen freigeben und Rücksicht auf die großen Feste aller Religionen nehmen.
Das offizielle Miteinander zwischen den Kirchen der Region fühlt sich für die Ökumene gewohnte Katholikin aus Deutschland oft bitter an. Dass in der Geburtsgrotte von Betlehem die Kirchen ihre Territorien nach wie vor zentimetergenau voneinander abgetrennt haben und nacheinander drei Weihnachts- und auch drei Ostergottesdienste feiern, sei schwer verständlich und verkompliziere in konfessionsverbindenden Familien das Leben. Im Alltag seien zwischen den Christen Barrieren nicht mehr spürbar. In ihrem Freundeskreis finde sie es oft bewegend, wie aufmerksam Christen verschiedener Konfessionen miteinander umgingen. „Die Orthodoxen haben die Osterfreude mit uns geteilt und uns beschenkt, obwohl sie selbst gerade fasteten.“
Sich an solchen Lichtblicken aufzurichten und von herben Rückschlägen wie dem jüngsten Kriegsgeschehen nicht entmutigen zu lassen, entspricht dem Naturell der gebürtigen Magdeburgerin. „Ich hatte von jeher ein großes Gottvertrauen, dass wir immer in seinen Händen sind, so furchtbar die Situation auch ist.“
Bestärkt in dieser Haltung hat sie der Mauerfall, den sie von Ostberlin aus miterlebt hat. „Dieses Wunder zu erleben, hat mich geprägt“, erzählt sie. „Ich bin überzeugt, dass Gott eingreifen kann, dass er den Hass überwinden kann. Meine Aufgabe ist es, daran zu glauben, dafür zu beten und meinen Teil dafür zu tun.“ Wesentlich dabei sei es, in ihrem Alltag, in ihrer kleinen Gemeinschaft selbst Vergebung einzuüben – „den anderen ihre Fehler vergeben und bei meinen eigenen Fehlern nicht stehen zu bleiben.“
„Hoffentlich lässt sich die Weltgemeinschaft wachrütteln!“
Wenn sie in Israel in gefährliche Situationen gerät, denkt sie an ihre Erfahrung in der DDR wie an einen Schatz. „Hier habe ich innere Freiheit darin gefunden, Menschen als Geschwister zu betrachten, unabhängig von ihrer Religion oder Weltanschauung.“ Einer ihrer ehemaligen Lehrer kommt ihr in den Sinn, ein überzeugter Kommunist, der ihr zunächst Angst machte. „Nachdem ich mir vor Augen gehalten habe, dass mich die christliche Liebe stark macht, hat sich nicht nur mein eigenes Verhalten verändert. Auch er ist mir fortan ganz anders begegnet.“
Wenn die Weltgemeinschaft sich durch den jüngsten Krieg wieder wachrütteln ließe, könnte er am Ende sogar zu etwas Gutem führen, wünscht sich Gabriele Schelenz: „Es wäre schön, wenn alle gemeinsam nicht nachließen, Lösungen zu finden.“ Und was könnten Tag des Herrn-Leser ihrer Ansicht nach tun, um den Friedensprozess in Israel zu stärken? „Sie können dafür beten und dort, wo sie gerade sind, im Geist der Geschwisterlichkeit leben!“
Von Dorothee Wanzek