Lied "Das Weizenkorn muss sterben"
Im Tod ist das Leben
„Das Weizenkorn muss sterben“ zählt zu den bekanntesten ökumenisch gesungenen Liedern. Der Text von Lothar Zenetti weist in wenigen eindrucksvollen Worten auf den Kern des Sonntagsevangeliums hin.
Als ich Messdiener war, in den 1980er Jahren, da habe ich unseren Pfarrer dabei beobachtet, wie er vor der Messe in der Sakristei die Liedpläne für den Organisten zusammenstellte. Eines Tages hab’ ich mal einen eigenen Liedplan mitgebracht. Mit meinen Lieblingsliedern. „Das Weizenkorn muss sterben, sonst bleibt es ja allein“ war dabei. Ein Lied, das der Frankfurter Priester Lothar Zenetti gedichtet hat.
Von dem wusste ich nicht viel. Nur den Namen. Und eben dieses Lied. Als Lothar Zenetti es schrieb, war er etwa so alt wie ich heute – und ich noch gar nicht auf der Welt. Als Ministrant kannte ich es auswendig. Vielleicht, ohne viel vom Text zu verstehen.
Später, im Theologiestudium, ist das dann anders geworden – vielleicht. Auch wenn da einzelne Kommilitonen das „Neue Geistliche Lied“ mit Naserümpfen betrachteten: Manches dabei war ihnen zu politisch, scheinbar zu wenig theologisch.
Doch weit gefehlt! „Geheimnis des Glaubens: Im Tod ist das Leben“: Lothar Zenetti bringt da etwas mit leichten Worten auf den Punkt, was regalweise theologisch-dogmatische Bücher füllen könnte. Schließlich geht es um den Kern des christlichen Glaubens: Tod und Auferstehung. Es geht um die paradoxe Erkenntnis, dass der Tod nicht das Ende ist. Darum, dass Jesus in der Auferstehung den Tod besiegt hat. Im heutigen Evangelium sagt er das sehr deutlich; kurz danach folgt beim Evangelisten Johannes Jesu Abschiedsmahl mit seinen Jüngern. Es wird ernst, der Tod naht. Doch aus seinem Tod entspringt neues Leben, entspringt das Heil – das ist der christliche Glaube, der dann auch Konsequenzen hat für das Leben der Christen.
Lothar Zenetti braucht dafür nur vier Strophen: „Das Weizenkorn muss sterben, sonst bleibt es ja allein, der eine lebt vom andern, für sich kann keiner sein“: Die Öffnung und Selbsthingabe ermöglicht neues Leben. Aus der Selbsthingabe erwächst Gemeinschaft. Wer glaubt, bleibt nicht allein.
„So gab der Herr sein Leben, verschenkte sich wie Brot. Wer dieses Brot genommen, verkündet seinen Tod“: Diese Selbsthingabe Jesu, aus der Gemeinschaft wächst, feiern Katholiken in der Eucharistie. Hier geht es um den Kern. Aber es bleibt nicht bei der Feier um der Feier willen. Das hat Konsequenzen.
Liturgie und Caritas gehören zusammen
„Wer dies Geheimnis feiert, soll selber sein wie Brot, so lässt er sich verzehren von aller Menschennot“: Die Liturgie und die Caritas gehören zusammen. Nicht nur Gottesdienste, auch tätige Nächstenliebe machen den Kern des Christentums aus. Das ist christliches Glaubenszeugnis, Verkündigung im Alltag: „Als Brot für viele Menschen hat uns der Herr erwählt, wir leben füreinander, und nur die Liebe zählt!“ Und immer wieder: „Geheimnis des Glaubens: Im Tod ist das Leben!“
Vier Strophen: von der Naturerfahrung der landwirtschaftlichen Gesellschaft über den kirchlichen Vollzug bis zur Lebensaufgabe für alle Glaubenden, die zur Vision für die kommende Welt wird: Zuspruch und Anspruch!
Gerne hätte ich mit Lothar Zenetti über diese Zeilen gesprochen. Was er sich dabei gedacht hat, als er es schrieb. Wie sich seine Erfahrungen von Krieg, Tod und Leid darin widerspiegeln – er war Seminarist im sogenannten Stacheldrahtseminar des Abbé Franz Stock, der in Chartres im Kriegsgefangenenlager die Hoffnung auf Gottes Liebe wachhielt. Ob sich seine Sicht der Dinge gewandelt hat. Welche Erfahrungen mit Leben und Tod er in den vielen Jahren gemacht hat, als er unzählige Menschen als Pfarrer einer Frankfurter Gemeinde im Leben und Sterben begleitet hat. Was ihm persönlich das nun bedeutet, dieses Geheimnis des Glaubens, dass im Tod das Leben ist. Jetzt, da er selbst der Lebensschwelle immer näher kommt mit 92 Jahren.
Ein Meister des dienenden Wortes
Leider ist dieses Interview mit Lothar Zenetti nicht mehr möglich: wegen der Einschränkungen, die das Alter bringt. Verständlich. Ohnehin hat er nie gerne über sich selbst gesprochen. Er, der ein Meister des Wortes war: Rundfunkbeauftragter der Kirche, Prediger, Buchautor, Pfarrer. Freilich war er keiner, der große Töne gespuckt hat, am wenigsten über sich selbst. Er war in seiner dichterischen Schaffensphase ein Meister des dienenden Wortes für das eigentliche Wort: das Wort des Evangeliums.
Aber was sollte er auch mehr dazu sagen als das, was er schon mit dem Gedicht selbst geschrieben hat? Ein Glaubenszeugnis, das aus sich selbst spricht. Und das sich bewahrheiten kann, nicht dadurch, dass man darüber spricht. Sondern dadurch, dass es im eigenen Leben ankommt. In der Feier der Eucharistie – konkret auch darin, wie wir im Glauben mit dem Sterben von uns nahen Menschen umgehen. Am meisten konkret dann eines Tages im eigenen Sterben.
Von Michael Kinnen