Coole Atmosphäre in der evangelischen Initiative "raumschiff.Ruhr"
"Ist offen. Komm rein"
Ein Ort für junge Erwachsene, den sie besuchen, wann sie möchten. Wo sie ihre Talente einbringen oder mal abschalten vom Alltag. Die evangelische Initiative „raumschiff.ruhr“ bietet das – mit cooler Atmosphäre und Wohnzimmercharme.
Draußen. Bunt leuchtende Schaufenster und grelle Werbebanner. Menschen schieben sich vorbei an Modegeschäften und Fast-Food-Läden. Wummernde Technosounds aus dem Schuhgeschäft vermischen sich mit plätschernder Popmusik aus dem Burgerladen.
Drinnen. Sanft drückt Kirsten Graubner die Tasten des schwarzen Klaviers, ihre rauchige, aber starke Stimme hallt durch die Kirche: „Bist du müde und ausgelaugt? Hast deine Kräfte aufgebraucht? Komm und ruh dich aus, lass deine Sorgen bei mir liegen.“
In einem sanften Dunkelblau leuchtet der hohe Glaskubus im Seitenschiff der Essener Marktkirche. Schemenhaft drücken sich von draußen die Fassaden der Geschäfte der Innenstadt an die Glaswände. Siggi Wachli steht auf, zündet ein Teelicht an, stellt es auf den runden Kerzenhalter. Imke Flitz nimmt sich ein weißes Kärtchen aus der silbernen Schüssel am Boden. „Was ist mein geheimer Wunsch?“ oder „Wer ist mein liebster Mensch?“ steht auf der Vorderseite. Imke schreibt etwas auf die
Rückseite, legt die Karte zurück in die Schale. „Tu, was du magst. Du bist für dich selbst verantwortlich“, sagt Pfarrerin Hanna Jacobs.
Spannend, dass immer neue Leute dazukommen
Die Andacht in dem blauen Kubus hat keinen festen Ablauf, wer möchte, kann ein Gebet aufschreiben, Weihrauch oder Kerzen anzünden, einfach nur da sein und zuhören. Neben den Stühlen liegen blaue Decken und Heizkissen. Liedtexte und Glaubensbekenntnis stehen auf einem DIN-A4-Zettel, auf der Vorderseite ein kleines Raumschiff – die Form ist die gleiche wie die der Fenster der Marktkirche.
Seit 2016 ist die evangelische Initiative „raumschiff.ruhr“ dort beheimatet. Den „#orbit“ gibt es seitdem jeden Mittwochabend. Vor der Andacht im Kirchenraum treffen sich die Teilnehmer im Wohnzimmer des Raumschiffs: eine Couch und Stehlampe vor weißen Steinwänden mit Fotos und Girlanden, eine alte Kommode, ein großer Holztisch in der Mitte. Darauf geschmierte Stullen und Ingwer-Zitronen-Tee, Blumen in Glasvasen.
Alle duzen sich und kommen regelmäßig. „Das Raumschiff ist für mich Gemeinde. Hier darf ich Mensch sein, ohne eine Funktion aufgedrückt zu bekommen, ich kann dann Musik machen, wenn ich es möchte“, sagt Kirsten Graubner, die von Anfang an dabei ist. „Es kommen immer neue Leute dazu, das ist doch das Spannende.“ Für die 31-Jährige ist der „#orbit“ ihr einziger freier Abend der Woche, Zeit zum Auftanken, sagt sie.
Siggi Wachli entdeckte das Raumschiff durch Zufall bei einem Spaziergang durch die Stadt. „Durch die großen Fenster habe ich die Leute hier sitzen sehen und bin einfach mal reingegangen“, sagt er. Er engagiert sich in seiner evangelischen Heimatgemeinde, nimmt aber auch regelmäßig an Aktionen des Raumschiffs teil.
Eva Maria Müller geht oft zur Anbetung in die Marktkirche. „Einmal war die Tür vorne zu, aber es hing ein Zettel dran: ‚Hinten ist offen, komm doch rein.‘ Das habe ich dann einfach gemacht und bin jetzt oft hier.“
Das „raumschiff.ruhr“ ist ein Raum für junge Erwachsene, die gemeinsam etwas gestalten, genießen und erleben wollen. „Wir bieten unter der Woche und am Wochenende, tagsüber und abends ganz unterschiedliche Aktionen an“, erklärt Hanna Jacobs.
Beim „#freiraum“ waren sie paddeln oder haben einen Spieleabend gemacht, beim „#raumfürachtsamkeit“ kommt ein Yogalehrer in die Kirche, „#raumklang“ ist eine Konzertreihe, bei der im Sommer auch mal die Wohnzimmerfenster weit geöffnet werden. „Neue Ideen kommen auch oft von den Teilnehmern selbst, wir planen dann zusammen“, sagt Jacobs.
Lange nach einem Ort zum Wohlfühlen gesucht
Die Pfarrerin leitet die Initiative seit September, absolviert im Raumschiff ihren Probedienst. „Ich habe lange nach einem Ort in der Kirche gesucht, an dem ich mich wohlgefühlt habe und auch andere Leute mitbringen würde, ohne mich zu schämen – so hart das klingt, aber gerade für junge Menschen gibt es kaum etwas, hier schon.“ Eine Idee mit Erfolg: Das Raumschiff-Projekt wurde erst vor kurzem um weitere zwei Jahre verlängert.
Eva Maria Müller sitzt noch ruhig im blauen Kubus der Marktkirche. Imke Flitz und Hanna Jacobs sind von der Kirche zurück ins Wohnzimmer gegangen, nach der Andacht gibt es dort jetzt Getränke. Siggi Wachli steht vor der gläsernen Eingangstür der Kirche, schaut in die Straßen der Innenstadt. Draußen. Ein Kinderkarussell dreht sich blinkend im Kreis, monoton im Takt der Popmusik. Drinnen. Die letzten sanften Klaviertöne verstummen in der Stille.
Lisa Mathofer