Lange Nacht der Religionen in St. Otto Berlin-Zehlendorf

Jazz trifft auf alte Choräle

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Die St. Otto-Kirche in Berlin-Zehlendorf gehörte zu den Veranstaltungsorten der „Langen Nacht der Religionen“. Zwei junge Jazzmusiker ließen sich unter dem Motto „Jazz meets Mystic“ von alten Chorälen inspirieren.

Jazz-Musiker und Choralschola gemeinsam in Aktion.    Foto: Oliver Gierens

 

„Luft“ – die können wir jetzt dank des schönen Wetters und der Pandemie-Lockerungen wieder vermehrt genießen. „Luft“ war auch das Motto der „Langen Nacht der Religionen“ in Berlin. Letztes Jahr fand sie Corona-bedingt nur im Livestream statt, am 5. Juni  war es eine Mischung aus ein wenig Live-Programm und virtuellen Veranstaltungen. So war das Programm deutlich abgespeckt gegenüber den Vorjahren, dennoch wurde den Besuchern live oder online eine breite Vielfalt geboten.
Neben einer ökumenischen Taizé-Andacht oder Atemübungen für Kinder beteiligte sich diesmal auch die Gemeinde St. Otto in Berlin-Zehlendorf am Programm. Nach der heiligen Messe zum Sonntagvorabend gingen in einer Eucharistischen Anbetung unter dem Motto „Jazz meets     Mystic“ Gregorianischer Choral und moderner Jazz eine musikalische Symbiose ein.
Das musikalische Experiment war das erste dieser Art, erzählt Ute Rosenbach, die sich in der Gemeinde für die Kirchenmusik engagiert. Die Idee: Zwei junge Jazzmusiker greifen die alten Choräle auf, treten mit ihnen in einen Dialog, transformieren sie und lassen sich von ihnen inspirieren. Dadurch soll die Verehrung der Gegenwart Gottes – in Gestalt der Hostie in der Monstranz auf dem Altar – in die heutige Welt getragen werden und die Menschen tiefer ins Gebet führen. Schließlich hatte die katholische Kirche gerade zwei Tage vorher Fronleichnam gefeiert. Die Veranstaltung in St. Otto nahm darauf Bezug. Jede Woche einmal lädt die Gemeinde zur Eucharistischen Anbetung ein, wie Ute Rosenbach erzählt.

Musik und Texte der heiligen Hildegard
Einer der beiden Jazzmusiker war ihr Sohn Gabriel, der in der Gemeinde groß geworden ist, unter anderem im Kinder- und Jugendorchester. An diesem Abend spielte er die Trompete, begleitet von seinem Freund Jonas Fiese am Schlagzeug. Während Ute Rosenbach zwei Antiphonen der heiligen Mystikerin Hildegard von Bingen (1098-1179) sang, trugen andere Frauen aus der Gemeinde mehrere Visionen der bekannten Kirchenlehrerin vor. Eine Vision über die Vollendung des Kosmos, einen Text über das Ende der Zeiten – es war keine leichte Kost, die den Besuchern geboten wurde. Doch die Texte regten zum Nachdenken, zum Meditieren an – und wurden musikalisch zunächst von der Choralschola aufgegriffen, die mit Kompositionen Hildegards und Chorälen zum Fronleichnamsfest den musikalischen Rahmen setzten.
Dann begannen die beiden Jazzmusiker ihre Improvisation, zunächst noch nah an der Ursprungsmelodie, dann zunehmend freier. Schlagzeuger Jonas Friese variierte das Tempo, erst langsam beginnend, dann allmählich schneller. Gabriel Rosenbachs Trompetensoli lösten sich zunehmend vom Original, führten tiefer in die Meditiation hinein. Am Ende fanden dann Chor und Jazzmusiker gänzlich zusammen: Während die Schola einen Choral anstimmte, begannen die beiden Musiker ihre Improvisation – ein spannender und durchaus harmonischer Austausch zwischen alter und neuer Musik.

Wenn Gottes Geist auch in der Musik weht ...
Nach einem fulminanten Abschluss herrschte zunächst völlige Stille im Publikum, dann brandete langsam Applaus auf.
Dabei erwiesen sich die Musikstudenten als eingespieltes Team. „Wir musizieren seit zehn Jahren gemeinsam“, erzählt der 24-jährige Gabriel Rosenbach, der derzeit an der Hochschule für Musik in Mainz an seinem Master arbeitet. „Daher haben wir ein gewisses Grundvokabular an Ausdrucksmöglichkeiten, Formen und Stimmungen.“ Sein 22-jähriger Kollege Jonas Friese studiert am Jazz-Institut Berlin, will dort seinen Bachelor machen. Geprobt haben die beiden nur einmal mit der Choralschola – schließlich sollte es eine Improvisation werden. Wie das funktioniert? „Einfach machen“, meint Gabriel Rosenbach – und seiner Inspiration folgen. „Luft“, der Wind, der Geist – er weht auch in der Musik.

Von Oliver Gierens