Martina Stamm ist Gefängnisseelsorgerin
Jeder Mensch ist etwas wert
Foto: Melanie Giering
„Ich war im Gefängnis, ihr habt mich besucht.“ Der Auftrag für christliche Seelsorge im Gefängnis kommt aus erster Hand. Und es gibt diese Seelsorge im Gefängnis, auch wenn sie im normalen kirchlichen Leben wenig bekannt ist. Zwei Frauen und vier Männer arbeiten in diesem Bereich im Erzbistum Hamburg. Eine von ihnen ist Martina Stamm (50). Die Gemeindereferentin betreut nicht nur eine, sondern zwei Justizvollzugsanstalten in Mecklenburg: Bützow, das größte Gefängnis im Land, und Neustrelitz.
„Hier kommen die Menschen her, die am Boden sind“, sagt Martina Stamm. „Die, die im Gefängnis alles verloren haben. Für die alles abgebrochen ist.“ 400 Gefangene leben in Bützow. Zuständig ist die Gemeindereferentin aber auch für die Beschäftigten der JVA. Seit vier Jahren macht sie das – in Zusammenarbeit mit dem evangelischen Pastor Johannes Wolf, und neuerdings ist mit Imam Mounib Doukali auch ein islamischer Seelsorger im Haus.
Einmal im Monat können die Gefangenen an einem Gottesdienst teilnehmen, den die Gemeindereferentin und der Pastor im Wechsel anbieten. „Monatlich, das reicht aus“, sagt Martina Stamm. „Wir wollen ja nicht den Gefangenen den christlichen Glauben überstülpen.“ Die meiste Zeit widmet sie aber den Menschen in ihrer Situation.
„95 Prozent meiner Tätigkeit sind Einzelgespräche. Das klingt viel, ist aber so. Denn ganz viele Gefangene nutzen es, dass es hier einen Vertrauensraum gibt, einen Schutzraum. Und sie wissen: Ich kann hier alles sagen. Ich kann mein ganzes Leben hier erzählen. Und es geht nicht ‘raus.“
Kirche ist für viele eine unbekannte Welt
Martina Stamm ist die Frau, die da ist. Für Menschen, denen nicht nur der freie Ausgang verwehrt ist, sondern deren Beziehungen zum großen Teil abgebrochen sind. „Jesus Christus spricht: Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“, steht auf einem Schild an der Wand. Das ist der Schluss des Matthäusevangeliums. Aber für viele, die das Gespräch suchen, sind solche Worte Neuland: „Die meisten waren draußen noch nie in einer Kirche. Hier lernen sie plötzlich Kirche auf eine andere Weise kennen. Sie merken, dass jemand auf sie zukommt. Dass ich mit ihnen spreche. Und das ist ja Seelsorge pur.“
Wenn sie einen neuen Gesprächspartner kennenlernt, guckt die Seelsorgerin nicht in dessen Akte. Es zählt nicht, weswegen jemand „sitzt“. Nur der Mensch ist wichtig.
Martina Stamm ist sicher. Diese Zuwendung verändert etwas. „Ich glaube, dass es den Gefangenen hilft, wenn sie merken: Ich kann etwas, ich bin etwas wert. Und es gibt mit Gott jemanden, der mich vorleistungsfrei liebt – trotz meiner Schuld.“ Dieses Bewusstsein könne später helfen, wieder in die Gesellschaft zurückzufinden und einen Platz zu finden. „Wenn ich weiß: Ich bin nicht nur schlecht. Ich bin nicht nur das, was ich getan habe. Dann kann ich aus meinem Leben etwas machen. Das ist mein Ansatz.“
Seit mehr als vier Jahren ist Martina Stamm Seelsorgerin hinter Gittern. „Ich bin hier zuhause“, sagt sie über ihre JVA in Bützow. „Ich merke, dass ich hier gebraucht werde. Dass ich existentielle Seelsorge mache. Dass ich auf die Lebensfragen der Menschen eingehen kann. Und dass ich begleiten kann.“
Sehen Sie hier ein Video über die Arbeit von Martina Stamm und ihren Kollegen Christian Kuzior (Neumünster).