Antisemitismus in Deutschland

"Jeder muss Gesicht zeigen"

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Der Antisemitismus in Deutschland nimmt dramatisch zu. Charlotte Knobloch beobachtet „ein Ausmaß an Judenhass, an das ich mich in der Geschichte der Bundesrepublik nicht erinnern kann“. Und sie sagt, was nun zu tun ist.

Foto: kna/Julia Steinbrecht
Bedrohliche Zeiten: Viele Juden fragen sich, ob sie
in Deutschland noch eine Zukunft haben.
Foto: kna/Julia Steinbrecht

Wenn sie mit jungen Jüdinnen und Juden spricht, hört Charlotte Knobloch oft, sie wollten Deutschland verlassen, wenn sich die Lage hier nicht bessert. Sie versucht ihnen dann Mut zu machen: „Aber das wird mit jedem Tag schwerer.“ Denn: „Wir erleben heute ein Ausmaß an Judenhass, an das ich mich in der Geschichte der Bundesrepublik nicht erinnern kann.“ 

Knobloch (87) ist Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, sie war lange Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland. Ihre Einschätzungen haben Gewicht – und sie werden von vielen geteilt. So werden in Düsseldorf, in der drittgrößten jüdischen Gemeinde Deutschlands, offenbar Ausreisepläne konkret. Es sei nicht mehr die Frage, ob man bleibe, sondern wann man gehen solle, sagte ihr Direktor Michael Szentei-Heise der „Rheinischen Post“. Der Gemeindevorsitzende Oded Horowitz mahnte, Verantwortliche in jüdischen Gemeinden sollten ihren Mitgliedern dringend ans Herz legen, „Deutschland zu verlassen, so lange es noch geht“. Würden rechtsextreme Bewegungen stärker, bleibe Juden nur die Flucht.

Knobloch sagt, der Antisemitismus in Deutschland sei „auch nach 1945 nie ganz verschwunden“ gewesen. Heute versteckt er sich aber oft nicht mal mehr. Besonders offen hat er sich kürzlich in Halle gezeigt, beim Terroranschlag eines Neonazis auf eine Synagoge. Max Privorozki, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Halle, sagt, er fühle sich schon seit Jahren nicht mehr wohl in Deutschland.

Kein Wunder: Juden werden heute in Deutschland auf offener Straße beschimpft, bespuckt, bedroht. Im Internet wird aufs Widerlichste gegen sie gehetzt. Jüdische Schulen müssen schwer bewacht werden. Die AfD trage zum neuen Antisemitismus bei, sagt Knobloch. Sie habe „bestehende Ressentiments aufgegriffen und diejenigen Menschen bestärkt, die sie hegen“. Sie trage den Hass aus dem Internet in die reale Welt und dort sogar in die Parlamente. Zudem, so Knobloch, greife die AfD die Erinnerungskultur an die Verbrechen der Nazis frontal an. Sie betont: „Wer das ,Nie wieder‘ ablehnt und die Erinnerungskultur beenden will, der ist in puncto Antisemitismus Teil des Problems.“

Der unerschütterliche Optimismus des Vaters

Was aber könnte helfen gegen Hass und Hetze? Knobloch glaubt, entscheidend sei politische Bildung, vor allem bei der Jugend. Und Austausch zwischen Juden und Nichtjuden. Dazu eine wache Justiz. „Dass Gerichte wie zuletzt in Dortmund ,Nie wieder Israel‘ als Parole auf einer Demonstration genehmigen und antisemitische Todeslisten wie ,Judas Watch‘ im Internet nicht gesperrt oder blockiert sind, ist ein Unding“, sagt Knobloch. 

Auch jeder Einzelne könne was tun. „Jeder muss Gesicht zeigen, aufstehen und sich gegen Hass, Intoleranz und Antisemitismus einsetzen.“ Bei der Attacke in der U-Bahn – aber auch beim judenfeindlichen Spruch am Kaffeetisch.
Sie selbst, sagt Knobloch, werde dem Hass trotzen. Von ihrem Vater habe sie unerschütterlichen Optimismus geerbt: „Ich für meinen Teil habe nicht vor zu gehen, München ist meine Heimat.“

Das vollständige Interview mit Charlotte Knobloch lesen Sie hier.

Andreas Lesch