Hobbykünstler gestalten Hungertuch

Jesus im Schlachthof

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Hobbykünstler aus Barnstorf haben ein Hungertuch gestaltet, mit dem sie auf die prekäre Situation der Werkvertragsarbeiter in der Fleischbranche aufmerksam machen wollen. Was hat die Kirche mit Billigfleisch zu tun und welche Rolle spielen die Konsumenten?


Der Gekreuzigte hängt zwischen aufgeschlitzten Schweinen: Das Motiv des Barnstorfer Hungertuchs hat Künstler Reinhard Börger gewählt. Es ist bewusst provokativ. Foto: Sandra Röseler

Der gekreuzigte Jesus hängt inmitten von Schweinen, die an den Hinterbeinen aufgehängt worden sind und von Menschen in weißer Schutzkleidung aufgeschlitzt werden. Dieses Bild finden Gottesdienstbesucher zurzeit in der St.-Barbara-Kirche in Barnstorf vor. Seit Jahren ist es dort Tradition, dass eine Gruppe katholischer und evangelischer Hobbykünstler ein Hungertuch gestaltet und dabei ein aktuelles gesellschaftliches Problem anprangert: in diesem Jahr die Situation der Werkvertragsarbeiter in Schlachthöfen.

Den Zeitungsartikel, der Auslöser für die Wahl des Motivs war, hat Reinhard Börger extra ausgeschnitten und mitgebracht. Der Aquarellmaler hat die Vorlage für das bunte Hungertuch gestaltet, das in der Fastenzeit hinter dem Altar hängt – wobei die jetzige Version eine entschärfte ist, wie er sagt. „Am Anfang floss da noch viel mehr Blut.“ Ende vergangenen Jahres war in der lokalen Tageszeitung zum wiederholten Male darüber berichtet worden, dass Arbeitsmigranten aus Bulgarien oder Rumänien in den Großschlachtereien der Region ausgebeutet werden. Konkret geht es um das Oldenburger Land und das Emsland.

Diese Missstände sind schon seit mehreren Jahren bekannt – getan hat sich bislang zu wenig, findet Reinhard Börger. „Das sind menschenunwürdige Zustände.“ Das Problem: Die Arbeiter aus Osteuropa werden in den Schlachthöfen als sogenannte Werkvertragsarbeiter beschäftigt. Im Vergleich zu Festangestellten haben sie deutlich weniger Rechte – eine Grauzone, die von der Fleisch­industrie ausgenutzt wird.

Die Schlachthöfe vergeben Aufträge an Subunternehmer, die wiederum Werksvertragsarbeiter beschäftigen und diese dann im Akkordtempo Schweine oder Rinder zerlegen lassen. Dafür bekommen die Arbeiter zwar offiziell den Mindestlohn bezahlt, unterm Strich steht auf der Lohnabrechnung am Ende des Monats aber deutlich weniger. Das liegt unter anderem daran, dass ihnen Gebühren abgezogen werden, zum Beispiel jedes Mal, wenn sie Werkzeuge oder den Pausenraum benutzen.

„Der Mensch verkommt zur Ware"

„Der Mindestlohn wird durch solche Systematiken untergraben“, sagt Josef Kleier. Der Jurist arbeitet in einer kirchlichen Beratungsstelle für Werkvertragsarbeiter in Lohne. Seit Anfang vergangenen Jahres gibt es dieses Angebot des Caritas-Sozialdienstes, das vom Bischöflich Münsterschen Offizialat Vechta mitfinanziert wird. Laut Offizialatsrat Bernd Winter ist es einzigartig, dass sich die Kirche in Deutschland mit diesem Thema beschäftigt. Das ist auch dringend nötig, findet Reinhard Börger. „Die Kirche soll sich um die Armen und Ausgebeuteten kümmern.“

Ziel der Mitarbeiter in der Beratungsstelle ist es, den Arbeitern aus Osteuropa klarzumachen, dass sie sich gegen die dubiosen Praktiken der Subunternehmer wehren können, sagt Kleier. „Die Leute wissen gar nicht, was legal ist und was nicht.“ Oftmals trauten sich die Betroffenen auch nicht, den Mund aufzumachen – aus Angst, gekündigt zu werden. Denn in den Werkverträgen, die meist auf ein Jahr befristet sind, ist eine Probezeit von sechs Monaten vereinbart. In dieser Zeit können die Arbeiter ohne weitere Umstände entlassen werden – das komme zum Beispiel dann vor, wenn sie krank werden. „Der Mensch verkommt zur Ware“, kritisiert Kleier.  

„Ich verstehe nicht, wie man Menschen so behandeln kann“, sagt Anette Wilms. Sie hat an dem Hungertuch, das den Alltag der Werkvertragsarbeiter zeigen soll, mitgearbeitet. Die Landwirtin ist entsetzt über die Arbeitsbedingungen in den Schlachthöfen. Schließlich ist sie auch persönlich davon betroffen: Sie verkauft ihre Tiere über einen Zwischenhändler an die Großschlachtereien. Eine andere Wahl bleibe ihr nicht, sagt sie. Längst gebe es in der Region fast nur noch die großen Schlachthöfe – kleinere Betriebe haben aufgegeben oder sind aufgekauft worden.

„Die Abstimmung der Konsumenten erfolgt mit dem Portemonnaie“

Durch die Ausbeutung der Arbeitsmigranten wird der Ruf der gesamten Branche beschädigt, findet Wilms. „Es gibt auch noch anständige Betriebe, in denen Arbeiter nur direkt angestellt werden und wirklich den Mindestlohn bezahlt bekommen“, betont sie. Inzwischen würden aber sogar schon Tiere aus Dänemark in Deutschland verarbeitet – weil die Löhne in den Großschlachtereien so niedrig sind. Schuld daran sei der hohe Kostendruck in der Lebensmittelbranche, beklagt Wilms: „Fleisch kann man nur noch über die Masse absetzen – egal wie gut die Qualität ist, die man liefert.“ Sie sei an mehreren Projekten beteiligt gewesen, die das Ziel hatten, besseres Fleisch wieder zu einem besseren Preis verkaufen zu können. Diese Projekte seien jedoch wegen mangelnder Nachfrage alle im Sande verlaufen, sagt die Landwirtin frustriert. „Die Abstimmung der Konsumenten erfolgt mit dem Portemonnaie.“

Darauf, dass Billigfleisch viel zu selbstverständlich konsumiert wird, wollen die Barnstorfer Hobbykünstler mit ihrem Hungertuch aufmerksam machen. „In der Fastenzeit geht es darum, auf etwas zu verzichten“, sagt Roth. „Wir sollten uns mal fragen, ob wir wirklich so viel Fleisch brauchen.“ Sie beobachte seit Jahren, dass sich in Deutschland ein „Ökotrend“ entwickelt. „Ich glaube schon, dass wir bei uns in der Gemeinde mit diesem sozialkritischen Thema landen können.“

Sandra Röseler