Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz Christoph Heusgen

"Johannes Paul II. habe ich deutlich politischer wahrgenommen"

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Christoph Heusgen (67) ist erfahrener Diplomat, früherer außenpolitischer Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel, deutscher Botschafter bei den Vereinten Nationen in New York und seit diesem Jahr Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz. Ein Gespräch über Diplomatie bei Beerdigungen, Papst Franziskus als Brückenbauer - und Kritik an der Rüstungsindustrie.


Christoph Heusgen ist Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz und früherer außenpolitischer Berater von Kanzlerin Angela Merkel. Foto: imago/Jürgen Heinrich

Immer wieder reisen Staatsoberhäupter und Regierungschefs zu Beerdigungen. Gehört das zur Diplomatie?

Die Teilnahme an Beerdigungen ist wichtig. Wie auch sonst im Leben geht es darum, Wertschätzung und Anteilnahme auszudrücken. Und am Rande einer Beerdigung kommt es oft zu Gesprächen. Man kann sich austauschen und über Konflikte beraten.

Sollten europäische Staaten Gorbatschows Beerdigung beiwohnen? Oder geht das wegen der Sanktionen gar nicht?

Wir wissen noch gar nicht, ob Putin überhaupt ein Staatsbegräbnis will. Und dann muss man sich überlegen: Wollen wir das überhaupt? Putin geht es um Reputation und Renommee, Propaganda. Sein Image ist ramponiert, er will es aufbessern. Ich rate hier zur Zurückhaltung! Gorbatschow kann auch auf andere Art gewürdigt werden.

An welche komplizierte Beerdigung im Politik-Betrieb erinnern Sie sich?

Arafats Beerdigung war heikel. Auf der einen Seite war er ein Friedensnobelpreisträger. Andererseits hat er viel Schaden angerichtet.

Könnten Regierungen als Kompromiss entscheiden: Wir schicken nicht die amtierenden Staatsoberhäupter nach Moskau - sondern ehemalige?

Das wäre eine theoretische Möglichkeit. Aber auch hier gilt es, sorgfältig abzuwägen, ob die Reise etwas bringt - oder nur Putin aufwertet. Auch hier: Zurückhaltung.

Sie blicken auf ein langes Diplomatenleben zurück. Wann haben Sie den Heiligen Stuhl als außenpolitischen Player wahrgenommen?

Der Heilige Stuhl ist schon immer ein außenpolitischer Akteur gewesen, obwohl die geografische Größe und seine militärische Macht übersichtlich sind. Umso wirksamer ist das moralische Kapital, die ideelle Kraft des Papstes. Mein Eindruck ist: Vor allem Benedikt XVI., aber auch Franziskus halten sich mit politischer Einflussnahme zurück. Johannes Paul II. habe ich deutlich politischer wahrgenommen.

Heiliger Stuhl könnte bei Beratungen mit Russland erfolgreich sein

Ihr letzter Posten als deutscher Diplomat war in New York. Hatten Sie hier auch mit dem Heiligen Stuhl zu tun, der Ständiger Beobachter bei den Vereinten Nationen ist?

Ja, der Heilige Stuhl ist in New York gut aufgestellt. Die Sitzordnung bei der UN-Generalversammlung wird jedes Jahr ausgelost. So hat der Zufall ergeben, dass ich ein Jahr lang fast direkt neben dem Nuntius saß. Das war ein angesehener Vatikan-Diplomat, der sehr umtriebig war.

Erfahrene Diplomatinnen und Diplomaten haben den Ruf, selbst in ausweglosen Situationen Gesprächskanäle eröffnen zu können. Wie könnte man jetzt Bewegung in die feindliche Atmosphäre zwischen Moskau und Kiew bringen?

Heusgen: Die Situation ist sehr schwierig. Putin hat mit seinem Angriffskrieg einen Zivilisationsbruch begangen. Bislang gibt es keine Anzeichen, dass er von seiner Aggression ablässt. Ich bin derzeit sehr skeptisch, was die Erfolgsaussichten von Verhandlungen betrifft. Zumal sich Putin an bestehende Abmachungen nicht gehalten hat. Wieso sollte er auf einmal einen neuen Vertrag einhalten? Trotzdem brauchen wir Bemühungen, um das Leid der Menschen zu mildern und zu beenden. Und hier kommt der Heilige Stuhl ins Spiel.

Inwiefern?

Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass Putin die Nähe zum Papst gesucht hat. Gleichzeitig arbeiten die russisch-orthodoxe Kirche und der Kreml sehr eng zusammen. Insofern sind gewisse Voraussetzungen erfüllt, wenn man als außenstehender Akteur etwas erreichen will. Der Heilige Stuhl könnte einen Türspalt öffnen.

Was könnte Papst Franziskus konkret machen? Ein Treffen mit Patriarch Kyrill I. im September kommt nicht zustande.

Vertrauen ist bei solchen Aktivitäten das A und O. Und Vertrauen lebt von Diskretion. Es wäre fatal, ein Treffen groß in den Medien anzukündigen. So etwas muss diskret stattfinden. Vertreter des Heiligen Stuhls könnten zum Beispiel sondieren, ob ein Papstbesuch in Moskau etwas bringen würde. Es macht ja keinen Sinn, mit leeren Händen zurückzukommen. Es braucht zumindest einen kleinen, messbaren Erfolg - und der muss gut vorbereitet sein. Ich bin allerdings skeptisch, dass der Heilige Stuhl momentan in Moskau erfolgreich sein könnte. Und trotzdem darf er nichts unversucht lassen.

Als Chef der Münchner Sicherheitskonferenz sind Sie eng mit der Rüstungslobby verbunden. Stört es Sie, dass Papst Franziskus die Rüstungswirtschaft regelmäßig kritisiert?

Ich kann den Papst sehr gut verstehen. Auch mir wäre es lieber, wir bräuchten keine Waffen und könnten alles auf friedlichem Wege regeln. Aber leider ist die Realität eine andere. Ich habe mich in New York als deutscher Botschafter bei den Vereinten Nationen regelmäßig für Abrüstung engagiert. Und trotzdem sage ich: Wenn ein Diktator wie Putin mit Waffengewalt versucht, ein Volk zu unterdrücken und die ukrainische Identität zu zerstören, dann gibt es eine moralische Verpflichtung die Angegriffenen zu unterstützen, auch mit Waffen! Dies wird auch durch das Völkerrecht legitimiert. Jeden Tag sterben Menschen, sterben Frauen und Kinder. Da dürfen wir nicht tatenlos zuschauen!

Wenn Sie auf Ihre Zeit als außenpolitischer Berater von Angela Merkel zurückblicken: Waren Sie zu lax mit Blick auf Russland?

Es war richtig, diplomatisch alles zu versuchen. Mit dem Minsk-Abkommen ist es der Bundeskanzlerin 2015 gelungen, einen Verhandlungsweg zu öffnen. Putin hat im Februar diesen Weg verlassen. Dafür trägt einzig er die Verantwortung. Richtig ist, wir haben versäumt, unsere Verteidigungsfähigkeit für den Fall X zu erhöhen. Und wir hätten uns von der russischen Energie unabhängiger machen müssen.

Interview: kna/Raphael Rauch